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Oswald Egger: Gnomen & Amben

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Jan Kuhlbrodt


Die Brueterich Presse betrat jüngst die literarische Bühne. Mit (man kann es nicht anders sagen) sauschönen Büchern. Gestaltet vom Büro Gold & Wirtschaftswunder aus Stuttgart, das sollte nicht unerwähnt bleiben.


Zum ersten Programm gehört auch das Buch

"Gnomen & Amben" von Oswald Egger

Gnomen und Amben? Zuerst dachte ich mir, weil ich den Begriff Amben nicht kannte, es sei ein Spiel mit den Buchstaben und bezieht sich auf Nomen und Gamben. Die Verbindung von Bezeichnungen und Kniegeigen wäre sicher von einiger Komik gewesen. Zum Glück aber, habe ich nachgesehen. Was heißt: Zum Glück? Die Arbeit mit Wörterbüchern und Nachschlagewerken gehört zu den mir liebsten Tätigkeiten. Das Regal neben mir ist bewusstseinserweiternd.

Als Ambe (plural Amben) wird also ein Doppeltreffer im Lotto bezeichnet, oder mathematisch die Verbindung zweier Größen in der Kombinationsrechnung. Ersteres spielt in Eggers Buch wohl weniger eine Rolle.

Gnomen, ein altertümlicher Plural, bleiben dann wohl auch Gnomen, diese kleinen teilweise verwachsenen oder verhuschten Geister. Aber die Gnome bezeichnet auch einen Aphorismus, oder Sinnspruch. Man kann sagen, Eggers bewährt sich hier als Gnomiker.


Ein Beil, die Zweig- und Laubaxt sichelte die Schnitzäste schäftig.

Mein bedrohter Schädel schrumpft ein auf die Größe eines Nährings.

Ich muss aber gestehen, schrieb Augustinus, dass ich nicht weiß, weshalb Mäuse und Frösche, Fliegen und Würmer erschaffen wurden. Ich sehe jedoch, dass alle in ihrer eigenen Art schön sind.

Wie Augustinus vor der Natur sitze ich also erst einmal staunend vor den Versen Oswald Eggers. Auf 83 Seiten nahezu metrische Perfektion in Einzeilern, Paaren, Dreiergruppen.
In sich fahren die Verse alles auf, was Verse zu bieten haben, bis hin zum Binnenreim.

Man kann sich, zumindest bei der ersten Lektüre in der Schönheit der Verse ergehen, und Schönheit meint hier auch, im untergründigen Humor. Man kann also, wie Augustinus die Spinnen, das Ganze auf sich wirken lassen, die Schönheit, den Spaß, auch wenn man ihn auf konventionelle Weise nicht versteht, weil die Pointen in der Form liegen, das wäre aber nur die halbe Freude.

Man kann nämlich auch das Mittelalter in das Barock einklappen und falzen. Gerade hatte ich im Buch „Poesie und Begriff“ einen Essay von Egger gelesen, der eine Falzanleitung war. Hier entfaltet er eine Poetik des Übereinanderklappens, des Gruppierens und Umgruppierens, die ich in ihrer Abstraktion aber nicht als praktische Poetik Eggers verstanden hatte. Jetzt geht sie mir auf. In einer Art Vorwort zieht Egger das Märchen vom Hasen und Igel heran:


Von Jetzt auf Gleich erstreckt sich „daß“, aber nicht „wie“ die ganze Zeit vergeht, dabei: vom „Vom“ zum „Zum“ ineinander übergehend, ununterdessen unaufhörlich andauernd, fast unbenommen pausenlos Woche um Woche, Wort für Wort, Ton in Ton verwoben, stets und doch wechselständig, fortwährend, unentwegt, von Klippe zu Klippe in einem fort: Die Geschichte ist eigenlos, „um nichts“, gelogen, bloß – wahr ist sie aber!

Was Egger hier anklingen lässt, ist jene von Deleuze in einem Text über Leibniz erwähnte, ins unendlich gehende Falte, die neben Leibniz‘ Denken auch die Ästhetik des Barock bestimmte. Und das Barock ist, meiner Meinung nach, die Epoche, die uns am nächsten ist. Als hätte die Geschichte (oder Gott) es auf unsere Zeit gefaltet. Der Hase der von heute aus zurückläuft, wird im Barock den Igel treffen, der ihm zuruft: Ich bin all hier. Das aber nur am Rande.

Eggers Text jedenfalls verlangt auch vom Leser Faltungen, die er, der Leser, am Text vornimmt. Das klingt vielleicht etwas kompliziert, ist es aber nicht, wenn man seiner Spielfreude Raum lässt. Zur Orientierung finden sich Zahlen am Rand und vor jeweils den einzelnen Versen im Text, der gewissermaßen als Fußnote dargestellt ist. Das Falten des Lesers ist Blättern, und so bringt er die Verse aus und in eine neue Reihenfolge. Sicher könnte man mit Mitteln der Kombinatorik errechnen, wie viele Varianten der Text birgt. Aber das sollen Mathematiker tun. Ich stelle ihn mir lieber als unendlichen Spaß vor. Keine Scheu also vor „schwierigen Texten“, wie der Verlag Brüterich Press seine Produkte bewirbt, man muss nur eine Spielform finden, und sich darauf einlassen, dann geht’s ab.



Oswald Egger: Gnomen & Amben. Berlin (BRUETERICH PRESS) 2015. 85 Seiten. 20,00 Euro (im Abo 15,00 €).

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