Direkt zum Seiteninhalt

Silke Vogten: Drei Gedichte

Gedichte > Lyrik heute

0
Silke Vogten

Drei Gedichte



Die Welt der schönen Bilder*

Die Welt
der schönen Bilder
ist angezählt
Hat Risse bekommen
und diesen seltsam
ranzigen Gelbstich
An manchen Stellen
noch marktschreierisch grell
an anderen schon zerfleddert
So dass wir durch die Leere
in den Abgrund sehen
Nirgends mehr
wirklich verlockend

*„Les Belles Image“ von Simone de Beauvoir



Der Sohn

- Schau mal
sprach sie ruhig
und nahm ein
weißes glattes Blatt
Papier

knickte es
an zwei Kanten ein

- Das passiert,
wenn du so
mit deinem Bruder umgehst
ihn so kränkst
ihn so behandelst

Sie nahm das Papier
und strich die Knicke
wieder aus
deren Spuren noch deutlich
zu sehen waren

- Auch wenn du dich
entschuldigst
bleibt immer etwas
zurück.

Er sah auf das Papier
Er schwieg
Er nahm es mit
und ging in sein Zimmer

Später
kam er zurück
warf ihr das
zerknüllte
Stück Papier
vor die Füße

Sagte:
- So siehst du aus,
wenn ich mit dir fertig bin.



Der alte Vater

Er macht
alleine weiter
Tag für Tag

Steht auf
wäscht sich
geht in sein Stammcafé

Studiert das
Fernsehprogramm
um den Abend zu retten

Nimmt seine Pillen
um die Nacht zu überstehen
steht wieder auf

und weiter und weiter
längst über die Zielgerade hinaus
mit dem Horizont
schon hinter sich

Wenn es nach ihm ginge
käme gleich die Reinkarnation

ganz ohne
Boxenstopp


Zurück zum Seiteninhalt