Rudolf Bussmann: Ungerufen
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Stefan Hölscher
Lyrik in klarer Sprache
Das Erste, was einem an
Rudolf Bussmanns im April 2019 in der edition bücherlese in Luzern publizierten
Gedichtband Ungerufen auffallen kann,
ist die liebevoll gestaltete Ausstattung. Der gut 100 Seiten umfassende
Hardcover Band lässt den Betrachter zunächst auf dem mit grünlichen
Pinselstrichen impressiv skizzierten Coverbild wie durch ein Fenster auf einen
Himmelsausschnitt schauen, auf dem ein kleines Stück Blau sich wie aus einer
dichten weißen Wolkenlandschaft herausschiebt. Der diesen Ausblick gewährende fensterartige
Rahmen scheint dabei allerdings wie ein Buch auf einer Fläche zu liegen. Was
sich so dem Betrachter zeigt, changiert zwischen Wahrnehmung, Vorstellung und
Phantasie. Es ist ein schlichtes, scheinbar alltägliches Phänomen, das sich
aber sogleich als doppelbödig und schillernd erweist. So erscheint es
unerwartet, ungerufen, fast wie ein
Kippbild sich ändernd.
Viele der Gedichte in
Bussmanns Lyrikband beziehen sich auf solche ungerufenen Momente: Situationen,
deren beobachtender Zeuge das lyrische Ich geworden ist und deren changierende
Bewegungen es dem Lesenden vor Augen führt – graphisch stimmig unterstützt
durch die skizzenhaften Kohlezeichnungen von Stephanie Grob, die sich zu Beginn
jedes der fünf Abschnitte des Buches finden.
Was die Gedichte des
1947 in Olten geborenen und in Basel lebenden Rudolf Bussmann, der außer Lyrik
auch Romane und Kurzprosa verfasst und zusätzlich als Herausgeber und
Übersetzer tätig ist, generell auszeichnet, ist eine klare, schnörkellose
Sprache. Seine überwiegend in freien Versen gehaltenen Gedichte zeigen mitunter
zwar auch Einflüsse konkreter Poesie, gehen damit aber insgesamt sehr
zurück-haltend um. Sie bleiben in ihren Wahrnehmungsreferenzen ebenso wie in
ihrem Duktus leicht zugänglich.
Stark und schillernd
finde ich die Gedichte, wenn sie die Dinge in der Schwebe lassen, so wie hier:
HerbsttagDer Morgen ist so dünnDass man durch die Wände siehtIn Küchen voll Trauben und ÄpfelIn der Stube kreisenUnruhig die SchwalbenUm die Palme im TopfAn diesem Morgen wo leiseIn den Muscheln der TreppenhäuserDie Meerjungfern singen
Stark erlebe ich Bussmanns
Lyrik immer wieder auch da, wo sie Scheitern, Vergehen und Endlichkeit
fokussiert. Hier ist Bussmanns Sprache oft gemeißelt klar und zugespitzt, ohne
dadurch eindimensional zu werden:
Hiob. Ein PortraitSeit er ohne Behausung istNimmt er schlechtes Wetter persönlichStreckt in den Nacht die Hand ausDen Mond zu melken, die Sterne zu mahlenDen faulen Apfel, den er gegessen hatErbricht er schon zum zweiten MalAuch der Miststock, auf dem er sitztIst nicht von ihm
Die Hühner, die er mit Perlen gefüttert hatLegen gewöhnliche Eier
Deutlich schwerer tue
ich mich hingegen mit denjenigen Texten, die ihren Sinn sehr eindeutig und nach
meinem Dafürhalten zum Teil auch etwas vordergründig vor sich her tragen:
RisikomanagementKomm zu mir jetztWo der Morgen nahtHalt mich festWenn es dämmertIm Dunkel der NachtBin ich gestandenHabe mit Fragen gelebt keine StilleWar mir zu still
Komm näher jetztWo es Tag wirdDie Antworten einfallenBleib.
Oder:
MitschriftIch weiß nicht wer ichUnd auf der Welt wozuSchreibSchreib auf
Dass du nicht weißt wer duNoch auf der Welt wozuSchreib aufSchreibSeist eben auf der WeltWer du nicht weißtZu sein
Hier fühle ich mich als
Leser manchmal so sehr in eine, noch dazu nicht ausgesucht originelle
Bedeutungsrichtung hineingeschoben, dass ich mich dann ebenfalls gelegentlich
frage „wozu“, und der Drang in mir entsteht, schnell zum nächsten Text
weiterzuspringen in der Hoffnung, dort wieder mehr Facettenreichtum und
schillernde Unschärfe zu finden.
Insgesamt hat mich die
Lektüre von Bussmanns Gedichtband etwas ambivalent zurückgelassen. So sehr mich
grundsätzlich die Klarheit seiner Sprache anzieht, so sehr entstand in mir auch
ein Hadern durch den Wechsel zwischen impressiv schillernden und nach meinem
Geschmack etwas zu schlichten Texten.
Rudolf Bussmann:
Ungerufen. Gedichte. Luzern (edition bücherlese) 2019. 112 Seiten. 27,00 Euro.