Martina Hefter: Anlass für ein Nachdenken
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Martina Hefter
Anlass für ein Nachdenken
Zu dem Angriff von Marco Goecke habe ich
bisher eigentlich nicht viel gesagt. Ich habe auf Facebook bei zwei Beiträgen
ein like hinterlassen und ein paar mal kommentiert. Dazu bekam ich Nachrichten,
die mir zeigen, dass das für Missverständnis sorgt, auch für Unverständnis, und
ich will alles andere, als Leute empören, deswegen hier dies:
Selbstverständlich finde ich diesen
Hundehaufenanschlag indiskutabel. Ich kenne auch niemanden, der ihn diskutabel
findet.
Was ich ein bisschen traurig fand an den Diskussionen
in meiner Literaturblase war, wie schnell das hochkochte zu einem ganz schrägen
Rundumschlag gegen alles, was irgendwie an Vorurteilen gegenüber Ballett, Tanz,
Choreografie schon immer rumgeistert, und bitte sagt jetzt nicht, das würde ich
mir nur einbilden.
Manchmal klang es auf Facebook so, als hätten
sich einige Leute richtiggehend gefreut, dass man nun endlich mal öffentlich
sehen kann, wie verkommen die Leute aus der darstellenden Kunst und
insbesondere aus dem Ballett sind.
Anders kann ich mir die Häme in den
Diskussionen nicht erklären.
Das alles zum Teil von Leuten, die ich
persönlich kenne - von vielen weiß ich, dass sie sich mit Tanz noch nie
auseinandergesetzt haben und auch die innerbetriebliche Seite im Tanz - sowohl
in der freien Szene als auch in den Stadt- und Staatstheatern - nicht wirklich
kennen.
Natürlich braucht man nicht Bescheid über Tanz
zu wissen, um die Aktion von Goecke zu verurteilen.
Aber daraus - vielleicht auch nicht immer in
böser Absicht - eine Art Hetzjagd entstehen zu sehen, damit fühle ich mich
unwohl.
Es wäre insgesamt auch von den Medien, die
berichtet haben, schön gewesen, Leute aus dem Tanz nach ihrer Meinung zu fragen
(damit meine ich nicht mich). Vielleicht Tänzer*innen aus dem Ensemble.
Vielleicht auch mal zuhören, was man sich dort von Tanzkritik wünscht - also
was seine Strukturen anbelangt.
Das alles ist keinesfalls eine Verteidigung
von Goeckes Angriff.
Man kann mal darüber nachdenken, wie brutal
dieser Ballettleiter*innen-Job ist.
Klar kennen viele Schriftsteller*innen die
Arbeit am Theater nicht.
Wie die Nerven da manchmal blank liegen, vor
allem, wenn diese Arbeit immer noch in den Strukturen der Stadttheater abläuft,
wo es immer nur einen Chef (meist männlich) gibt, der dann vier Stücke im Jahr
nicht nur choreografieren, sondern auch einstudieren und alles planen muss.
Wenn man Bücher schreibt, sitzt man eher
allein zu Hause und kennt die Dynamiken nicht, die bei solchen Zusammenarbeiten
entstehen, und gegen die man eigentlich sehr bewusst und aktiv steuern muss. In
den meisten Theatern gibt es kein Bewusstsein dafür, dass man eigentlich sowas
bräuchte wie eine mentale Fürsorge. Schon die Fürsorge für physischen Belange
der Mitarbeiter*innen lässt oft zu wünschen übrig.
Wir in der freien Szene haben das längst
verstanden, wie wichtig es ist, sich immer wieder untereinander nicht nur über
die Arbeit selbst auszutauschen, sondern auch über die Begleitumstände, wie es
einem mit der Arbeit und wie es einem miteinander geht, usw.
Aus vielen Theatern weiß ich, dass kein Raum
ist für derlei Gespräche, das ist oft einfach nur: Fabrik.
Nochmal, das soll gar nichts entschuldigen.
Ich hätte mir nur gewünscht, dass in der Literatur die Diskussionen etwas
sachlicher geblieben wären.
Außerdem denke ich, dass man irgendwann -
vielleicht nicht jetzt direkt, damit beides getrennt voneinander betrachtet
wird - die Strukturen der Tanzkritik hinterfragen sollte.
Es gibt zu wenige Kritiker*innen, die in den
Medien Tanz und Performance besprechen. Es werden zu wenige Stücke überhaupt
besprochen - und wenn, dann nur die Ballettstücke größerer Häuser. Die freie
Szene kommt in den Tageszeitungen und auch im Radio so gut wie nicht vor.
Ein Vergleich: Meine Bücher wurden nahezu in
allen großen Tageszeitungen und Radio-sendern besprochen, aber meine
Performances schaffen es gerade mal in die Leipziger Volkszeitung und ins Radio
Blau - worüber ich sehr dankbar bin und was mich riesig freut. Natürlich ist
ein Buch logistisch gesehen einfacher zu besprechen, weil man dazu nicht
irgendwo vor Ort sein muss, wie bei einer Bühnenarbeit. Aber wieso kommen z.B.
die Kritiken des Kritikers aus der LVZ nicht auch mal in die FAZ? Sind die
Arbeiten der jeweiligen lokalen freien Szenen immer nur von lokalem Interesse?
Ich glaube nein. Zudem sie oft, nicht nur bei mir, mit anderen Kunstgattungen
kooperieren oder sich mit ihnen vermischen.
Insofern würde ich mir wünschen, dass der
Goecke-Vorfall, so ungünstig das jetzt auch sein mag, trotzdem Anlass für ein
Nachdenken darüber wird, was anders gemacht werden könnte, sowohl in den
Theaterhäusern als in den Redaktionen. So naiv das auch klingen mag, aber ich
meine das völlig ernst.
Ich fände Teambildung eine gute Lösung. Dazu
muss natürlich mehr Geld ran. Dann könnte man Leitungsteams in den Theatern
bilden, oder gleich ein Kollektiv. Was wir in der freien Szene schaffen, müsste
man doch im Stadttheater auch können. Und genau das auch in den Redaktionen.
Ein Kritikkollektiv, das gabs, glaub ich, noch nie. Das fände ich ziemlich gut.