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Martina Hefter: 2019 (Auszug)

Montags=Text
Foto: Sascha Kokot, 2021
Martina Hefter
2019
Auszüge aus einer Verserzählung, die anhand meiner Instagram-Posts von 2019 das Jahr 2019 zu rekonstruieren versucht.



Foto vom 2. November 2019 (Story-Highlights)

Die Karl-Heine-Straße, vorbei gleitende Cars,
ich machte bei einem Kuchenbasar mit, auf dem Flohmarkt
im Westwerk,
man riss die Stücke mir aus meinem Hingeben.
Es wurde Abend, überall blühte Plüsch, überall waren Mützen,

übern Himmel bogen Sternschnuppen, gut und gern
            hundert pro Stunde.
Der Asteroid, weit draußen noch,
seine Vorboten, kugelförmige Blitze, Donner, der nie kam.
Was wir für Wetter hielten: Etwas schaukelte sich auf, wurde
Wind, und dieser Wind wurde ein Windhund,
silbernes Blitzen durch Straßen.
Ich dachte an die Windrose, die ich mal auf Papier gekritzelt
hatte als Kind, Nord, Süd, Ost, West in verkehrter Reihenfolge
gezeichnet.

Man sah es noch nicht, aber irgendwie wussten alle,
irgendwas brachte die Sterne durcheinander.

Jetzt, auf dem Satellitenbild, sieht man, wie der Asteroid später einschlug.
Er schuf die Tieflandsbucht neu, eine Ebene ohne Seen,
das Wasser verdampfte innerhalb von Sekunden,
riss Fische in den Himmel, letzte Wesen am Ufer.
Diese Ebene durchquer ich jetzt an manchem Abend
unter rosa Ambosswolken, fühl meine Fußsohlen.

Meine Freundinnen Angelika und Ulrike
ihre lieben Gesichter huschend, unruhig unter Stress
wenn sich zu viele Hände uns entgegen streckten,
wir hungrig
           hungrig nach Hot Dogs aus dem Hotdog-Laden,
die Karl-Heine-Straße runterstürzten,
hungrig nach Verglühen,
wie Asteroiden verglühen dürften, wenn sie klein genug sind.
Wir stürzten uns in Arbeit und in unsere Streitereien.
Der Kuchenbazar sollte Geld bringen für unser Stück über
Hale-Bopp.
Wir wollten die Himmelsdecke durchbrechen,
wollten den deutschen Theaterpreis haben.
           Ich hatte extra das Elektronenteleskop geklaut
aus dem Institut für Astrophysik, ich dachte,
es könnte eine Kulisse abgeben, oder wir könnten live
den Sternenhimmel betrachten.


Foto vom 24. Mai 2019
                                  
Von April bis Mal fuhr ich einmal die Woche nach Halle,
lehrte an der Burg Giebichenstein,
            Seminar über Exoasteroiden, Exokometen.

Wie immateriell alles wird, wenn ein Asteroid auf Erden trifft.
Ich zeigte Verstecke, in die man hineinpassen muss.
Baumhöhlen, Bunker, beherzter Sturz ins flüssige Harz,
so lang’s nicht verdampft ist.

Die Studierenden erschraken,
Sie baten mich, sie jede mögliche Bahn des Asteroiden
           berechnen zu lehren.

Eine Wand, durch die mans nur dann schafft,
wenn man die Wand genau kennt, sagte ich ihnen,
hieß sie üben.

Nach den Seminaren verschwand ich im Park,
in den Kleewiesen -

Sie ging in die vollen, duftenden Kleewiesen gegenüber und
           ein Punkt, aus einer Linie heraus,
fiel vom Himmel. Ein Punkt, ungefähr wie
Tempo, das ein All vor sich her trieb,
durchs Dunkel trudelnd, alle Alle enthaltend,
worin sich Erden tummelten, ihre Tannen,
YouTube-Stars, Öltanker, Wälder.

Dieser Punkt am Himmel,
           noch nicht der Asteroid.
Der Asteroid noch nicht an der Umlaufbahn der Erde.

Luft flimmerte in Mittagshitze,
der Punkt war ihr Freund, ein Engel, er fiel mal wieder herab
           und sofort

xxx

Da war er also wieder. Seine Flügel glutheiß, riesig, wirbelten
vertrocknete Erde auf.

Ich weiß noch, dass ich “geh weg” zu dem Freund rief, aber er
ging nicht. Er blieb, ein Fleck auf meiner Stirn.

Eine Maus züngelte durchs Gras, verschwand,
starb fast, panisch das Dasein durchflitzend,
man konnte nur hilflos zusehen,
ihre hektischen Wechsel link rechts, rechts links,
mittendrin gesplittet, zick zack,
wie eine neue Idee, ältere Ideen wegfegend,
war diese Maus unvorhergesehen, frisch
und todtraurig.

Die Sonne, im April schon aufgebläht, funkelnd.
Ich fror trotzdem von dem ganzen  xxx

            der Freund, der Engel, ging einfach nicht mehr weg.

So oft schon hatte sie ihn verscheucht,
Steine nach ihm geworfen, ihn übelst beschimpft.
Aber immer blieb sein lächelndes Gesicht einfach stehn
als Hologram aus Wolken am Himmel,
oder er lehnte mit verschränkten Armen an der Hauswand,
wenn sie heimkam, und dann nahm sie ihn doch wieder mit in
die Wohnung, nahm ihn wieder auf
in ihre Erörterungen über das Leben
            an sich.

Mag sein, dachte sie an dem Abend,
als sie den Asteroiden entdeckte,
fern durchs Elektronenteleskop
das All dehnt sich sowieso
in einem Tempo, das zu erzählen hinfällig ist,
ein zu rascher Rutsch
            mitten in die Gräser, die in der Hitze 2019 ihre Spitzen
einrollten.

Hab ich das schon gesagt, der Rasen 2019 flackerte nur so.
Wir hatten Klimakrise
mittendrin ich, entdeckte den Asteroiden Hefter B-2019,
ich wollte ja immer unsterblich werden.
Ich zog andere Expertenmenschen zu Rate, wir rechneten,
rechneten,
fanden nach nahezu einem Jahr heraus, dass seine Bahn
die Erde kreuzen würde.

Später sagte ich mal zu meinem Engel,
dass ich hoffe, 2019 kehre einfach nochmal wieder
ohne den Asteroiden.

Dass 2019 wiederkehrt
mit seinen Springlebendigen und Quicklebendigen.

Mit uns allen, wie wir waren,
dem Engel, meinem besten Freund,
der mich krallte, nicht mehr losließ,
mich an den Haaren packte, mein Kleid zerrupfte,

Hey hey, rief ich, denk dran, dass bald der Asteroid
niedersegelt (...)
.


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