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Mütze #5

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Jan Kuhlbrodt

Mütze #5


Willkommen hören die Augen
Seht: hören die Sohlen: die Zehen
Steht: auf dem Schwingfell: dem Flimmerpflaster
Wippende Flüsterknöchelchen hören:
Geht!

                             (Brigitte Oleschinski)



Über die Vorzüge der Mütze haben wir an dieser Stelle bereits berichtet. Ein dienendes Kleidungsstück, ihr Sinn die Protektion, und zuweilen dient sie auch als Versteck (bei einem Bankraub zum Beispiel, das Gesicht zu verdecken). Vielleicht können wir das, was diese Mütze birgt, auch als protected text bezeichnen. In sich eben trägt sie ein Universum, das als Engeler-Universum nur grob umrissen wäre. Ähnlich dem Wunderland, das Alice nach ihrem Sturz in den Kaninchenbau entdeckt, treffe ich auch beim Lesen der Mütze #5 auf eine Illustre Population von höchst originellen Autoren und Übersetzern, auf alte Bekannte in einem vollkommen neuem Licht.

Neben der eingangs zitierten Brigitte Oleschinski, die in der aktuellen Mütze mit einem Text vertreten ist, der den Untertitel trägt: „OhrenPerformance mit LifeGuide, entwickelt für das Poesiefestival Berlin 2013“ (ein Text, der „Brigitte Oleschinski spricht ins Ohr und Sie gehen mit“ heißt, und den man unbedingt laut lesen muss) begegnen wir auch Günter Plessow.

Plessow wird präsentiert als Übersetzer eines der wohl wichtigsten Romane des zwanzigsten Jahrhunderts, vielleicht (aus Sicht eines westlichen Demokraten) eines der wichtigsten Romane überhaupt. Es handelt sich um Faulkners „Absalom, Absalom!“. Der Roman bewegt sich in einem Gründungsmythos der amerikanischen Demokratie während des Bürgerkriegs in den Südstaaten der USA, und entwickelt in seiner verschachtelten Konstruktion eine Vielstimmigkeit, wie sie bis dato in der Romanliteratur unbekannt war. (Schon in „Schall und Wahn“, dem Roman, dem einige Figuren für „Absalom, Absalom!“ entsprangen, kündigt sich das an).


Allein die avancierte und differenzierte Sprache Faulkners machte mir seinerzeit das Lesen des Originals unmöglich, so dass ich gezwungen war, bei der ersten Lektüre des Buches auf eine Übersetzung zurückzugreifen, und ich erinnere mich noch gut, dass auch der übersetzte Text mir einiges an Durchhaltewillen abverlangte. Aber das Versprechen des Originals, das durch die Übersetzung hindurch schien, hielt mich bei der Stange.

Hier nun, in Plessows Neuübersetzung sehe ich eben dieses Versprechen übersetzerisch eingelöst. Es scheint mir eine besondere Herausforderung in der Übersetzung der direkten Rede zu liegen. Der Vorsatzkommentar jedenfalls endet mit folgenden Worten:
Aber noch hat Miss Rosa das Wort; sie redet und redet, rechtet und berichtet, und Quentin hat Mühe, ein Ja oder Nein dazwischenzuschieben, und sei es auch nur, um hörbar zu machen, daß er es ist, hearing without listening, dem das alles erzählt wird. Miss Rosa fährt fort, und wir werden sie nicht mehr unterbrechen; das Brio der Erzählung steigert sich von Seite zu Seite: jetzt setzt der englische Text ein.
Man erfährt in dieser Übersetzung genauso viel über die Ausgangssprache, wie über das Ziel, und man kann das überprüfen, denn die Mütze enthält auch die entsprechende Passage im Original. (Ach Gott, jetzt wünsche ich mir eine zweisprachige Ausgabe des ganzen Romans.)

Plessow als Übersetzer ist mir in Engelers Universum bereits an anderer Stelle begegnet, und zwar als Übersetzer der wunderbaren Gedichte von Edna St. Vincent Millay: Love is not all, Gedichte aus dem Amerikanischen. Urs Engeler Editor 2008. Um Plessows Meisterschaft und Vermögen anscheinen zu lassen, aber auch die Kraft des Originals, sei an dieser Stelle folgendes zitiert:


Auszug aus Interim/Interim



Dark, Dark is all I find for metaphor;
All else where contrast; – save that contrast’s wall
Is down, and all opposed things flow together
Into a vaste monotony, where night
And day, and frost and thaw, and death and life,
Are synonyms. What now – what now to me
Are all the jabbering birds and foolish flowers
That clutter up the world? You where my song!


Die einzige Metapher, die mir einfällt,
ist Dunkel, alles andre wär Kontrast;
- es sei denn, jeder Gegensatz zerflösse
in monotoner Synonymität,
wo Nacht gleich Tag und Frost gleich Tau und Tod
gleich Leben wär. Was nun – was ist mir nun
Vogelgeplapper, Blumennarretei,
all dieser Lärm? Du warst doch mein Gesang!


Dieser Band gehört zu den eindringlichsten Begegnungen mit amerikanischer Literatur, die mir der Verlag Urs Engeler beschert hat, aber auch zu den besten Momenten der Begegnung mit geglückter Übersetzungsarbeit. Mit Plessow werden wir uns also noch beschäftigen müssen. Auch mit seinen ebenfalls bei Engeler erschienenen Übersetzungen der frühen Sonette von Cummings. (Zumal Cummings neben Pound zu den Ambivalenzweltmeistern zählt. Macho und Experimentator. Da ist Millay das gelungene Antidot.

Die Mütze # 5 enthält des Weiteren noch essayistische Texte von Davenport und Broser, die in dieser Kombination eine eigene Besprechung verdienten, weil ein psychoanalytisches Nachdenken noch einmal eine ganz andere Form des Übersetzens ist, eines Übersetzens mit einer Hand in der Tasche, in der eigenen und in der Freuds, gewissermaßen.



Mütze #5. Hrsg. von Urs Engeler. Solothurn 2013. 52 S. Einzelheft 6,- Euro.

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