Robert B. Brandom: Im Geiste des Vertrauens
Rezensionen/Lesetipp > Rückschau
Jan Kuhlbrodt
Robert B. Brandom: Begründen und Begreifen. Eine Einführung
in den Inferentialismus. Über-setzt von Eva Gilmer. Berlin (suhrkamp taschenbuch
wissenschaft) 2004. 264 Seiten. 21,00 Euro
Robert B. Brandom: Im Geiste des Vertrauens. Eine Lektüre
der Phänomenologie des Geistes. Übersetzt von Sebastian Koth und Aaron
Shoichet. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2021. 1196 Seiten. 62,00 Euro.
Die Erinnerung der Erinnerung
Ich lese gerade in Robert B. Brandoms Buch „Begründen und
Begreifen“; um das ich vor Jahren vor allem des Titels wegen wahrscheinlich
einen weiten Bogen gemacht hätte. Im Titel hätte ich Brandoms Gangart, die sich
gewiss seiner Beschäftigung mit Hegel verdankt, nicht erkennen können.
„Im Geiste des Vertrauens, eine Lektüre der Phänomenologie
des Geistes“, heißt Brandoms Hegelbuch, das 2021 bei Suhrkamp erschienen ist,
und bald auch als Taschenbuch erhältlich sein wird. Auf dem schwarzen
Schutzumschlag der Hardcover-Ausgabe natürlich eine Eule, die sich aus dem
Dunkel schält. Also Abenddämmerung?
Mit 1200 Seiten ist dieser Ziegel etwa doppelt so dick, wie
das Werk, auf das er sich bezieht. Eine Belastung für die Handgelenke, wenn man
ihn im Stehen liest, es empfiehlt sich also unbedingt ein Tisch oder eine
Couch. Aber lesen sollte man es.
Das Buch ist, unter anderem eine Art Übersetzung der
Hegelschen Terminologie in die einer analytischen Philosophie, oder eine
Beschreibung eben dieses Übersetzungsprozesses, der auch ein Verstehensprozess
ist. Brandom bringt mir die analytische Philosophie näher, wie sonst kein
anderer, ausgenommen vielleicht Arthur C. Danto, der in seiner Kunstphilosophie
auch mehr oder weniger offensiv an Hegel anknüpft.
Brandom entdeckt im Hegeltext hin und wieder „dunkle
Seiten“, eine Art terminologischen Nebel, den er aufzulösen versucht, in dem er
begrifflich präzisiert. Und wer ist bei der Hegellektüre nicht auch durch
dichten Nebel gegangen? Das braucht Raum, und den nimmt sich Brandoms Text.
Auch wenn die kurzen Zusammenfassungen am Ende der Kapitel etwas Didaktisches
haben, sind sie dem Leser doch hilfreich, zumindest geht es mir so. Aus dem
Amerikanischen übersetzt wurde das Werk übrigens von Sebastian Koth und Aaron
Shoichet.
Brandom ist ein Hegelianer, der sich mit Ergebnissen nicht
abspeisen lässt, und fügt der Hegelschen historischen Betrachtung, die er als
horizontale begreift, eine vertikale hinzu, die er die Methode des
„semantischen Abstiegs“ bezeichnet. Er versucht den Begriffen, die von Hegel in
ihrer historischen Notwendigkeit dargestellt werden, analytisch auf den Grund
zu gehen.
„Mein wichtigstes Anliegen besteht jedoch darin, die zentralen Lehren Hegels explizit zu machen (was wir von ihm über die Verwendung und den Inhalt gewöhnlich-deskriptiver, gewöhnlich-praktischer Begriffe lernen können) und somit die expressive Kraft der Metabegriffe zu verbessern, die unser eigenes semantisches und pragmatisches Selbst-bewusstsein gliedern.“
Brandom verfährt also nach einer vollkommen anderen Methode
als zum Beispiel Hamacher in seinem Buch „Mit ohne Mit“, der sich eines
dekonstruktivistischen Bestecks bedient, mit dem er sich Hegelschen oder
Marxschen Texten zuwendet.
Hamachers Lektüre, hier unter anderem der Hegelschen
„Wissenschaft der Logik“, ist eher detektivisch, geht auf Verborgenes. Es spürt
dem „gesagt Ungesagtem“ nach, dem, was „die Sprache verschweigt“ und in diesem
Verschweigen ausdrückt.
Die Erkenntnis also, wenn man davon reden kann, also das,
was der Hegeltext bedeckt, erscheint als mehrfach gebrochen und abgelenkt. Und
das Sprechen ist ein Versprechen, ein Wechsel auf die Zukunft, deren Grammatik
sich erst noch erweisen muss.
Lenin wiederum, der große Vereinfacher des Marxschen und des
Hegelschen Gedankengebäudes, hat irgendwo behauptet, dass Marx Hegel vom Kopf
auf die Füße gestellt habe, als könne man mit den Füßen denken und auf dem
Kopfe gehen. Dass das nicht funktioniert, war schon Büchners Lenz sauer
aufgestoßen!
Was Brandom aber macht, um auf den Kern des Eingangs zurückzukommen,
ist, dass er Hegel auf die Seite legt, zumindest die Phänomenologie, um in den
Motor schauen zu können, um den Antrieb zu verstehen.
Bei der Lektüre des vierten Kapitels im ersten Teil
(Verständnis und Struktur von Gegenstand und Eigenschaft durch Negation ...)
fiel mir auf, dass man mit der Verschiebung des Vokabulars, wie Brandom sie
versucht, auch in einer Marxschen Analyse des Kapitals, die Hegels
philosophische Begrifflichkeiten in ökonomische verwandelt, jenen
metaphysischen Kern freilegen kann, der der Brennstoff Marxschen Denkens
gewesen sein muss.
Es wäre ein Rückverwandeln. Und Brandom spricht auch
bezüglich des Hegelschen Weges von Erinnerung.