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Moammar Atwi: Mythen, die Einsamkeit schaffen

Montags=Text

Moammar Atwi

Mythen, die Einsamkeit schaffen  أساطير تصنع العزلة



Erster Mythos:

Eva vertreibt uns aus dem Paradies,
verführt uns mit einem Apfel.
Ist es der Sex, der uns zerstört?
Oder unsere Empfindsamkeit?
Oder sind wir seit Beginn der Schöpfung ein Experiment Gottes?
Bestimmt war es nicht bloß ein Apfel.




Zweiter Mythos:

Immer ist Rom stärker als Athen.
Die Stimme des Krieges ist lauter als die Stimme der Erkenntnis.
Die Wörter spalten uns,
die Liebe zur Macht erschüttert uns,
und die Geschichte zieht in uns Tausende Furchen für die Wahrheit.
Jeder steht Gewehr bei Fuß, Gott zu verteidigen.
Ist Gott so schwach, dass er unsere Gebete, unsere Fasten
und unsere Kanonen braucht?
Warum beten wir ihn an?




Dritter Mythos:

Ich bin es, den Eva zweimal vertrieben hat.
Jedes Mal war da ein Apfel und ein Schlangenkopf ...
Ich bin es, der ohne Schlacht das Schwert zückte.
Meine Geliebte warf mich ins Meer mit dem Reisepass.
Meine Freunde hatten nichts gegen den Verlust
eines Telefongesprächs mit mir.
Meinem Volk gelten die Philosophen als
Wahnsinnige oder Ketzer.
Meine deutsche Freundin sagt zu mir:
Ich liebe Dein großes Wissen und Deine intelligenz,
aber ich liebe nicht Dich.
Meine bulgarische Freundin macht mir Vorwürfe,
weil ich sie mit gebrochenem Herzen zurückgelassen habe.
Früher war ich dort, nahe bei Gott,
hier aber bin ich eine Nummer geworden,
die auf ein Visum nach Norden wartet oder auf das Papier
zur Mitgliedschaft in der Herde.


Libanon Berg: Frühlung 2004
Übersetzer: Dr. Sebastian Heine und Dr. Sarjoun Karam
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