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Peter O. Chotjewitz: Tief ausatmen

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Jan Kuhlbrodt

Zu Peter O. Chotjewitz: Tief ausatmen



Zeit ist ein schreckliches Phänomen, weil in ihr einiges verschwindet, zwar niemals spurlos, aber es ist dann dem Zufall anheimgegeben, ob jemand auf diese Spur stößt. Dazu kommen die Umschläge des Marktes. Neue Produktionswellen spülen das Alte, das meist noch gar nicht alt ist, fast komplett vom Strand der Aufmerksamkeit; und leider ist der Buchmarkt auch ein Markt, einer, der sich wie jeder andere vor allem nach ökonomischen Gesetzen gestaltet. Die Ökonomie ist seine Natur, und Kunst ist das, worin sie sich kleidet. Widerstand wäre also in der Konfektion zu suchen.

Ich besuchte Ende letzten Jahres den Verbrecher Verlag, um dort über Mühsam zu plaudern und das Verlagsjubiläum. Zum Abschied steckte mir der Verleger Jörg Sundermeier ein Buch zu, in dem ich seither immer wieder lese.

Auf dem Einband aus Leinen die Reproduktion einer Zeichnung von Fritz Panzer. Zwei Enden einer Parkbank, wie man sie kennt. Gusseiserne Seitenstützen für die Arme, kunstvoll verschnörkelt, die Enden in Schnecken, nur die Bretter, die die Sitzfläche bilden sollen, kommen nicht zusammen, man kann hier nicht sitzen und ruhen. Vielleicht eine Skizze, aber auch dann wäre sie ein Zeichen dauernder Unabgeschlossenheit. Auf Seite 99 folgender kurze Text:

Das wars

Seiten füllten die
Tage der Jugend Zeilen
die Zeit des Alterns


Tief Ausatmen. So heißt das letzte Buch von Peter O. Chotjewitz. Es versammelt ca. 130 kurze Gedichte, der Form nach Haiku. Dem Inhalt nach nicht, denn es handelt sich nicht um Naturgedichte und auch nicht um Introspektion hoher Berge, dennoch scheint mir die Form etwas zu vermitteln, was im Haiku Tradition hat. Ich muss an die von Joël Hoffmann herausgegebene Sammlung letzter Gedichte japanischer Samurai denken.

Es eine Form des Abschiedes. Auch wenn sich der Abschied von Chotjewitz nicht auf den einen und einzigen Abschiedstext konzentriert. Es sind viele Facetten, die die Welt bereitstellt, und in jeder wird klar, sie ist nicht gefügt. Die Welt trägt, und wir ertragen den Widersinn. Aber es handelt sich hier nicht um einen melancholischen Rückblick. Das Alter in diesem Fall hat wache Augen. Das Ende ist kein versöhnliches.

Ich ging

Nach langer schwerer
geduldig ertragener
Überflüssigkeit.


Der Haiku als Form scheint für den Autor, gerade aufgrund seiner Strenge, die Form schlechthin, noch einmal den Blick schweifen zu lassen über das, was ihm vorliegt. Quasi schlaglichtartig werden Dinge erhellt, die im Moment ihrer Betrachtung eine dialektische Struktur offenbaren. Dieses Verhältnis aus These und Antithese scheint sich in allem verfangen zu haben und wird auch nicht notwendig zur Paradoxie, gerade dort wo die Texte auf Liebe reagieren, kommt es eher zu einem Changieren zwischen Momentsein und Melancholie. Hier strahlen Texte eine eigenwillige Ruhe aus und Beruhigung, als wolle das Paradoxe Kraft sammeln, um sich bald wieder in den Betrachtungen zu politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomenen zu zeigen und zuweilen sie in Kontrast zu setzen zu dem, was wir Natur zu nennen gewohnt sind.

Totenlob

Landsberg am Lech Blech
Geschmeiß in Ehrengräbern
horch die Lerche singt.


Man muss unbedingt noch einmal auf die lakonisch-skurrilen Zeichnungen von Fritz Panzer zurückkommen, die den Texten beigegeben sind, die eher kommentieren als illustrieren. Etwas haben sie formal mit den Haiku gemeinsam. Sie zeigen das Unabgeschlossene, die Paradoxie, die im Innern des Betrachteten die paradoxe Situation fängt, in der sich der Betrachter befindet.


Peter O. Chotjewitz: Tief ausatmen. Berlin (Verbrecher Verlag) 2012. 140 Seiten. 19,00 Euro.

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