Richard Wagner: Gold
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Timo Brandt
Simple sounds mit stiller Stärke
„Ich sitze bei McDonald’sund schreibe ein GedichtEs ist der einzige Ortan dem man ungestört istIch nenne das Gedicht»Das Burger-King-Gedicht«“
Bei
manchen Dichter*innen braucht es mehr als ein Jahr, ihre Bände zu lesen. Bei
Nico Bleutge, zu dessen grandiosem Band aus dem vergangen Jahr ich vor kurzem
eine Besprechung geschrieben habe, hatte das etwas mit der Lust am sich-Versenken,
mit Wiederlesen, mit Intensität zu tun. Der Band war einfach nicht ausgelesen,
bevor ich mich nicht an allen Nuancen ein wenig erfreut hatte (wobei ich
bezweifle, dass es bereits alle waren, selbst nach einem Jahr).
Bei der Sammlung von Richard Wagners (es ist nicht der Komponist, sondern ein
rumänisch-deutscher Schriftsteller) Gedichten war der Grund ein anderer,
obgleich auch hier das Auslesen des Bandes über ein ganzes Jahr gedauert hat.
Doch war es weniger eine Form von Intensität, die mich währenddessen
beschäftigte, mehr eine Form von Unentschlossenheit. Nach fast jedem Gedicht,
das ich las, war ich unentschlossen, ob ich weiterlesen wollte.
Für
einen Gedichtband eigentlich eine fatale Dynamik. Man legt Gedichtbände
durchaus mal beiseite, weil man fürs erste genug hat: genug zum Denken, genug
Eindrücke; man ist nicht mehr wirklich aufnahmefähig. Aber eigentlich
entwickeln gute Gedichtbände schon so etwas wie ein Suchtpotenzial, einen Sog.
Sie werden zu einem Kosmos, den man, wenn man ihn einmal betreten und den ersten
Eindruck von seinen Reichtümern gewonnen hat, sofort gänzlich erforschen will.
Im besten Fall erforscht man manche seiner hintersten Winkel oder größten Säle
wieder und wieder.
„Wachgerüttelt
vom Getösebeim Falldes Schokoriegelsins offene Fachsiehst duwie die S-Bahn soebenin die Zukunft rastSie fährt dir davonund dir ist es egal“
Bei
Wagner war es anders: jedes Gedicht schien mir irgendwie fragwürdig. Nicht
unbedingt auf eine schlechte Weise – aber auch wiederum nicht unbedingt auf
eine gute, der Sprachkonzentration des Gedichtes üblicherweise innewohnenden
Weise. Es war etwas Irritierendes an ihnen, an dieser simplen Verrichtung, die
sie ausstrahlten, die auch bei genauerer Analyse keine zusätzlichen Dimensionen
offenbarte und doch in einem Maße ungreifbar blieb, das schon wieder etwas
Poetisches hatte.
Obwohl
es in diesen Gedichten oft um Regungen geht, sind sie eigentlich regungslos.
Auf gewisse Weise: emotionslos. Wobei: verwechsle ich da Emotionslosigkeit und
formale Reduktion? Und geht das eine mit dem anderen schlicht einher? Eher
nicht. Aber inwiefern ist mir persönlich als Leser der emotionale Aspekt beim
Gedicht wichtig und inwiefern ist er objektiv wichtig?
„Die Schwalben waren wieder daUnd wir nannten siewie in jedem Jahrauch diesmalSchwalben“
Man
könnte sagen: es stellten sich Fragen über Fragen, die mit der Zeit aus den
Gedichten für mich eher wechselnde Anschauungsobjekte, Versuchstiere machten.
Und erst als ich zu den letzten dreißig Seiten kam, wo ich aufgrund eines
Gedichtes über den Schwalbenflug meine bisherigen Überlegungen zum ersten Mal
vollkommen beiseiteließ, begriff ich langsam, wie in manch unbedeutender
Aussage etwas lag, das einem zuflüsterte: dieses ganze Heischen nach Bedeutung:
was für ein komisches Spiel. Danach erkannte ich diesen Zug immer wieder, er
blitzte aus vielen Versen von Wagner hervor; aus dem Lapidaren und
Unterkühlten, das sich in seinen Texten versammelte und redete.
„In der Not wir das Gold gewogenund in der Verzweiflungschluckt man die Uhr.“
Diese
Erkenntnis hat mich nicht mit dem Band, den ich danach noch einmal von vorne
las, versöhnt. Einige Gedichte konnte ich jetzt aber ganz klar (für mich) als
zu flach, zu wenig aussagekräftig, mit zu wenig Einlassung betrieben,
bezeichnen. Bei anderen aber steckte die Aussagekraft in den nebensächlichen
Sätzen, den zunächst uninspiriert wirkenden Beschreibungen, der kleinen Geste.
Und darin entfalteten sie tatsächlich poetische Dimensionen.
Ich weiß
nicht, ob man „Gold“ wirklich zur Lektüre empfehlen kann. Wobei ich wiederum
glaube, dass die Auseinandersetzung mit dem Buch fruchtbar ist; aber vielleicht
hat dieser Eindruck zu viel mit meiner eigenen Erfahrung zu tun und kann nicht
als objektiv gelten. Ich glaube schon, dass der Band auch bei anderen Lesenden
Fragen nach der Substanz poetischer Aussagen aufkommen lassen würde, aber ob
das ein Grund ist, Gedichtbände zu kaufen – zumal wenn man Nico Bleutge oder
Ann Cotten oder andere Dichter*innen über ein Jahr aus ganz anderen Gründen,
Gründen des Rausches und der Begeisterung, der ständigen stillen Freude, mit
sich herumschleppen kann – ist wohl zu bezweifeln.
„Noch rauschen die Wälder in uns.Wer kein Gefühl hat,lässt sich eines machen.Ich starre mich an.Ich bin ganz ruhig.Ich starre mich an.“
Richard Wagner: Gold. Gedichte. Berlin (Aufbau Verlag) 2017. 208 Seiten. 20,00 Euro.