Norbert Lange: Unter Orangen
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Jan Kuhlbrodt
Norbert Lange: Unter Orangen. Gedichte. Heidelberg (Verlag
Das Wunderhorn) 2021. 116 Seiten. 20,00 Euro.
Zu Norbert Langes „Unter Orangen“
Habt ihr überhaupt ein Wort verstanden, als ich sang?Meinte Opheus zu den Bäumen, die bloß rumstanden.Eure Äste rascheln zwar zum Tönen meiner Leier,Doch ist es wegen ihres Klangs?
Das ist vielleicht meine Lieblingsstelle im ersten Zyklus
des Bandes, die hilflose Hybris eines Sängers, der in einem Tourbus unterwegs
ist und die Reaktionen der Natur aus seinem Gesang voller Misstrauen zu
interpretieren versucht. Natürlich wird der Tourbus verunglücken.
Vielleicht könnte man sich diesem Buch mit seinen eigenen
Waffen unterwerfen. Nämlich, indem man Passagen zitiert und collagiert, die
Sprache aufnimmt und fortschreibt, versucht, sich in einen Dialog zu drängen,
den das Buch ohnehin aufnimmt, in einen unmöglichen Dialog, der sich schon
gegen das Vergehen stemmt. Einen orphischen Dialog.
Man überschritte den antiken Helden gleich, die
unüberschreitbare Grenze in eine Unterwelt, und kehrte wieder zurück mit, ja
womit eigentlich? Einem Eimer voll Sand? Einem Bündel Briefe? Dem Motorradhelm
von James Dean?
Nun hat der amerikanische Lyriker Jack Spicer, der dem Vernehmen nach 1965 die Grenze zum Tod überschritt, eine papierne Existenz auf unserer Seite zurückgelassen. Aus dieser Existenz zieht oder presst Norbert Lange, um im Bild einer Orange zu bleiben, die Texte des ersten Teils seines vor-liegenden Buches. Der Verlag nennt dies Transkreation. Und vielleicht ist eine solche Transkreation die eigentliche Weise des Übersetzens, weil sie neben Sprachgrenzen auch Kultur- und Zeitgrenzen überwindet. Oder wie unser Lexikon formu-liert:
Bei der Transkreation wird eine Übertragung des Textes in den kulturellen Kontext des Empfängers angestrebt, so dass sich das Ergebnis im Gegensatz zu einer sich nah am Ursprungstext haltenden Übersetzung relativ weit vom Ursprungstext entfernen kann.
Schöner könnte es
eigentlich nur eine Dichterin oder ein Dichter ausdrücken. Und entsprechend
hebt der zweite Teil des Ganzen auch an:
Väterliche
Dichter waren da, große Brüder, denen ich etwas
erzählte,
einmal unter ihren wohlmeinenden Blicken ins hohe Horn
geblasen,
und alle fraßen aus meinen voll austeilenden Händen.
Aber wir begegnen in
dieser Abteilung der Unterwelt natürlich nicht nur den Dichtern aller Zeiten,
da die Zeiten jenseits der Zeit ja als übereinander liegend aufgehoben sind,
sondern zum Beispiel auch Schauspielern und Popgrößen mit Helm, wie James Dean.
Und ich verirrte mich kurz in den Gedanken, dass auch ein Helm unter Umständen
nicht gegen das Sterben schützt. Dean war ja im Auto gestorben, und keinen Helm
trug er im Film. Norbert Langes Unterwelt aber ist Bühne. Gewirr und
Geschichte, letzteres als Gedachtes, aber als Historie auch. Gesang sich
drängender Poeten.
„Als es Mode geworden war, seine Zunge zu schneiden.“
Im dritten Teil des
Buches erreichen den Dichter Briefe des Dichters. Lange also bekommt Briefe von
Spicer. Auch hier also wird Zeit überbrückt und eine übergreifende Gegenwart
konstruiert, in der wir auf weitere Kollegen, wie beispielsweise Charles Olson,
treffen, dem ersten, der den Begriff postmodern für seine Dichtung reklamierte.
Aber vor allem trifft man in jener Unterwelt, die Spicer die Hölle nennt, auf
Dichtung. Die Hölle also, so scheint es, ist mit Gedichten gepflastert. Das
macht sie grandios.