Philipp Létranger: Drei Gedichte
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Philipp Létranger
Drei Gedichte
wehrhaftigkeit
es war das jahr
in dem wir eine neue sprache lernten
ihr klang war metallisch und hart; wörter
gruben sich tief ins land.
wir lobten sie
für die chirurgische präzision
mit der sie die wirklichkeit trafen.
und was für ein glück
es gab alte bestände
schrille vokale
das ächzen des gerölls
wenn wir beim frühstück
trümmerteile kauten
all das wurde uns geläufig; hybrid
war plötzlich kein fremdwort mehr
reichweitennachteile in aller munde
man sagte uns
nun wären wir endlich
aus unseren träumen aufgewacht
wüssten
dass man worten nicht trauen kann
dabei hatten wir
nicht einmal begonnen
zu träumen
"wehrhaftigkeit" gewann den Hauptpreis für Lyrik beim Hildesheimer Literatur-Wettbewerb 2024 (Motto: Über Grenzen)
der horizont zum greifen nah
dezemberwind
ich zieh den kragen hoch
und der himmel passt nicht mehr
in die gedichte
bald werd ich wieder am seeufer
stehen
den hungrigen nächten dürre worte
zuwerfen
für eine erinnerung
der duft der momente
wenn finger die grenzen vergaßen
dein blick
der abschied nahm
und ging
vom haus gegenüber winkten birken
darüber die wolke das blau
verließen mich nie
hinter den hügeln
wartet die welt
vom ungehorsam der wörter
ich beobachte die wörter
spielen jetzt gerne
nah an den klippen, wollen nicht
in ordentliche sätze
es hilft nicht, nach ihnen zu rufen
du kannst ja nicht wissen, wo
sie sich verstecken
in den klüften
der erinnerung
besser, erfinderisch damit umgehen
andere, ungewohnte nehmen
wie mutter
ach hätte ich nur mitgeschrieben
aus unseren tischgesprächen
erstaunliche gedichte