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Rosmarie Waldrop: Ins Abstrakte treiben

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Jan Kuhlbrodt

Zu Rosmarie Waldrop:
Ins Abstrakte treiben



Auf meinem Schreibtisch liegen jede Menge Bücher herum, die besprochen, bedacht oder noch gelesen werden wollen. Schwierig ist es, eine Regel, eine Abfolge zu entwerfen, die das Lesen strukturiert, zu groß ist die Verlockung der einzelnen Texte. Ich bin mir nicht sicher, ob es an meinen Vorlieben liegt, meiner intellektuellen Herkunft aus ökonomischer Wissenschaft, Soziologie und Philosophie, dass sich dieses Buch jetzt vor die anderen geschoben hat. Sicher aber ist es meine Faszination für und Liebe zu den Texten der deutsch-amerikanischen Schriftstellerin Rosmarie Waldrop. Ich lese von ihr, was ich in die Hand bekomme, und bin jedes Mal erstaunt, verwundert und auch gefordert von den Arbeiten, von dieser Symbiose aus intellektueller und lyrischer Schönheit. Sie merken: Hier schreibt ein Bewunderer und Fan. Warum aber sollte er das verbergen?

Ins Abstrakte treiben zielt letztlich ins Zentrum unserer gesellschaftlichen Verfasstheit. Es ist schon so, wie Karl Marx im berühmten Kapitel Vom Fetischcharakter der Ware seines Hauptwerkes Das Kapital schreibt: Die Tische beginnen zu tanzen, wenn sie Warenform annehmen, und Warenform heißt, dass konkrete und abstrakte Arbeit, die voneinander im Grunde nicht zu trennen sind, einen voneinander gesonderten Ausdruck bekommen, in materialer Gestalt der Ware und im Preis, der sich in einer Geldmenge ausdrückt, und diese Geldmenge, repräsentiert in geldwerten Zeichen, ist eben auch der Tisch.

In Waldrops Buch dann treffe ich zum Beispiel auf das Gedicht mit dem Titel Papiergeld. Die dritte Strophe setzt an:

Papiergeld. Ein Skandal, schlimmer als sich auszuziehen. Wer könnte einfach seinen Körper ausziehen? Vergessen, dass er ihn braucht? Bloßes Schreiben bis ins Geldwesen zu erstrecken – das an sich schon eine schwer zu verstehende Sprache ist. Und willkürlich hergestellt. Selbstgezeugt. Ohne im voraus nötigen Wohlstand. „Fliegend“, sagen die Chinesen. „Fliegendes Geld.“ Taucht auf aus dem Nirgendwo. Ist ahnungslos ausgegeben. Behält nichts.


Geld letztlich als Struktur und Bewegung, dessen Gehalt sich entzieht und an anderer Stelle wieder als etwas anderes materialisiert. Als Sauerteig vielleicht, wie in einer anderen Strophe des gleichen Gedichts. Schnöder Mammon über den man schön schreiben kann. Über das Wunder seiner Wandlung.

Ich kannte nicht die Rolle von Sauerteig beim Brotbacken und bin unfähig, eine Getreideart von der andern zu unterscheiden. Träume aber oft, dass ich träume. Ohne die geringste Anstrengung.


Waldrops Untersuchung von Abstraktionsprozessen, von Realabstraktionen, um hier einmal einen Terminus marxistischer politischer Ökonomie zu gebrauchen, reduziert sich aber nicht auf den Terminus Geld. Auch die Null, ohne die der Ganze Kapitalismus nicht darstellbar wäre, die in ihrer Nichtigkeit das Zählen im Grunde erst ermöglicht, aus der erst Menge erwächst, wird Gegenstand lyrischer Betrachtung, genauso wie die Perspektive in der bildenden Kunst und die Unendlichkeit.

Und um einem Missverständnis vorzubeugen: Waldrop singt keineswegs ein Loblied des Kapitalismus, vielmehr verweist sie auf die in seinen Strukturen entstandenen und vielleicht gefangene Schönheit, denn Schönheit ist Form. In mir jubeln der Literat, der Philosoph und der Ökonom zu gleichen Teilen.

Vielleicht ist Englisch die diesem Thema angemessene Sprache, war Großbritannien doch das Mutterland des modernen Kapitalismus, vielleicht haben Sprache und Formation sich ineinander geschlungen, aber Elfriede Czurda und Geoff Howes, die sich mit diesem Band in die illustre Schar der Waldrop-Übersetzerinnen und -Übersetzer einreihen, ist es gelungen, den Texten ein Deutsch anzupassen, das sich als adäquate Sprache erweist.

Als Parallellektüre sei hier das Poeticonheft Geld von Katharina Schultens empfohlen. Auch hier geht es um Verwicklungen und Abhängigkeiten. Aber auch um Befreiung. Und dieser Essay treibt weniger ins Abstrakte, sondern beschäftigt sich mit den höchst konkreten Auswirkungen des beschriebenen Verhältnisses.


Rosmarie Waldrop: Ins Abstrakte treiben. Übers. von Elfriede Czurda und Geoff Howes. Wien (Edition Korrespondenzen) 2015. 112 Seiten. 19,00 Euro.

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