Laura Friedrich: Kleine schwarze Handschuhe die meine Organe wenden
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Pia Birkel
Laura Friedrich: Kleine schwarze Handschuhe die meine Organe wenden.
Leipzig (poetenladen Verlag) 2023. 112 Seiten. 19,80 Euro.
dancer from the dance:
Laura Friedrichs Kleine schwarze Handschuhe die
meine Organe wenden
du duwarsteine verschlossene Nussin direin fließender Kern
Selten lässt sich ein
Gedichtband so schwer mit einem Zitat einführen wie Laura Friedrichs
literarisches Debut—ein frei und mühelos zwischen Prosa, lyrischen Miniaturen
und Poemen wechselnder Zyklus, der sich, bei aller Aufmerksamkeit für das schmerzliche
Detail, mehr wie ein Roman liest als wie eine Sammlung von Gedichten. Das liegt
nicht zuletzt daran, dass einer mal mehr, mal weniger nachvollziehbaren
Handlung und einer Reihe von Figuren gefolgt wird, deren Persönlichkeiten
sowohl schattenhaft als auch klar umrissen in Erscheinung treten. Dabei nimmt
das Ich, das hier spricht, beobachtet, mutmaßt und Fragen stellt, eine
zugleich narrative wie poetisierende Haltung ein, in der Zeiträume und Bewegungen
ebenso plastisch werden wie Momenthaft-Erlebtes.
Doch ist mit diesem forschenden
Versuch, den Gedichtband formal-ästhetisch zu begreifen, wenig darüber gesagt,
was die Leserin tatsächlich erwartet: In seinem konzisen Nachwort nähert Jan
Kuhlbrodt sich dem Buch—ohne zu viel zu verraten—als einer Adoleszenzgeschichte
an, in der jugendliches Erwachen und unmittelbare Verlusterfahrung
zusammenfallen und ständig ineinandergreifen:
ich werde nicht sterben das muss ein Märchen seinund ich glaube nicht an Märchen
Es sind solche Satzstücke,
in denen Allgemeines—die erste Auseinandersetzung mit der eigenen
Sterblichkeit—und Spezifisches—die Ungläubigkeit der Sprechenden, die das Ich
hier zitiert und erinnert—zur Stärke des Bandes werden. Dabei wird souverän
zwischen Registern („wir laufen wie zufällig / zu Lethes Füßen“), zwischen
Englisch und Deutsch („how to dance with a dying self?“), sowie zwischen
verschiedenen (pop-)kulturellen Modi changiert („hinter den Häusern wird jemand
erschossen // Tarantino steigt aus einem Baumstamm“). Man begegnet Fußnoten und
Titeln wie „Liebe Jona“, „take 1, 2, 3…“ oder „Anns Stimme“. All das lädt dazu
ein, den Text als solchen zu befragen—als ein Dokument, das, mal Filmskript,
mal Brief, Zitat oder Vertonung, seine eigene Beschaffenheit zum Thema macht. Dies
wird schon zu Beginn deutlich, wenn in einem frühen Kapitel die Personen, um
die es im Folgenden geht, als „DARSTELLENDE“ gelistet werden. Doch wird daraus—und
hierin liegt vielleicht der Erfolg des Bandes—kein postmoderner Kunstgriff, dessen
formale Ansprüchlichkeit uns vom Geschehen distanziert; sondern die
verschiedenen Versuche, Sprech- und Herangehensweisen zu finden, sich dieser
komplexen Selbstfindungs- und Verlusterfahrung anzunähern, bringen uns
schmerzlich nah an das Bewusstsein jenes Ichs, in dem sich diese
abspielen.
ich war einmalsieben Jahre alt erinnere michich lag im Laub dein Knisternunter den Fichten warm wie ein Bett lange noch lagen wir daumschlungen bis zum Abend und ich stellte mir vorich könnte bleiben
So entsteht die
Geschlossenheit dieser Texte nicht durch enge motivische Verknüpfung, auch wenn
diese—in schillernden Andeutungen wie dem wiederkehrenden Bild der Tanzenden
und des Tanzes—keineswegs ausbleibt. Gerade die Freiheit, sich Andeutungen,
Anspielungen, eine Breite an Referenzen und Spezifika zu erlauben, erlaubt es
ihnen, den Eindruck zu machen, auf ein größeres Ganzes zu verweisen.
Indes ist nicht immer klar, was genau eigentlich verhandelt wird, in welcher Beziehung die Figuren zueinander stehen oder auf was genau im Einzelnen Bezug genommen wird. In einem Kapitel, das in Filmtakes gegliedert ist, heißt es beispielsweise: „nur Ella weint / sieht uns zwei // wie Treibgut // Ella war da / Ella hat alles gesehen“. Hier wird, ließe sich mutmaßen, eine Eifersuchtsszene geschildert; ebenso plausibel könnte Ella eine ganz andere verstörende Szene miterlebt haben. Bräuchte es nicht mehr Klarheit, um die Leserin nicht unnötig rätseln zu lassen? Die Themen, die hier anklingen, sind alles andere als neu; und auch der gelegentliche Aphorismus („Einsamkeit ist nur ein Gedanke“) wirkt etwas abgegriffen. Neu hingegen sollte sein, in welcher spezifischen, sprachlichen oder gedanklichen, Konfiguration diese Themen betrachtet werden. Hier aber zeigt sich, was den Gedichtband—und das ist es, was Laura Friedrich zuallererst vorlegt—lesenswert macht: Eine lyrische, teils bildhafte, teils rhythmische Dringlichkeit, in der uns Erinnerung, wie es bei Paul Celan heißt, „erreichbar, nah und unverloren“ scheint:
ich war hier ich hatte eine Stimmesie flog aus meinem Körperweit von mirerreichte deine Händefloh
Es sind diese Passagen, die im Gedächtnis bleiben, und die dieses Debut—als eigenwilliges, eigenmächtiges Dokument einer Ichwerdung—mehr als lesenswert macht.