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Rosmarie Waldrop: Das Proben der Symptome

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Jan Kuhlbrodt

Rosmarie Waldrop: Das Proben der Symptome. Englisch / deutsch. Herausgegeben und aus dem Amerikanischen übersetzt von Ann Cotten. Providence, Wien und Schupfart (roughbook 055) 2021. 48 Seiten. 8,00 Euro.

Zu Rosmarie Waldrop: Rehearsing the Symptoms / Das Proben der Symptome


Es ist für mich das passende Buch zu Ostern. Denn Ostern ist, zumindest für mich, doch ein trotziges Fest. Ein Fest, das gefeiert wird im Angesicht eines Sterbens und währenddessen die Feiernden gerade deshalb ans Leben sich klammern.

„Es ist wahr, dass ich trödle, als ob ich Zeit hätte, die Bildung geologischer Schichten zu beobachten. Obwohl die Nacht schon durch meine zerbrechlichen Knochen sickert.“ Heißt es bei Rosmarie Waldrop in einer Strophe unter der Überschrift „Tun“.

Wenn man roughbook-Abonnent ist, hatte man vor einigen Tagen diesen schmalen Band im Postkasten.

Übersetzt wurden die Texte von Ann Cotten. Irgendwo hatte ich schon einmal meine Freude über diesen Chiasmus ausgedrückt (und als Hegelianer freut man sich über jeden Chiasmus naturgemäß doppelt): Nämlich, dass die in den USA geborene Ann Cotten die Texte der in Deutschland geborenen Waldrop aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzt. Abgesehen davon bewundere ich die Arbeit beider Autorinnen und versuche, jedes Fitzelchen Text habhaft zu werden, das von ihnen veröffentlicht wird. Das ist allerdings nicht so einfach, denn gerade Ann Cotten ist ungemein produktiv.

Das Buch, um das es hier geht, ist also gerade als roughbook 055 erschienen. Es enthält Gedichte, die in den letzten Jahren in verschiedenen Zeitschriften erschienen sind und 2019 zu dem Buch zusammengefasst wurden, das wiederum bei rain taxi in Minneapolis in limitierter Auflage erschien.

Die Texte zu beschreiben, fällt leicht, geht aber wie jede Beschreibung notwendig fehl. Die Überschriften der einzelnen Prosagedichte sind allgemeine Begriffe, bedeutungsschwer und seit langem in den Diskursen verankert: Wollen, Denken, Zweifeln und so weiter.

Aufgrund der Titel erinnert das Unternehmen an die Auswahl von Artikeln einer Enzyklopädie, jenen hybriden Unternehmen, die immer wieder mal angefacht werden, das Weltwissen ordnend zusammenzufassen und in lexikalische Reihenfolge zu bringen, die notwendig aber immer als Fragment enden. Deshalb gab Hegel seiner Enzyklopädie genannten Unternehmung seinerzeit auch eine Dynamische Struktur, denn er wusste, dass Wissen sich nicht photographisch-erschöpfend abbilden lässt.

Und auch Waldrops Prosagedichte erschaffen in sich jene dynamischen Momente, in denen sich die Festigkeit des Dogmas verliert, wissend um die Dauer der Bewegung und die Endlichkeit des Subjekts, das diese eine Zeitlang verfolgt. Und vielleicht ist es ja die Angst vor der Endlichkeit, die die Dogmatiker in die Starre treibt, die in den Waldrop-Texten aufgelöst wird und ihr es ermöglicht, Worte zu lieben.
    „Worte lieben“ heißt nämlich der letzte Text dieses schmalen Buches. „Und die Welt kehrt mit der Abhängigkeit von Satzteilen zurück.“ Der Tod verliert seinen Schrecken vielleicht in der Formulierung, aber eben nicht seine Gewissheit.

Natürlich erzeugt dieses Wissen um die eigene Endlichkeit Melancholie. Die Melancholie in den Dingen wird genau durch dieses Wissen erzeugt. Und in der Reflexion daraus wiederum entsteht nicht nur Demut, sondern auch Trotz.

„Ich bezweifle nicht, dass ich sterben werde, ich bezweifle – wenn ich in Providence bleiben werde – , dass es zur Beerdigung gutes Wetter geben wird.“


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