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Ron Padgett: Die schönsten Streichhölzer der Welt

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Timo Brandt

„There’ll never be anyone like you. How embarrassing.“


„Sie sind erstklassig verpackt, kompakte
kleine Schachteln mit dunkel- und hellblauem und weißem
Etikett mit Worten gesetzt in Form eines Megaphons,
als wollten sie umso lauter in die Welt posaunen:
Hier ist das schönste Streichholz der Welt
[…]
so schlicht und wild
darauf aus sich zu entflammen.“

Dies eines der Gedichte, die der Busfahrer Paterson in Jim Jarmuschs gleichnamigem Film in sein Notizbuch schreibt, die einfachsten Lebensumstände besingend, ganz wie sein großes Vorbild William Carlos Williams. Allerdings sind die Gedichte eben keine Erfindungen von Jarmusch, sondern stammen sämtlich aus der Feder von Ron Padgett, seines Zeichens New Yorker Dichter, Mitstreiter bei den „Lunch Poets“ um Frank O’Hara und einer der lebensbejahendsten Poeten, die mir bisher aufgefallen sind.

„Lebendig wie ich
Mit Opus 6 als Nervensystem
Durchpulst mich Zeit wie Sterne nervöser Energie“

Diese Lebensbejahung hat allerdings nichts Heischendes, nichts Grölendes oder Überbordendes. Eher etwas Simples, Behutsames, teilweise Joviales. Und doch haben die Texte die Fähigkeit, mich ganz und gar zu verblüffen – und sie verbürgen auf eine einzigartige Weise für die Schönheit des Alltags, des Lebens. Langsam entfalten sie sich, köstlich fast, aber eigentlich ungemein zärtlich, mit vielen Spielereien; in den besten Momenten ist ihnen eine selbstverständliche Zuneigung eigen, der die glasklare Vertonung von Augen-blicken gelingt.
    Augenblicken verschiedenster Art. Es kann der Moment sein, in dem man aus dem Fenster schaut. Der Moment, in dem man eine anziehende Person sieht und sich wundert, dass sich keine erotischen Gedanken einstellen.

Ein Moment, in dem ein Gegenstand Assoziationen ohne Ende auslöst. Oder der Moment, in dem man begreift, dass man seine Mutter zu Lebzeiten nicht mit vollem Bewusstsein geliebt hat, beschäftigt, wie man war mit seinem eigenen Leben. Oder andere alltägliche Momente von geradezu unwirklicher Einfachheit.

When I wake up earlier than you and you
are turned to face me, face
on the pillow and hair spread around,  
I take a chance and stare at you,
amazed in love and afraid
that you might open your eyes and have  
the daylights scared out of you.

Wenn ich früher als du aufwache und du
liegst mir zugewandt, Gesicht
auf dem Kissen und Haar darüber hin,
pack ich die Gelegenheit und starr dich an,
gebannt von Liebe und in Furcht,
du könntest deine Augen öffnen und
vom Morgenlicht erschrocken sein.
Die Beispiele aus dem Film romantisieren und zähmen Padgett allerdings etwas. Denn er ist durchaus auch ein ausgelassener Dichter, der wilde, pittoreske, geradezu surreale Höhen der Imagination erreicht, flüchtig zwar nur und nie wirklich ambitioniert, eher aus Laune und Vergnügen, aber dennoch: seine längeren Gedichte spielen mit der Macht der Phantasie, den Referenzen und hinterfragen oft ihren Aufzeichnungscharakter, die Verschriftlichung, klopfen die Sprache ab. Manchmal erinnern sie in ihrem Austoben an Gedichte von Matthew Sweeney, zumindest in ihrer elegant-fabulösen, geradezu leichthändigen Gangart.

„Du wirst die rechten Worte finden, um aus
Schwindelnder Höh‘ über die Welt zu staunen!“

Die Übersetzungen von Jan Volker Röhnert sind fast durchgehend sehr gelungen, mit dem richtigen Maß an Zärtlichkeit und Genauigkeit, welches Padgetts simple, behutsame Dichtung verlangt. Es gibt natürlich kleinere Ausnahmen, Stellen, bei denen ich den Gedankengang hinter der Übersetzung nicht ganz verstehen kann, vor allem wenn sich die Übersetzung eine zu eigene Wendung herausnimmt, was gegenüber dem klaren Ton von Padgett dann doch etwas deplatziert wirken kann. Beispielsweise in diesem Gedicht über Cendrars:

„Blaise Cendrars in seinen letzten Tagen, alt
und krank, schrieb seine letzten Worte hin:
Ein Vogel heute Morgen auf der Fensterbank.
Ich finde das über jeden Begriff
anrührend und schön, obwohl
ich auch den greisen Dichter dabei sehe, das Haupt
gereckt zum Fenster und ein kleiner Vogel
hockt dort. […]
Morgen, Fensterbank  und Vogel
sind verflogen. Mach’s gut, mach’s gut.“





(I find that so beautiful and moving
I can barely stand it)
Es ist eine elegante Lösung, das „barely stand it“ mit „über jeden Begriff“ zu übersetzen, eine schöne sogar – aber sie führt, finde ich, weg von der Unmittelbarkeit, die in Padgetts Wortwahl und Satzgefüge steckt. Allerdings klingt dieselbe unmittelbare Einfachheit im Deutschen vermut-lich weniger poetisch und zu profan – insofern ist diese Ummodelung nicht wirklich zu tadeln.

„I love her. What does that mean?
It means something that you, if you’re young,
might be lucky enough to feel someday
though you, like me, won’t know
what it is. You’ll wake up and think
Now I know what he meant
by not knowing, and you’ll feel good.

„Ich liebe sie. Was bedeutet das?
Es bedeutet etwas, das dir, wenn du jung bist,
vielleicht eines Tages das Glück verschafft,
es zu empfinden, wenn du auch wie ich nicht
wissen wirst, was es ist. Du erwachst und denkst:
Jetzt weiß ich, was er mit
nicht wissen meinte, und fühlst dich gut.”
Die liebenswerten Dichter*innen, es gibt ihrer zwar einige, aber weniger als man denken sollte. Padgett ist ein liebenswerter Dichter durch und durch. Seine Verse gebärden sich nicht intellektuell, höchstens spielerisch-verkopft und selbst bei größeren Themen findet er einen Weg, die großen Ansprüche in seinen Versen aufzubrechen, zu glätten, die Dinge aus ihrem komplexen Gespinst zu heben und klar anzusehen.

„Sometimes it leads somewhere“ sagte Padgett einmal über das Gedichteschreiben. Seine Gedichte führen selten zu großen Erkenntnissen, bringen kein Licht ins Ungewisse, vielmehr behalten sie das Ungewisse bei und richten lediglich mitten in der Ungewissheit eine kleine Form von Gewissheit ein – einen Kern, den alles Ungewisse ungehindert umkreist.

Und so kann man mit Ron Padgett das Leben feiern, die kleinen Dinge, die Momente der Entfaltung, des Lebendigseins, der Imagination, der Freude, der Ruhe. Ich freue mich nach wie vor riesig, dass die Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung und Jan Volker Röhnert diesen Band gemacht haben – bei mir hat er einen Ehrenplatz im Lyrikregal.

„Und so purzeln und plappern wir
zum großen Vergnügen
unseres höheren Selbst,
das unauffindbar ist,
sein Lachen endlos widerhallend
in den wenigen Momenten, die uns vergönnt.“
         

Ron Padgett: Die schönsten Streichhölzer der Welt. Gedichte. Englisch / deutsch.  Hrsg. und übersetzt von Jan Volker Röhnert. Mainz (Diederich'sche Verlagsbuchhandlung) 2017. 280 Seiten. 22,00 Euro.
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