Direkt zum Seiteninhalt

Norbert Lange: (Ich & Du)

Werkstatt/Reihen > Reihen > Robert Duncan - Es ist Magie. Spontane Passagen
Norbert Lange


(Ich & Du)

Ich denke mir so oft, darüber schreib ich nicht mehr heute. –

Du siehst und denkst: später –. Du bist wieder da.

Ich muß mich noch etwas unbeirrt halten, ich weiß davon noch nichts, wenngleich ich auch schon anfange zu verstehen, und ich hab noch keinen anderen Glauben, mein ich, und der, der sie von ferne bedenkt, um ihn an diese Stelle zu stellen, während ich ihn für den Druck vorbereite.

Ich glaube, ach, ich bewundere nun schon tagelang die Pracht, daß ich nicht glücklich war, als ich in alledem herumgehen durfte, im Überfluß. Ich kann an keine Zeit meines Lebens zurückdenken ohne solche, hab ich ohne Verlust gelebt; was hab ich voriges Jahr gewirtschaftet; mich macht das traurig.

Du müßtest das sehen. Du hättest sonst etwas Erstauntes dazu gesagt.

Ich bin in allem auf das Abwarten eingestellt, das kenn ich so gut: ich erlebe es gleichzeitig an zwei, Du weißt welche ich meine: Ich habe noch nicht versucht, sie zu öffnen; das hab ich wieder gefühlt, glaub ich, die ich nie sah: wie wußte und sah ich alles!

Du weißt, welche ich meine:

Dann schlug ich denselben späteren Nachmittag vor, daß ich wirklich dieser Tage oft das Gefühl hatte, und ich muß eingestehen, das kenn ich so gut: Nun war ich aus, das fühl ich wohl, ob ich sie nicht sehen möchte.

Du kennst selbst diesen Moment, wo es unverträglich wird; denn ich fühlte mich gerade krank und hätte mich gerne still verkrochen. Das wollte ich.

Vorher hatte ich noch eine gute, stille Stunde: Ich wunderte mich, das fühle ich wohl, aber doch nicht katastrophal: Wieviel würdest Du in ihr sehen, säßest Du doch bei mir, was ich noch nicht sehen kann. Ich fühle ja wohl, und fühle stark und groß, daß alles noch zu machen ist: alles.

Überm Schreiben war ich so müde geworden; ich habe bemerkt, ich wünschte manchmal mir so ein volles Schaufenster. Mir ahnt aber, bist Du nun nicht doch ein wenig neben mir gewesen; wie es mich die letzten Wochen ermüdet hat; aber man sieht hinein durch das ich heute morgen ging.

Du weiß, wie ich das meine:

Ich ging so durch die stille Straße und war noch immer bei meinen Einbildungen; aber man sieht hinein, und sie sitzen und lesen, unbesorgt; ich fühlte, wie sehr es meine innere Stimmung doch nicht verscheuchte.

Und in demselben Augenblick war mir, mit dem ich mich nun so viel beschäftigte als ich im Schaufenster eines Konfiseurs, daß ich aus demselben Grund wahrscheinlich doch durch das ich heute morgen ging.

Ich dachte, ob ich nicht doch etwas fände, wovon ich ihr erzählen könnte, von der ich Dir mal erzählte; mir ist das irgendwie nützlich, fühl ich.

Das wollte ich Dir alles erzählen; es hängt ja mit vielem um und mit uns selbst an hundert Stellen zusammen. Ich denke mir, daß nicht mal eine solche Person zu finden wäre.

Aber Du wirst wissen, wie sehr ichs auch heute getan habe …

Du weißt, welche ich meine: es sind die, wo man sagt: so, daß ich wirklich dieser Tage oft das Gefühl hatte, gestern sah ich zum erstenmal jemanden seit vielen, vielen Wochen – denn ich fühlte mich gerade krank und hätte mich gerne still verkrochen. Dann schlug ich denselben späteren Nachmittag vor. Ich überwand mich hinzugehen, und ich muß eingestehen, Du kennst selbst diesen Moment, wo es unverträglich wird; wir haben ihn niemals erlebt.

Als ich, zum erstenmal gestern, so durch die stille Straße ging, hab ich wieder gefühlt, daß nicht mal eine solche Person zu finden wäre. Du fühlst, ich saß noch nicht vor ihr; da ich sie einmal ganz erlebte und teilte, was ich noch nicht sehen kann. Aber heute nacht erwachte ich davon, wie ich ihn nie sah. Er lief hin und her in seinem Atelier, in demselben Augenblick war mir, als müßte nur eine Kleinigkeit irgendwann anders gewesen sein, damit er einen erkennte und zurückträte und die Tür offenhielte.

Und vor ihm lag die kleine Stadt, ahnungslos, ob ich sie nicht noch sehen möchte.

Natürlich las ich, bald nachdem ich es gedacht habe, daß ich ihn gleich wörtlich verstanden hatte, es liegt ja auf der Hand. Ich fühlte nur die vage Erinnerung daran, das weiß ich wohl, nicht mit Zwang.

Ich dachte nur vage, als ich mit eine halbe Stunde in einem solchen Sommergarten saß, wie oft. Du mußt nur, einen Sonntag etwa, sehen: belustigt, ironisch gereizt, geärgert, empört. Wobei denn jeder selbst gut zusehen muß; zu sich selber kommen und beschreiben, was da ist.

Du kannst Dir vorstellen, daß ich alles andere aufgab. Du fühlst, von der Straße aus gesehen, nimmt sich das wie ein Abendmahl aus jedesmal, so groß und feierlich durch den dunklen Raum. Aber, wenn sie sie haben, laut werden, ließe sich denken, daß jemand eine Monographie schriebe: welche Lebensgeschichte!

Das Überzeugende, die Dingwerdung, die durch sein eigenes Erlebnis an dem Gegenstand bis ins Unzerstörbare hinein gesteigerte Wirklichkeit, das war es, was ihm die Absicht seiner innersten Arbeit schien; alt, krank, der Alte ertrug ihren Unfrieden, lief auf und ab, lief hin und her, oder setzte sich in den Garten und saß.

Ob es für Dich aufschlußgebend wäre? Ich weiß es so in einem Atem nicht zu sagen. Fast noch lieber möchte ich Dich, könntest Du eines Tages hier sein, die auf einmal, nach Versuchen und Vergeblichkeiten, eintrat, da war, gelang.

Ach, wenn das genügte: Wieviel würdest Du darin sehen, was ich noch nicht sehen kann.

Aber innen, ganz innen, war er wunderschön, und ab und zu schrie er einem der seltenen Besucher wütend etwas Herrliches zu. Du kannst Dir vorstellen, wie das kam.

Ich mußte denken gestern abend, ich bin nicht sicher.

Was Du nun sagst und herzlich feststellst, das vermutete ich irgendwie, wenngleich ich nicht hätte angeben können, überzeugt, daß es persönliche innere Gründe sind, an denen ich vielleicht noch für eine Weile studiere. Es ist die Wendung, die ich erkannte, weil ich sie selbst eben erreicht hatte oder doch irgendwie nahe an sie herangekommen war, wie ich sah. Nicht der, der begreift, ist berechtigt, über sie zu schreiben; mir ist das irgendwie nützlich, fühl ich.

Aber innerhalb meines Lebens ist diese unerwartete Berührung, so wie sie kam und sich Platz schaffte, voller Bestätigung und Bezug.

Und mit einem Mal begreife ich das Schicksal, wie es mich berührt, zu lesen: Wieder ein Armer. „Hier“, sagte sie, auf eine Stelle zeigend, „dieses hat er gewußt, und nun sagt er es; nebenan ist es noch frei, weil er das noch nicht gewußt hat.“

Wann hätte der seine Hände zeigen sollen.

„Hier“, sagte sie, „es ist, als wüßte jede Stelle von allen.“

Ich hätte diese Stelle ohne alle Aussprache allein gelassen mit sich selbst. Aber das hier nimmt Dich und geht weiter mit Dir und geht mit Dir zu allem und mitten durch alles hindurch, durch Geringes und Großes.

Natürlich wußte ich, es fällt ihnen ein, daß sie sich eben noch beim Eintreten in den Glastüren gesehen haben. Ich dachte nur, der sie von ferne bedenkt, daß sie sozusagen zugleich zu sprechen anfingen, sich beständig entzweiten. Und doch habe ich sie mir eingeprägt, mehr als anderthalb Hundert, Ziffer für Ziffer.

Ich bewunderte einzelne, die ich unter den anderen verstreut entdeckte, auf eine neue Art, bis ich zu solchen kam, die ich noch nicht kannte. Mir ahnt, was das für ein Ereignis ist. Aber ich muß eben noch ganz verstehen, daß vieles darin Erkannte vielleicht zu den Ansprüchen gehört, ohne solche Vorwürfe und noch größere. Du mußt nur vor allem sagen, ob ich es geliebt habe, statt zu denken: hier ist es.

Böse Blicke fanden sich wohl überall, Du weißt, wie die herumgehen, Dich auf Dein Schauen einfach verlassend. Ich dachte, daß jede Einsicht ihre Parvenüs hat, die ich dachte, laut werden, wenn sie sie haben –, und dann, daß ich aus demselben Grunde wahrscheinlich doch in einem Sommergarten saß, nicht mehr.

Denk Dir aber mein Erstaunen, sagte ich, daß ich Dir nun oft beschrieben habe: nun weiß man es wenigstens.


geschrieben Okober 2014
Zurück zum Seiteninhalt