Direkt zum Seiteninhalt

Martin Piekar: Amok PerVers

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Gerrit Wustmann

„Wer will schon Kröten lecken?“

Martin Piekars zweiter Lyrikband ist dreckig wie eine gute Rockscheibe


Vorab möchte ich gestehen: Ich bin hier nicht unvoreingenommen. Weil Martin Piekar eine coole Socke ist und ich mich jedes Mal freue, wenn ich ihm über den Weg laufe. Und weil ich schon sein Debüt „Bastard Echo“ geliebt und abgefeiert habe, als es 2014 erschien. Und dasselbe tue ich nun mit dem zweiten Band „Amok Per/Vers“, pünktlich zur Leipziger Messe im Verlagshaus Berlin erschienen. Ein Buch, das ich, seit es in meinen Briefkasten segelte, kaum aus der Hand legen kann (und, wie ich an anderer Stelle schonmal erwähnte: das passiert mir nur bei sehr wenigen Lyrikbänden).
 
Es sind knapp 150 Seiten, illustriert von Robin Wegemann, die ebenso knallen wie der Titel. Das Thema? Sex, Drugs, Rock N' Roll. Und: Politik. Sehr viel Politik. Überhaupt ist es ein durch und durch politisches Buch, das Piekar hier abliefert. Es ist ein schäumendes, ein wütendes, ein verletztes und verletzliches Buch. Aber bitte nicht missverstehen: Was Piekar macht hat nichts mit der plumpen Agit-Lyrik zu tun von diesen immer mal wieder auftretenden Dilettanten, die ihre politische Meinung meinen in holprige Verse gießen zu müssen. Piekar liebt das Kontro/Verse, er liebt die Provokation, er ist gnadenlos direkt und dabei doch sprachlich überraschend, frisch, radikal. Ich wiederhole mich gerne: Wenn das die neue junge deutsche Lyrik ist, dann will ich bitte mehr davon. Viel mehr!
 
Martin Piekar unternimmt lyrische Streifzüge durch die Gegenwart – eine Gegenwart, in der die Welt präsent ist. Die Welt und ihre Probleme. Und wenn die Hommage an Bukowski in versoffenen Frankfurter Nächten noch eher ein offensichtlicher Anklang ist, so ist der Einbruch der Weltpolitik und der Widerstandsbewegungen der jüngsten Jahre (Gezi, Kairo etc.) ins Mera Luna-Festival dann doch etwas, das alle Erwartungen bricht, das faszinierende Analogien eröffnet und zugleich die Unschuld eines folkloristischen Events hinwegfegt wie der Blick in die „Wolkenformnationen“ und die ewige Frage, warum ein banales Papier wie ein Pass über Wohl oder Verderben eines ganzen Lebens entscheiden kann.

Etwas flach bleibt es allenfalls im leicht empört daher-kommenden Gegensatz von Raubtierkapitalismus und EZB zu Armut und Hartz IV, doch das kann man locker verzeihen angesichts solcher Glanzstücke wie dem Kapitel „GegenWarten. Gesang in und für zwei Stimmen“ und Versen wie „Wenn ich Majdan auf Googlemaps zeitige / Den Revoltegeist als Brieföffner lese / Stochern im Bällchenpool / Gegenwarten gehen nie / Nur an Gedichten verloren“. Oder, noch so ein Beispiel, der „Antiterror Podcast“, in dem die Angst zur Angst und vor der Angst selbst die größte Nemesis des Jetzt wird und in dem die konkreten Bezüge zur Tagespolitik doch zeitlos daherkommen. Vor allem: Es ist, wie so viele in diesem Buch, ein Text, der für den Vortrag geschrieben scheint, den man unmittelbar hören will (also, Leute, wo bleibt das Hörbuch?).

In einem längeren Zyklus, der ebensosehr gesprochen, er laut gelesen werden will, wird ACAB zu AHAB (All Humans Are Bastards), und die eingangs befremdliche Hommage an T.S. Eliot löst sich im Laufe des Textes auf und funktioniert auf direkt mehreren Ebenen. Ein Eindruck, ein Einstieg:

Such dir deine Stadt, wie meine
Komm nach Frankfurt
Wo ich dieses Gedicht schreibe
Und schreib mit
Ich fühle mich so Bastard im Altern
Man ist zuweilen alt mit zwanzig, Mitte zwanzig
Der Geburtsmonat ist der grausamste
Ein weiteres Jahr hat man nichts verändert
Und ein neuer Grenzwall soll her
Bin gar kein Pole, stamm aus Deutschland
Werde immer so nostalgisch
Wie Räucheraal, wenn jemand
Von brennenden Palästen spricht
Krieg den Armenhäusern, heißt es heute
Weder Sternen noch Büchern sind wir
Nähergekommen in den letzten hundert Jahren
Die Utopie ist eine Vitrine geblieben
Blinde Sterne scheinen nicht aufzuklären
Die braune Suppe löffelt sich nicht aus
Jeder hat ein Argument
Um mich damit zu erschlagen

Es macht Piekar eine sichtliche Freude, gesetzte Annahmen und Konventionen in Stücke zu reißen, aber ganz ohne jede Zerstörungswut. Ihm geht es vielmehr um das Warum, zugleich um das Dennoch, das auch den Sisyphos bei Camus umtrieb. Piekar, Jahrgang 1990, macht dabei auch vor der eigenen Generation nicht halt, vor der Generation Unpolitisch nicht, und die Generation Tinder ist vor ihm ohnehin nicht sicher:

Ich bin kein ElitePartner, wusstest du,
Dass Ameisen Mikrowellenstrahlung sehen
Und überleben. Wenn ich dich
Zerstückelte und in die Mikrowelle steckte
Würdest du es nicht ausnutzen
Mir an die Wäsche zu gehen? Ich bin
Derart prätentiös unelitär, dass ich gerne
Saufe und Freunden dann sage, wie sehr
Ich sie liebe. Ich streite gern, auch nüchtern.
Ich will am Valentinstag zurückgelassen
Dieses Gedicht schreiben und mich
Ungeliebt fühlen. Ich baue nämlich nicht
Auf die Zukunft. Ich trage schwarz und nur.
Ich trage es ästhetisch und nur. Am besten
Trägst du es auch und nur, weil es dir gefällt.
Du sollst mir nicht gefallen, gefalle mir.
Wenn du einen Mann vergewaltigtst, dann
Ausdrücklich und lang, er könnte ein
Potential Rapist sein. Besser ist es.
Denn wenn wir Hobbys tauschen, hast du
Mir am besten eins verschwiegen, behalts
Für dich. Beziehungsstatus sollst du nicht
Teilen, du sollst ihn leiden. Leide mit mir
Einen. Verkupplung ist nur die Ausrede,
Wenn man nicht mehr voneinander loskommt.
Für Trotzficken hab ich keine Zeit übrig.
Wer will schon Krötenlecken statt
Der Partnerin. Und im Horoskop finde ich nur
Weitere Gründe gegen Online-Dating.
Wenn ich meine Ängste teile, möchte ich
Dass du dich mit mir fürchtest.
Autophobie: die Angst alleine
Auf sich selbst gestellt zu sein. Liebe ist eine.
Die Wahrheit ist immer eine andere.    

Und sonst so? Ich kratze bislang nur an der Oberfläche. Alles anzutippen, was dieses vielschichtige Buch zu bieten hat, würde den Rahmen jeder Rezension sprengen, und ich habe auch wenig Lust auf objektiv-kritische Distanz, wenn ich von Gedichten derart begeistert bin wie von diesen. Daher zum Abschluss ein Wunsch: Mögen Martin Piekars Gedichte die junge Generation erreichen. Mögen sie die Leser erreichen, die von Deutschlehrergenerationen dazu getrieben wurden, das Gedicht zu hassen. Mögen sie diese Verse mit sich herumtragen und auf Demos proklamieren oder im Bett, wenn sie das nächste Mal ein Date hatten, das Analog zustande kam. Diese Gedichte sind, so hoffe ich, der Sound einer Generation, die sich nicht abfinden will. Einer Generation, die Gedichte liest, und Dennoch! sagt.


Martin Piekar: Amok PerVers. Gedichte. Berlin (Verlagshaus Berlin) 2018. 152 Seiten. 15,90 Euro.

Zurück zum Seiteninhalt