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Poesie und Begriff, Teil 1

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Martina Hefter,
Jan Kuhlbrodt


Poesie und Begriff - Selbstversuch, Teil 1



Lieber Jan,

heute will ich mit dir einen Mailwechsel über das Buch “Poesie und Begriff” beginnen. Mein Impuls, das Buch zu lesen, war ein ganz merkwürdiger: Der Titel klang für mich so einschüchternd und abschreckend. Keine Ahnung, worum es gehen sollte. Um Positionen zeitgenössischer Dichtung, wie der Untertitel lautet. Ja, das interessierte mich schon. Aber Poesie und Begriff, ich verstand nicht, was damit gemeint sein könnte. Allein schon, dass ich nicht weiß, was “Begriff” bedeuten soll. Ich dachte immer, ein Begriff ist eben ein Begriff, eine Art anderes Wort für “Wort”. Wegen der Zeichnung von Andreas Töpfer auf dem Umschlag war ich aber neugierig, und auch, weil ich die Autorinnen und Autoren, die im Buch versammelt sind, schätze, bzw. ihre Arbeiten schätze. Hauptimpuls aber war: Das Buch befeuerte einen absurden Wissensdurst in mir. Ich wollte wirklich ganz genau verstehen, was darin verhandelt wird.

Das kann für dieses Buch auch ein guter Test sein: Wie sehr teilt es sich auch den Laien mit? Kann es mir etwas beibringen? Ich sage nicht, dass es das muss! Ich mache einen Selbstversuch. Aufgabe ist, alle Aufsätze im Buch zu lesen. Kein Aufsatz darf ausgelassen, alle Texte müssen komplett bis zum Ende durchgelesen werden. Ich muss aber nicht der Reihenfolge nach lesen, in der die Texte versammelt sind. Und dann schaue ich, ob ich etwas, bzw. was ich am Ende verstanden habe. Während des Lesens, oder danach, mache ich mir Notizen, sie dürfen kurz oder lang sein, so oder so aussehen. Die schicke ich dir, lieber Jan, und vielleicht kommen wir dann ins Gespräch, über das Buch am ehesten und wie es dir gefallen hat.

Zu Beginn aber eine, einzige, Ausnahmeregel: Das Vorwort darf ich auslassen. Beim Vorwort nämlich schmiss ich gleich nach den ersten zwei Seiten hin, da half aller Zwang nichts. Ich empfand es als extrem anstrengend, das zu lesen, und außer, dass ich immer müder wurde, kam nichts dabei heraus. Im Unterschied zu den Texten der Dichterinnen und Dichter ist das Vorwort reiner Fachtext, aus einem Gebiet, von dem ich nichts weiß, es ist (zunächst jedenfalls) sinnlos für mich, es zu lesen, als würde ich bei meinem ersten Klavierunterricht sofort mit einem sehr schweren Stück anfangen müssen.

Ich lese als ersten den Beitrag von Monika Rinck:


Sie schreibt, sie wolle und könne keine Definitionen von Poesie und Begriff geben, und dass es, so habe ich es jedenfalls verstanden, gefährlich sein könnte, die beiden - äh -  Begriffe? Sachen? aneinander zu halten. Es gefällt mir, wenn Monika Rinck von “aneinanderhalten” spricht: ich sehe sofort zwei aus Lampionpapier ausgeschnittene Kreise: der blaue ist “Poesie”, der rote “Begriff”. Dann hält man beide aneinander. Also, halt: Legt man sie übereinander? Dann hätte man eine neue Farbe, oder man könnte sehen, ob irgendwo etwas übersteht, ein Rand hervorschaut. Oder hält man beide Papierkreise nebeneinander in Händen? So oder so, ich weiß aber noch immer nicht, was vor allem ein “Begriff” ist. Also weiter lesen. Oha, ich verstehe etwas, unscharf und verwaschen zwar, aber immerhin. Kann es hier jedoch nicht wiedergeben. Ich verstehe den Text nur, solange ich dabei bin, ihn zu lesen. Sobald ich aufhöre mit dem Lesen, bin ich draußen und weiß nicht mehr, was gesagt wurde. Ich fahre die Sätze mit den Augen ab und ahme die Gedanken darin nach, fühle mich dabei wohl. Wenn ich nun immer öfter diesen Text läse, vielleicht würde ich nach und nach etwas davon verstehen, auch wenn ich mich außerhalb des Lesens befände.

Jetzt bist du dran, lieber Jan: Du musst mir jetzt schreiben, was in Monikas Text steht.



Liebe Martina,

ich werde nicht schreiben, was in Monikas Text steht, denn dazu müsste ich ihn abschreiben. Und ihn abzuschreiben, habe ich keinen Anlass, denn wir haben ja das Buch. Ich kann aber versuchen, ein paar Punkte zu benennen, die mich an Monikas Text interessieren. Zunächst einmal beginnt sie ihren Text mit einer begrifflichen Vorüberlegung, da sollten wir uns aufhalten, denn das was, sie dann am eigenen Text ausführt sollte jeder (jeder) selbst lesen. Dass wir alle, oder die meisten von uns nicht über das Verhältnis von Wort und Begriff nachdenken, liegt, denke ich, am (scheinbar) unproblematischen Alltagsverhältnis beider. Sie führen im außertheoretischen Sprachgebrauch eine mausgraue Ehe, treten zusammen auf, sind kaum voneinander zu unterscheiden, und wenn einer fehlt, denkt der Freundeskreis sich den anderen automatisch mit. In der Wissenschaft (der philosophischen) und in der Dichtung aber wird aus ihrem Verhältnis ein problematisches. Die Philosophie versucht sich als Therapeut, will das Verhältnis klären, lässt das Paar sich erstmal streiten, um sie dann mit neuem Selbstbewusstsein aufzubauen, und sie ist ein wenig parteiisch dabei auf der Seite des Begriffs, den sie bildet und stärkt. Aber was macht die Dichtung?

Hierzu finden sich eben einige Hinweise bei Monika Rinck. Und Dichtung macht vor allem eines, sie riskiert schon mal eine Scheidung, eine Trennung von Wort und Begriff: “Dort wo Begriffsbildung ausfällt, tritt Projektion an ihre Stelle.”, schreibt Monika. Und was für die Philosophie zum Problem wird, weil sie genau hier ins Ideologische kippen kann, wird für die Dichtung zur Chance: “Wir kennen aber auch Fälle, wo die Kappung der begrifflichen Anbindung zu Texten geführt hat, die erheitern, befreien, und sich immer wieder genießen lassen.” Lachen und Befreiung ist eine sehr alte Kombination. Man könnte sagen, dass sich das in Monikas Text findet, der der philosophischste im ganzen Buch ist, vielleicht ist es aber auch nur Projektion.


Lieber Jan,

mir fällt noch ein, dass ich mich an einem Textabschnitt länger aufgehalten habe: Monika Rinck nennt verschiedene Dichterinnen und Dichter, und fragt, ob diese womöglich sowohl begrifflich, als auch poetisch arbeiten, darunter unter anderem die kanadische Dichterin Anne Carson. Von ihr habe ich ja einiges gelesen, und ich hatte dann eine irrsinnige Hoffnung, ich könnte anhand ihrer Bücher nun endlich rausfinden, was es mit Poesie und Begriff auf sich habe. Ich dachte, es könnte bedeuten, dass Texte/Gedichte entweder auf eine gewisse Art verhandelnd sind, dann ist es mehr “Begriff”, oder eben nur Sprachgebilde, die z.B. lautlich arbeiten, dann wäre es eher “Poesie”. Aber sobald Wörter im Spiel sind, kann es ja nicht reine Poesie sein? Dann müsste man Musik nehmen? Oder ist das so alles zu einfach? Ach, es ist zum Heulen, ich werds nie kapieren. Trotzdem hat der Text von Monika Rinck mir gefallen, ich habe ihn sehr gern gelesen und ich fühle mich auf eine unbestimmbare Weise jetzt klüger.


Liebe Martina,
nur kurz noch zu dem Punkt. Ich denke dieses Verhältnis von Poesie und Begriff ist ein dynamisches, weil ja denke ich jeder Begriff vorläufig ist. Und vielleicht liegt ja in dem andauernden Konstruieren und Rekonstruieren von Begriffen eben die Poesie der Philosophie. Jedenfalls das, was sie fruchtbar macht. Eine anhaltende Vorläufigkeit.


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(Armen Avanessian, Anke Hennig, Steffen Popp:) Poesie und Begriff. Positionen zeitgenössischer Dichtung. Mit Beiträgen von Ann Cotten, Franz Josef Czernin, Oswald Egger, Elke Erb, Daniel Falb, Steffen Popp, Monika Rinck und Ulf Stolterfoht. Zürich (diaphanes Verlag) 2014. 198 Seiten. 24,95 Euro.

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