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Sabine Scho, Andreas Töpfer: The Origin of Senses

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Jan Kuhlbrodt

The Origin of Senses



Es handelt sich hier um ein großformatiges Heft, dass im Museumsshop des Naturkundemuseums in Berlin vertrieben wird, und wenn es überhaupt einen Grund braucht, dieses Haus mit seinen großartigen Saurierskeletten mal wieder zu besuchen, wäre das einer. Gibt es eigentlich diesen legendären Gorillakadaver noch, der mich seinerzeit aus der Vitrine heraus mit seinen Glasaugen anstarrte? An ihn musste ich denken, als ich bei Scho davon las, dass Augen zu konservieren unmöglich ist.

Der Titel des Heftes bezieht sich auf ein zentrales Werk nicht nur der Biologie: On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life, das 1859 in London mit dem Titel, der von Bellizisten aller Couleur so gern missverstanden wird, herauskam. Deshalb ist der Titel für dieses Projekt: The Origin of Senses nicht besser zu wählen gewesen.

Hier wird Naturwissenschaft und Kunst enggeführt. Naturgeschichte und Zivilisationsgeschichte. Das klingt vielleicht ein wenig großmäulig, aber wir operieren hier auch im Zentrum, im Herzen zumindest der abendländischen Weltauffassung.

Deutlich macht das z.B Schos Gedicht schimpanse, das eine Paraphrase ist auf William Carlos Williams‘ This is just to say.

Ich habe den affen
gefüttert
den du heute nacht
geschlagen hast

du wolltest
ihn sicher
erziehen

verzeih' mir
er war so devot
verängstigt
und gierig


Der Gatte, der die Pflaumen aus dem Kühlschrank klaut, wird hier zum Affen, der gefüttert wird.

Zum einen Teil besteht das Heft also aus Gedichten der Autorin Sabine Scho, und zum anderen Teil aus Arbeiten von Andreas Töpfer. Beide, sowohl Scho als auch Töpfer, zeichnet nicht nur in dieser Produktion aus, dass sie mit den Mitteln ihres jeweiligen Genres weit über dieses hinausgehen. Ihre Statements sind lyrisch und zeichnerisch, formulieren aber, genauso gut wie ästhetische, eben auch philosophische Positionen, ohne jedoch ihre künstlerische Ausgangsposition zu verraten. Dieser Nichtverrat ist es, der Aufklärung von Propaganda unterscheidet, sie davor bewahrt, in ihr Gegenteil zu kippen und letztlich zum Repressionsinstrument zu werden, und das, woraus sie eigentlich hinausführen will, zu verfestigen.

Im Falle Scho und Töpfer bedient sie, die Aufklärung, sich des Humors. Und wenn Töpfer Gedanken konsequent fortzeichnet, dass sie ins Absurde kippen, wird eben genau darin das Fragile der Rationalität sichtbar und ihr Abgrund.

Hummer haben eine Lieblingsschere, sind entweder Links- oder Rechtshänder. Ihr Tranchierbesteck ist auf beiden Seiten unterschiedlich ausgebildet. Sie besitzen eine eher schneidende und eine eher fixierende „Hand“.


So endet eine Anmerkung zum Gedicht Hummer, das sich mit Schmerzempfinden und die Art der Zubereitung befasst, aber auch mit Begründungswindungen, die der Mensch gern als Wissenschaft bezeichnet, deren Ziel es aber lediglich ist, brutalstes Verhalten zu legitimieren.

Die Menschen haben Jahrhunderte lang versucht, ihre angemaßte privilegierte Position unter den Lebewesen auf diesem Planeten mythisch und theoretisch zu untermauern. Am besten ist dies ihnen durch den gewaltsamen Eingriff gelungen. Wenn Aristoteles noch vom Politischen Menschentier sprach, was auch schon auf einen Irrtum hinauslief, denn reflektiertes  und strategisches Verhalten findet sich durchaus auch auf der anderen Seite der Barrikade, wird das Tierhafte des Menschen in der folgenden Zeit und bis heute doch eher ironisch aufgefasst, oder ganz missachtet. Letztlich, blieb im Grunde nur der Feind, den man als Tier bezeichnete, um ihn verächtlich zu machen, um seine Vernichtung zu legitimieren, und eben das Tier selbst, das wir Spezies für Spezies ohne oder zumindest mit nur mäßig schlechtem Gewissen ausrotten können. Im Leipziger Naturkundemuseum finden sich noch ein paar ausgestopfte Riesenalks, zur Erinnerung. Natürlich gab es immer wieder Versuche, dieser Tradition zu entkommen; dass der Hl. Franziskus den Tieren predigte aber, z.B. blieb letztlich ein Muster ohne Wert. Hoffen lässt allerdings, dass der heutige Papst sich auf eben jenen Vorgänger bezieht.

Im neunzehnten Jahrhundert setzte ein Umdenken ein, sehr zaghaft, aber immerhin. Zentrale Namen sind Mendel, Uexküll und Darwin, die maßgeblich an der Entdeckung der Umwelt und der Evolution beteiligt gewesen sind. Frontleute gewissermaßen. Leadsänger der Wissenschaft. Derrida und Agamben unter anderen nahmen die Melodie auf, und Scho und Töpfer singen je ihren eigenen Song of Enlightenment. Muss man unbedingt betrachten und lesen!


Sabine Scho, Andreas Töpfer: The Origin of Senses. Begleitmagazin zur literarischen Intervention. Englisch (übersetzt von Ann Cotten) / Deutsch. Berlin (Museum für Naturkunde) 2016. 40 Seiten. Erhältlich im Museumsshop für 12,00 Euro.

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