Ruprecht Volz: Elementare Verwandtschaften
Theater / Kunst > Kunst
Olga Golos: Installation "Flash Points" (Details),
2020
Fotos:
Ruprecht Volz
Ruprecht Volz
Elementare Verwandtschaften
Zu Olga Golos’ Rauminstallation „Feuer“ (Flash Points)
Feuer ist das Element des Lebens und des Todes, der Einheitlichkeit und der Vielfalt, Grundlage des Werdens und Schicksalsmacht der Vernichtung, Inbegriff von Dynamik und Ambiguität. In der griechischen Mythologie trägt das Feuer die Signatur göttlicher Herkunft, denn Prometheus raubt das Element dem Göttervater Zeus und schenkt es seinen eigenen Geschöpfen, dem aus Lehm und Wasser geformten Menschengeschlecht, das nun die Voraussetzung für Kultur und Kunsthandwerk besitzt. Unter den vorsokratischen Philosophen nimmt der aus dem sizilischen Akragas (Agrigent) stammende Empedokles (um 485-425 v.Chr.) eine besondere Stellung ein, da er im unablässigen Wechselspiel der existierenden Dinge eine Bewegung der vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde erkennt, die durch die beiden entgegengesetzten göttlichen Kräfte Liebe und Hass zu Vereinigung und Trennung geführt werden. Von diesen vier Grundstoffen ist das Feuer der mächtigste, so dass er mit dem „hell leuchtenden Zeus“ gleichgesetzt werden kann, und auch die aufwärts züngelnden Flammen zeugen von dem Drang nach ihrem Ursprung, dem göttlichen Feuer. In gleicher Weise spielt in der Ethik der Stoa das Bild des lebensspendenden Urfeuers eine besondere Rolle, denn nach dieser Lehre trägt jeder Mensch einen Funken dieser göttlichen Kraft während seines Daseins in sich und gibt ihn am Ende seines Lebens wieder in das unendliche, ewige Urfeuer zurück. Im kosmologischen Denken vieler Völker, z.B. der Perser und Germanen trägt das Feuer in der Erneuerung oder dem Untergang des Kosmos durch einen Weltenbrand eine entscheidende Rolle.
Natürlich findet sich auch in der Bibel eine Verwendung des Feuers als Symbol oder Metapher, oft assoziiert mit dem Phänomen des Lichtes als Gestaltung göttlicher Präsenz. Bekannt ist der Bericht vom brennenden Dornbusch am Berg Sinai, der Feuersäule als geleitende Instanz für das jüdische Volk durch die Wüste oder dem feurigen Wagen, der den Propheten Elia in den Himmel hinaufführt. Im Neuen Testament ist das Feuer das Medium ewiger Qual und Verdammnis, das in der Apokalypse des Johannes als „Feuersee“ erscheint.
Auch ein Blick in die Welt der Kunst, Literatur und Musik eröffnet einen beinahe unendlichen Reichtum in der Verwendung des Feuermotivs, dessen bedeutungsstiftende Funktion zwischen Pathos und Ambiguität oszilliert, wie die Beispiele von Richard Wagners „Feuerzauber“ am Ende des Bühnenwerks „Die Walküre“ oder Alexander Skrjabins „Poème du feu“ (Prometheus) bezeugen.
Vor dieser beeindruckenden, einschüchternden Tradition steht jeder Künstler der Gegenwart, der sich mit der Vielfalt und Vieldeutigkeit des Feuermotivs auseinandersetzen will, wobei sich der Weg einer naturalistischen oder metaphorischen Gestaltung in Form einer Fackel- oder Flammendarstellung als Mittel einer überholten Friedhofsästhetik verbietet.
Die 1987 in der sibirischen Stadt Krasnojarsk geborene Künstlerin Olga Golos hat sich immer mit abstrakten Themen in malerischer oder plastischer Formgebung beschäftigt und mit der Methode von Serialität und Variation großräumige Objektgruppen geschaffen, die im Außenbereich in Zwiesprache mit der natürlichen Umgebung oder im Innenbereich eines Gebäudes gesellschaftliche Konstellationen exemplarisch gestaltet und als Problem bewusst macht. Wichtig dabei ist die überlegte Auswahl des Bildträger- oder Formmaterials, das in seiner Besonderheit Fantasiefelder und Vorstellungsassoziationen beim Betrachter in Gang setzt und diese zu Räumen voll gesteuerter Gegensatzpaare wie offen/geschlossen oder Dichte/Entfaltung ausweitet. Als Beispiele für Objekte aus jüngerer Zeit, die bereits Elemente des aktuellen Projekts von St. Ottilien in sich tragen, kann die Gruppe von in der Nacht fluoreszierenden Stahlrohren mit dem Titel „Mondlichtblüten“ (2015) dienen. Im Isarflussbett von Landshut stehend, demonstriert sie als Ineinander von Kultur und Natur im wechselnden Wasserstand und bei sich veränderndem Sonnenlicht strukturelle Verwandtschaft und zugleich individuelle Präsenz. Ein anderes Beispiel: Die beiden etwa drei Meter hohen „Lichtsäulen“ (2015) aus innen beleuchteten, durchscheinenden Kristallglaskugeln erinnern in ihrer additiven, aufeinander aufbauenden Konstruktion an künstliche Tropfsteinhöhlen mit Stalagmiten und Stalagtiten und an eine maiskolbenförmige Hochhausarchitektur. Eine typologische Brücke zur „Feuer“- Installation schlägt die 30-teilige Objektgruppe „Polis“ (2018) aus gebrochenen, gelochten und gefalzten Aluminiumflächen, die in statischer Dreidimensionalität das konstituierende Spannungsverhältnis von Individualität und Vereinigung, von Einzelgebäude und Architekturensemble in der Stadtlandschaft thematisiert.
In der neuen Installation behandelt Olga Golos das Naturphänomen Feuer als eine Suchbewegung nach dem Prinzip des Wirkens und der Erscheinung einer die Welt bestimmende Kraft in ihrer Einheit, Vielfalt und Widersprüchlichkeit. Die elementare Verwandtschaft der verschiedenartigen Gestaltungen ist der Wegweiser zu den Grundformen der Idee „Feuer“, die mit der künstlerischen Auseinandersetzung zu den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb und in struktureller Hinsicht zu den einfachen geometrischen Grundformen – ähnlich den platonischen Basisformen – führen. Jedes Objekt ist aus drei Millimeter dicken Platten der härtesten Aluminiumlegierung gefertigt. Trotz des Prinzips der Reduktion ist immer eine menschliche Dimension gewahrt, das physische Maß wird nie überschritten. Wie bei einem natürlichen Brand haben sich kleinere oder größere Objektgruppen gebildet, die nur durch zufällige Sichtachsen miteinander in Beziehung stehen. Auch die Grundfarben leben mit der Intensität des Sonnenlichts. Mehr als eine Tonne Aluminium wurde in einem Arbeitsprozess verwendet, der für die Künstlerin das Wichtigste des Projekts war und die Gegensätze von Vielfalt und Einheit, von Individualität und kollektiver Erfahrung, von Trennung und Vereinigung in der künstlerischen Gestaltung zusammengeführt hat.
Die Installation ist bis 31. Oktober 2020 täglich bis Sonnenuntergang im freien Gelände der Erzabtei St. Ottilien bei Eresing/Geltendorf zu besichtigen. Ein künstlerisch gestalteter Katalog wird vorbereitet.