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Màrius Torres: Poesies / Gedichte

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Kristian Kühn

Màrius Torres: Poesies / Gedichte. Katalanisch / deutsch. Übersetzt von Àxel Sanjosé. Aachen (Rimbaud Verlag, Lyrik Taschenbuch 121) 2019. 124 Seiten. 20,00 Euro.

Psychostasis


25 Jahre alt, erkrankt der katalanische Lyriker Màrius Torres an Tuberkulose. Alle seine Pläne sind mit dieser Diagnose fortgewischt, doch verbringt er noch weitere sieben Jahre im Nirgendwo eines Sanatoriums der Provinz Barcelona, bis er 1942 dort verschied.

Dem späten Symbolismus nahestehend, gehört Torres zwar am Rande zur klassischen Moderne, hat aber mit seinem Nachempfinden der barocken Vanitas-Thematik und seiner Nähe zur deutschen Romantik (etwa Novalis, mit dessen nicht unähnlichem Schicksal) eine doppelte changierende Todesnähe, mal hierher tendierend, mal weit weg, zwischen Sehnsucht, Erlösung, Wehmut, Trauer, die sich durch alle jene Gedichte zieht, die nun – von Àxel Sanjosé akkurat und lyrisch sehr einfühlsam übersetzt, den musikalischen Sog nachempfindend – im Rimbaud-Verlag (katalanisch / deutsch) erschienen sind.

Dabei handelt es sich um eine Auswahl, 34 Gedichte, etwa ein Drittel jener Texte, die zu Ehren seines 100. Geburtstags 2010 von Margarida Prats Ripoll in Lleida, dem Geburtstort von Torres, neu ediert wurden.

Vor Sanjosé, der sich sehr für die Gegenwart katalanischer Lyrik einsetzt, wurden nur sehr wenige Gedichte von Torres in deutscher Sprache veröffentlicht. Er ist demnach bei uns noch eine echte Entdeckung.

So wie ein Sonnenstrahl, der durch die Vierung
In eine Kirche eindringt nach und nach
Und dann mit Feuerfinger zeigt, ganz ungeschlacht,
        aufs schlafende Gesicht der elfenbeinern Jungfraun,

so folgst du, strenge, liebliche Musik,
einem geheimen, dunklen Gang in unsren Seelen
und zeigst mit deinem Feuerfinger
        auf das Gespenst Vergangenheit und das Gesicht      
der Zukunft.

Diese doppelte Welt der Vierung, des Kreuzes, aber nicht nur, auch der Rota, die das menschliche Geschick bindet, durchzieht das dichterische Verlangen – eine Sehnsucht nach Auflösung, Entbindung, aber sie wird konterkariert – wie eine romantische Ironie es nicht besser täte – durch die Musik, die zwar erhebt und unstofflich macht, die zugleich aber – sprachlich in ihrer Prosodie, und sinnlich schön in ihrer Erlebnisnähe – die letzten Reste der Lebenskraft aktiviert:

Sanfter Engel des Todes, wenn du kommen musst, wärs gut,
        du kämest jetzt.
---
Jetzt ist es Zeit zu sterben, da das Leben sich stärkt.      

Mit ihr brechen die körperlichen Schleusen, indem sie das Göttliche in den physischen Sinn rückt, seine Melancholie aktiviert, die ja körperlichen Ursprungs ist, eine Krankheit, die Torres schwinden lässt, die er vergessen will, zugleich aber ins Schwanken bringt:

        Die Nacht sprach: „Spürst du meinen Frieden nicht?
So komm, befreit schon vom Verlangen, das dich stört,
ins Paradies der Träume, dort, wohin mein Herz dich lädt.
Versteck dich in den Falten meines blauen Leichtuchs.“
    
Musik und Nacht als Stärkung der Lebenskraft, die ihn in seiner ständigen Seelenwägung, ob er schon leicht genug ist, aufzusteigen aus der Physis, oder ob die Waage noch nach unten schlägt, weil er nicht vergessen kann und zu viel Lebenskraft noch nach ihm zieht, dieses Schwanken lässt ihn zaudern und ist kein fliegender Hauch:

        Als sagtest du mir,
während die Luft dich entblättert:
        „Sterben ist so leicht!“
Und alles in mir wirft ein:
„So leicht für eine Rose!“
      
Aber nicht, oder noch nicht, für ihn. Seine Traurigkeit, seine Melancholie ist ihm ein Spiegel, diese ständige Lebenskraftwägung. So hängt er am Baum des Lebens wie auch am Baum des Todes, beide sind eins für ihn:

Hochmütig, flehend, lyrisch, ernst und grob,
sanft wie ein Murmeln und starr wie ein Schrei,
kommt nachts eine Musik von sehr weit her
bis an mein Leben, das im Dunkeln reift.
    
Das lässt an die Hymnen an die Nacht von Novalis erinnern, wo es in der sechsten (Sehnsucht nach dem Tode) in der zweiten Strophe heißt:

Gelobt sei uns die ewge Nacht,
Gelobt der ewge Schlummer.
Wohl hat der Tag uns warm gemacht,
Und welk der lange Kummer.
Die Lust der Fremde ging uns aus,
Zum Vater wollen wir nach Haus.
        
Wie Novalis (oder vor ihm Willism Blake und viele andere) träumte auch Torres von jener Stadt, die Schutz bedeutet, die einige real aufbauen wollten oder nach der Apokalypse am Himmel wie auf Erden erwarteten, wobei andere sich mit einem Bild von ihr als Idee zufrieden gaben, als Utopie. Und auch Torres träumte immer noch, bei einer bestimmten Musik, einer bestimmten Luft, bei einem Anflug von Erinnerung, träumte, ohne vergessen zu können, von jener fernen Stadt, die an dieses Neue Jerusalem erinnert, die er eine Stadt der Ideale nennt, die einzustürzen droht, weil die Kräfte der Furien sie verschütten.

Ach könnte man die Stadt, die jetzt versinkt, vergessen!

Wann, wenn nicht zur Weihnachtszeit zu lesen - in Erwartung eines Neuen Lichts!

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