Maïssa Bey: Madame LaFrance
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Gerrit Wustmann
Eroberungen
Maïssa Bey
erzählt die französische Besatzung Algeriens neu
Am 14. Juni 1830 brach über Algerien die französische
Katastrophe herein und sollte für 132 Jahre kein Ende nehmen. Von der Ankunft
der französischen Schiffe über den Widerstand des Emirs Abdelkader, der zum
Abzug der Franzosen im Jahr 1962 führte, erzählt die algerische Autorin Maïssa Bey
(Jahrgang 1950) die Geschichte einer brutalen Besatzung und Ausplünderung. Ihr
poetisch-verstörender Roman hat zwei Protagonisten: ein Kind, das Algerien
symbolisiert. Und Madame LaFrance.
Zu Beginn steht das Kind am Meer und sieht die Ankunft der
Schiffe und ahnt nicht, was ihm blüht. Auf der anderen Seite die Dame in rot,
blau und weiß, die mit den edelsten Absichten die verlotterten Wilden mit der
Zivilisation beglücken will und dabei nicht die geringste Rücksicht auf Kultur,
regionale Strukturen und erst recht nicht auf Menschenrechte oder sonstige
zivilisatorische Werte nimmt. Es ist eine bittere Geschichte, von der Autorin
mit einem zutiefst zynischen Ton erzählt. Es geht um das Unrecht, das stets von
jenen ausgeht, die sich überlegen fühlen, kulturell wie militärisch. Es geht um
Rassismus und einen abstoßenden Exotismus, der von den Besatzern zelebriert
wurde.
Madame LaFrance lustwandelt inmitten ihres Gefolges die
lange Prachtstraße der Französischen Kolonien entlang (…). Vor jedem Pavillon
hält sie inne. Sie verweilt vor dem Platz Französisch-Westafrika, auf dem sich
Neger und Negerinnen in Boubous, die von einem vergnügten Publikum heftig beklatscht
werden, einer Zurschaustellung ihrer traditionellen, so … so sonderbaren und
zugegebenermaßen so primitiven Tänze hingeben. Sie wohnt in einem
originalgetreu nachempfundenen Klassenraum einem Französischunterricht für
indigene Analphabeten bei: Tafel, Holzpulte und richtige Eingeborene, junge und
alte, die in ihrem Wunsch zu lernen ,sich dem Niveau der überlegenen Klassen
anzunähern, rührend anmuten.
Maïssa Bey erzählt ihre Geschichte auch mit Blick auf das
Heute und die uns im Jahr 2018 weiter beschäftigende Frage, woher die Wut der
arabischen Welt auf „den Westen“ stammt. Vieles davon findet sich in der
Kolonialgeschichte. Der Nationalismus, den die Europäer nach Afrika und Asien
trugen, der Antisemitismus, den sie mitbrachten, der Rassismus, die Hybris, die
Arroganz der Macht. Die Unterwerfung von Ländern, Stämmen und gewachsenen
Strukturen aus rein ökonomischen und geostrategischen Interessen.
Woher die Wut kommt und auch die Verzweiflung, das wird
klar, als das Kind durch verwüstete Dörfer zieht, die Straßen mit Leichen
gepflastert, die Einwohner zur Armut degradiert, gezwungen, den Besatzern zu
dienen. Generationen, die mit Indoktrination und Unterdrückung aufwachsen. Vor
allem aber: Die Doppelmoral, nach innen demokratische Werte zu predigen und sie
nach außen mit Füßen zu treten, wie es bis heute die Regel ist. Bahman Nirumand
nannte das „Menschenrechte als Alibi“ - ein Prinzip, das die Glaubwürdigkeit
der demokratischen Staaten fundamental untergräbt.
Einer meiner Freunde, General Clauzel, sagte mir letztens in Bezug auf dieses neue Amerika, dass die Vorteile dieses Algeriens immens sein würden, wenn, wie in Amerika, die indigenen Rassen verschwunden wären. Erinnern Sie sich meiner Worte, mein lieber Freund! Der Branntwein löschte die Rothäute aus! Aber hier wollen diese gegerbten Häute einfach nicht trinken. Also muss das Schwert dem Pflug folgen!
Bey nutzt dabei historische und literarische Zitate, die sie
in ihre Erzählung einflicht: Camus, Hugo, Eluard, Bugeau, de Tocqueville,
Baudelaire und viele weitere kommen zu Wort in dieser Geschichtsstunde in
Romanform. Sie bedient sich einer ähnlichen Erzähltechnik wie Abdelkader Djemai
in seinem Roman „Die letzte Nacht des Emir“ (Bremen 2016), der vom Widerstand
des Emir Abdelkader berichtet und in diesem Kontext als ergänzende und nicht
weniger erhellende Lektüre empfohlen sein soll.
Am Ende steht das Kind wieder am Meer, die Besatzer ziehen
ab, geschlagen und gedemütigt. Das Kind selbst aber wird vielleicht
Jahrhunderte brauchen um die Traumata zu verarbeiten und wieder einen eigenen
Weg zu finden.
Maïssa Bey: Madame LaFrance. Roman. Aus dem Französischen von Christine Belakhdar. Bremen (Sujet Verlag) 2017. 190 Seiten. 21,90 Euro.