Sophie Reyer: Queen of the Biomacht
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Timo Brandt
Heile Welt – Befehl
oder Zustand?
„früherwurden Götter Himmelskörperihre Wanderstäbe Kletterwälderdie Gelenke Ahornhaine […] jetztnur noch in 3-D zu haben siefesselten nämlich die Mythen mitihren eigenen Haaren“
Wir haben hier Liebesgedichte, metaphysische Gedichte,
narrative Gedichte, Naturgedichte, Miniaturen und Kürzestgedichte – Sophie
Reyers Band ist ein Gewusel unterschiedlicher Ansätze, auch sprachlicher. Eine
schnell gezückte Pointe (bitter oder süß) kann am Ende lauern oder auch eine
Leerstelle, eine Überlegungsvertiefung – oder beides!
Ob spielerisch-verschlungen oder apathisch-direkt, die Texte
konzentrieren sich oft auf Beobachtungen; viele von diesen Beobachtungen würden
zu kritischen Tönen genug Anlass bieten, aber Reyers Gedichte sind nicht
agitatorisch (und entgehen so auch der Gefahr des Selbstgerechten), allerdings
hier und da selbstkritisch.
„kaum übern Grat der Angstgegangenkann nicht mehrzurück nachvorn“
Selbstkritik ist allerdings ein guter Deckmantel für Agitation und Kritik, und Reyers konstatierende Wendungen haben hier und da, bei all ihrer Fatalität, durchaus etwas Klarstellendes, aber ohne zu wüten. Ihre Zivilisationskritik ist wie ein Kassiber und ihre Gedichte manchmal ebenso verstohlen.
„viele Namen hatdas Paradies und weilwir alle vergessen habenüben wir jetztPerfektion“
Bei all diesen Vorzügen erscheinen sie manchmal fast so, als wären sie ein bisschen aus der Sprache gefallen, als wäre hier und da ein Stück abgebrochen, als lägen da die Scherben eines Gedichtes und kein Gedicht.
Das klingt jetzt erstmal kritisch, aber eigentlich meine ich
es nicht wertend, es ist mehr ein Eindruck, mit dem ich zu beschreiben hoffe,
mit welcher Reduktion diese Gedichte bei einigen Gelegenheiten arbeiten. Diese
scherbenartigen Gedichte haben nämlich auch ihren Reiz: man versucht
unwillkürlich, das ursprüngliche „Gedicht“, die ursprüngliche Sprache zusammen
zu puzzeln.
„wer kann mirhelfen ich suche den Wegvon immer nachimmer“„wer Worte wählt schneidet:Schweigen“
Hinzu kommt, dass ein Motiv in den Gedichten das
auf-den-Kopf-Gestellte oder direkt die auf den Kopf gestellte Welt ist. Steht
die Welt Kopf, weil die analysierenden Personen verkopft sind? Steht die Welt
in der Sprache immer automatisch Kopf (weil sie die Wirklichkeit abbildet,
während die Informationen des Sehnervs vom Gehirn ja erstmal richtig rum
gedreht werden müssen)? Was fällt aus dem Gedicht heraus, das Kopf steht?
„Bruder Blatt wer nennt dich noch soin Zeiten des Individualismusin denen alles nachhaltig sein musseffizient und billig“
Ich würde sagen, dass Sophie Reyers Gedichte in den meisten
Fällen flüchtigste Erschütterungen einfangen, das Verschieben in den Platten
(die sich weiterbewegen, eine Erschütterung ist hier die Miniatur und
Ankündigung eines großen, fortlaufenden Umbruchs).
Diese Erschütterungen sind an vielen Stellen zu finden: im
Persönlichen, im Gesellschaftlichen, im Weltlichen, in allem. Nur kommt man oft
sehr schwer nah genug an sie heran. Hier kommt das Gedicht ins Spiel. Und
Sophie Reyer zeigt, was es kann, in diesen Momenten, an diesen Stellen.
„schneidest Prinzessinnenaus Bäumendennoch sommerssind die Träume einer Kindheitzerronnenals es beim Kletternim Baumgerippein deine Unterhose blutetaber voninnen“
Sophie
Reyer: Queen of the Biomacht, ehrlich. Gedichte. Innsbruck (Limbus Verlag)
2019. 96 Seiten. 13,00 Euro.