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Petropol

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Petropol


Nächtlicher Versuch einer Übertragung und Rückübertragung.

Mandelstam Celan ▪ Bulatovsky



„Die Poesie unterscheidet sich dadurch von automatischer Rede, dass sie uns inmitten des Wortes weckt, aufstört. Dann erweist sich das Wort als sehr viel länger, als wir dachten, und wir erinnern uns, dass Sprechen immer Unterwegssein heißt.“

Dieses Zitat stammt aus Ossip Emiljewitsch Mandelstams Essay „Gespräch über Dante“, den ich sehr viel früher las, als eines seiner Gedichte. Der Essay war 1984 in einer zweisprachigen Ausgabe im Leipziger Verlag Gustav Kiepenheuer erschienen, und gehörte zu jenen Büchern, die ich Jahre ehrfurchtsvoll umkreiste. Ich konnte das Buch an jeder Stelle aufschlagen und ein, zwei Sätze der Übertragung lesen, dieser Feier der italienischen Sprache und der Sprache überhaupt, und damit befand ich mich in einer Parallelwelt, die der meinen zwar ähnelte, aber bei einigen Hinschauen doch eine fremde war. Dieser Eindruck der Fremdheit verstärkte sich natürlich noch, wenn ich mich der Seite mit der Originalversion zuwandte. Zwar hatte ich in der Schule acht lange Jahre die russische Sprache erlernt, doch vor diesem Text versagte mein Vermögen. Und das war nur bedingt auf das schmale Vokabular zurückzuführen, dass mir zur Verfügung stand. Ich hatte das sozialistische Bruderrussisch erlernt, das eher ein sowjetisch war.

Diese Leerstelle meiner Sprachkenntnis wird kaum zu schließen sein. Aber seit einiger Zeit versuche ich, zumindest die Lücke in Ansätzen zu flicken. Sprachfetzen mit einander zu verbinden, dass wenigstens ein Rohbau Russisch zustande kommt. Und dabei helfen mir Kontakte, wie der zu Igor Bulatovsky. Es gibt den Flickenteppich Facebook, und hier postete Bulatovsky folgendes Gedicht:


Igor Bulatovsky

Petropolis, diaphan...
P. Celan*

«Петрополь», «диафания» – в любом
из этих слов есть маленькое место,
где можно ткнуться вниз горячим лбом,
не думая о вычурности жеста.

Лишь черновой подстрочностью его
смутясь немного и гордясь немного,
прозрачное глотая вещество
начального бессмысленного слога.

* Начало перевода стихотворения Мандельштама
«В Петрополе прозрачном мы умрем...»


Die Überschrift bezieht sich auf die Übertragung eines Gedichtes vom Mandelstam, die mit jenen Worten beginnt. Paul Celan, der hier als Übersetzer auftritt,¹ nähert sich dem Original behutsam frei, so wie ich das verstehe und mit bescheidenen Mitteln überprüfen kann. Übersetzen ist im Falle dieser Lyrik eben nicht Übertragen des Inhalts der Worte, denn: „Das dichterische Sprechen ist ein Teppichgewebe, das eine Vielzahl von textilen Gründen besitzt, die sich nur in der Farbigkeit der Ausführung voneinander unterscheiden, nur in der Partitur des sich ständig ändernden Befehls des Signalisationssystems der Instrumente.“ (Gespräch über Dante).

Auch Bulatovsky nimmt äußerst behutsam den Celanschen Klang auf. Jedenfalls verbrachte ich die Nacht damit, dem Gesang dreier Dichter mein Gezwitscher hinzuzufügen. Mit folgendem Ergebnis:


Petropolis, diaphan ...
P. Celan*

„petropolis“ und „diaphan“ – in jedem
dieser worte gibt es einen kleiner platz,
auf den man seine stirn ablegen kann,
nicht um über diese geste nachzugrübeln

wörtlich übersetzt zuerst, ist man
etwas verlegen und ein wenig stolz
wenn der sinn dann sichtbar wird
durch die anfangs wirren silben.

* Der Anfang von Celans Übersetzung eines Gedichtes von Mandelstam:
(В Петрополе прозрачном мы умрем...)

Jan Kuhlbrodt


¹ Celans Übertragung:
Petropolis, diaphan: hier gehen wir zugrunde,
Hier herrscht sie über uns: Proserpina
Sooft die Uhr schlägt, schlägt die Todesstunde
Wir trinken Tod aus jedem Lufthauch da.

Den Helm, den steinernen, jetzt losgebunden,
Athene, meerisch, mächtig, schreckensnah!
Petropolis, diaphan: hier gehen wir zugrunde,
Nicht du regierst – hier herrscht Proserpina!

Mandelstams 1916 verfasstes Gedicht und Celans Übertragung finden sich in: Ossip Mandelstam: Hufeisenfinder. Gedichte russisch/deutsch. Herausgegeben von Fritz Mierau. Leipzig (Reclam) 1975.


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