Peter Orlovsky: Sauber abgewischt
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Jan Kuhlbrodt
Peter Orlovsky: Sauber abgewischt. Übersetzt von Marcus Roloff. Vorwort Gregory Corso. Nachwort Hans Jürgen Balmes. Wenzendorf (Stadtlichter Presse - Heartbeat No. 32) 2020. 202 Seiten. 16,00 Euro.
Zu Peter Orlovsky
Ein russischer Weißgardist emigriert Anfang des vergangenen Jahrhunderts in die USA und zeugt dort, bevor seine Ehe scheitert einen Sohn. Peter Orlovsky, so der Name des Sohnes, wächst bei seiner Mutter auf. Die Armut ist drückend und lebensbedrohlich, so dass er die Schule abbrechen muss und seinen Lebensunterhalt und den seiner Mutter zum Teil und den der Geschwister mitverdient, indem er als Pflegehelfer in einer psychiatrischen Klinik anheuert. Diesen Job macht er lange, er macht ihn auch dann noch, als er schon in einer Beziehung mit Allen Ginsberg lebt, der sich Knall auf Fall in den jungen Orlovsky verliebte. Diese Beziehung lief durch Aufs und Abs ein Leben lang. Vielleich kann man sogar vom Traumpaar der Szene sprechen, also der Szene der Beatpoeten.
In der Reihe Heartbeats im Verlag Stadtlichter Presse, der seit Jahren Texte eben jener Beatpoeten in Original und Übersetzung präsentiert, ist vor einigen Wochen der Band Sauber abgewischt mit einer repräsentativen Auswahl von Gedichten Orlowskys erschienen. Die Übersetzungen besorgte der Frankfurter Dichter Marcus Roloff, Hans Jürgen Balmes steuerte ein Nachwort bei, das biografische Bezüge erläutert und auch die Beziehung zum ikonischen Ginsberg beleuchtet.
Vielleicht liegt darin ein wenig die Tragik Orlovskys,
nämlich dass man ihn nicht etwa nur im Kontext der Beatpoeten, sondern meist
auch in dem seiner Beziehung sieht. Das mag unter einem biografischen
Blickwinkel richtig sein, geht aber dichtungs-technisch doch das Risiko ein, den
eigenständigen Anteil, den identischen Wert der Dichtung Orlovskys zu
unterschätzen.
Dem schiebt, kann man sagen, der einleitende Text, eine
hymnische Einlassung Gregory Corsos aus dem Jahre1977 einen Riegel vor. Corso
schreibt: „ … Achtung, unter seinem dichterischen Verdeck macht sich nichts
Primitives breit. Ein Ackerbau treibender Romantiker, …, dessen dreckige Hände
Sojaverse, Ernte-Oden ritzen, dessen Hymnen zu duftenden Gülleschaufeln werden,
die Felder nährend und damit uns sowohl als fleischliche Speise, als auch zur
Reinigung der Seele.“
Handfest geht es zu in Orlowskys Gedichten. Er scheut nicht das explizite Benennen sexueller Handlung, und es kann gut sein, dass manche Interpreten es genau auf diese Stellen abgesehen haben, eine Stellenlektüre wie ich und meine Kumpels als pubertierende Gymnasiasten mit Brechts Liebesgedichten verfuhren, um uns verhohlen über die Buchdeckel hinaus zuzugrinsen und Leben durch Vorstellung von Leben zu ersetzten. Aber, und Balmes bemerkt treffend im Nachwort: „Durch die Dialektik von Instinkt und Stift wird vermieden, sich im Fahrigen oder in Indiskretionen zu verlieren.“ Wie an Brecht geht eine pubertäre Stellenlektüre eben auch an Orlovsky vorbei, weil sie den Ernst der Lage verkennt und die eindringlich lyrische Schilderung, zum Beispiel eines Arbeitsweges in die Psychiatrie, wahrscheinlich überlesen würde.
Und eine solche Lektüre erkennt auch die formalen Experimente nicht als solche, die sich zuweilen aus der derben Sprache herausschälen, wie zum Beispiel eine Anzahl von asiatisch anmutenden Kurzen Gedichten und Einzeilern.
ein Todesschrei hypnotisiert eine winzig kleine Ameisedie unter ein Blatt krabbelt
Sie fallen aus dem Kontext der längeren Gedichte heraus und zielen in kurzen Spots auf kleinste Momente der sonst oft drogengesättigten Umgebung.
Hier wäre die Übersetzerleistung Roloffs zu erwähnen, dem es gelingt, slanghafte und alltagsprachliche Nuancen in eine entsprechend deutsche Form zu gießen. Alles an Orlowskys Sprache sei amerikanisch, zitiert Corso den Dichter William Carlos Williams. Und dieses Amerikanisch muss man erst einmal übersetzt bekommen, dass es einen annähernd originären Klang behält. Roloff meistert das größtenteils, indem er eine eigene deutsche Slangsprache konstruiert.
Orlovsky selbst setzt sich in einem fast poetologisch theoretischen Gedicht mit dem Namen ICH & ALLEN von Ginsberg ab, in dem er versucht, die Unterschiede in beider Poetik deutlich zu machen:
Erkenne eine große Kluft zwischen mir & Allen – erhat ein eher verbales Bild von Poesie –verbindet Bilder, um Erkenntniszu untergraben, die eine Leiterin die Höhen der Erkenntnis hinaufführt –ich werde high durch Gefühl& Gefühle für noch reinereGefühle oder so wasin der Art. – Das alles passiertin meinem Körper im Bauch ...
Vielleicht könnte man sagen: Orlovsky betätigt sich in seiner Dichtung als Seismograph emotionaler Erschütterung.