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Maria Borio, Tom Schulz: Briefe aus der Roten Wüste

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Barbara Zeizinger

Maria Borio, Tom Schulz: Briefe aus der Roten Wüste / Lettere dal deserto rosso. Übersetzt von Pia-Elisabeth Leuschner und Paola del Zoppo. Frankfurt am Main 2024 (gutleut verlag) 2024. 70 Seiten.

Starke Bilder einer Begegnung


»Wenn ich auf ›senden‹ drücke, bin ich sofort bei dir: sind wir beisammen«, heißt es in einem Gedicht des zweisprachigen Lyrikbandes »Briefe aus der Roten Wüste« / »lettere dal deserto rosso«, in dem Maria Borio und Tom Schulz anhand von »Briefgedichten« in einen poetischen Dialog treten. Dieser Dialog beschreibt eine Liebesgeschichte, deren Gedichte größtenteils in Zeiten der Pandemie mit ihren Verwerfungen entstanden sind.

Wie Michael Wagener in dem bildnerisch sehr ansprechenden Plakatumschlag schreibt, beziehen sich Maria Borio und Tom Schulz mit ihrem Buchtitel ausdrücklich auf den 1964 von Michelangelo Antonioni in den abschreckenden Industrieanlagen Ravennas gedrehten Film. Besonders in den ersten Gedichten wird dieser Bezug deutlich. »Nur ein Punkt bin ich, allein, in der Roten Wüste«. Mit diesem Satz werden die Gedichte eröffnet und im zweiten Gedicht fortgeführt:
»Als wir durch die Rote Wüste gingen, standen Beamte / am Wegesrand. Keine Propheten im eigent-lichen Sinn. / Sie sagten: Haltet Abstand voneinander. Bleibt einander / fern«.

Abstand und Einsamkeit werden in mehreren Gedichten beschrieben, die Natur bleibt aber letztlich davon unberührt und hat etwas Tröstendes.

»An den lieben langen Tagen sind wir aus den Häusern / in einer gestillten kleinen Welt. Vögel sprechen mit uns / in der hellen Zeit.«
Winterbienen, Fledermäuse, Geckos, Kaninchen (sogar Einhörner) bevölkern die lyrischen Nachrichten. Man schickt sich Mitteilungen über Alltägliches wie Saisonarbeiter. Ab und zu treffen die beiden sich, in Städten wie Rom, aber auch in ländlicher italienischer Umgebung, die konkret und poetisch zugleich beschrieben ist. Aus dem Du wird ein Wir.

»Die Lese ist gesungen, die Oliven werden gekämmt. / Die Beeren zerspringen in den reifen Händen. Niemand / dörrt oder irrt allein. Wenn wir das Feld durchstreifen / treffen wir auf Spuren von uns: Dosen, Mörtel, Hanf- / seil, eine Hutschnur. Die Peperoni, grün oder rot.«

Vor allem, indem die beiden Liebenden sich auf die Natur einlassen, kommen sie sich nahe. Davon handelt eines der schönsten Gedichte:

»Wir haben uns ausgezogen – wie kleine Zwiebeln, / die man in die Erde / steckt. Wenn wir uns beschützen, / verlängern sich die Wurzeln, verwandeln sich. / Wir sind die Gärtner, die hegen und pflegen. Im Bauch / keimen die / anderen, unsere Liebe gießt sie, - / lässt hoffen ohne Scham?«

Schön ist auch das Antwortgedicht, das sich darauf bezieht: »Wir sind nackt die kleinen Zwiebeln oder Birnen / je nach Übersetzung.«

Erst bei den letzten Gedichten erfahren wir, dass die beiden sich bei einem Literaturfestival in Argentinien getroffen haben: »Als wir uns zum ersten Mal begegneten, trennte uns nur / der Büffetwagen in einem Frühstücksraum eines Hotels in / Rosario / Argentina.«

Die »Briefe aus der Roten Wüste« sind sehr lesenswert. Ähnlich wie Antonioni, der im Film am Ende seiner Protagonistin eine neue Perspektive gibt, zeigen uns Maria Borio und Tom Schulz mit ihrem poetischen Blick auf die Welt deren vielfältige Facetten.

Auch durch seine künstlerische Gestaltung überzeugt das Buch, denn die Texte werden durch eine Montageserie mit Standfotos aus Antonionis Film sowie Handschriften von Maria Borio und Tom Schulz ergänzt.


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