Lars Gustafsson: Etüden für eine alte Schreibmaschine
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Timo Brandt
Stets wirst du eingeholt
von der verstauchten Sehnsucht
„Woran ich mich aus dieser Zeit erinnere,ist das Geräusch. Es konnteklingen wie Wellen an einem Strand.[…]Ich erinnere mich wie am Metropolitan Deskder New York Times zuweilen eine einsame Remingtonin einer Kaskade von Anschlägen aufbrauste.Es war eine Zeit,als man die Menschennoch denken hörte.Wie unvorhersehbar die Gedanken kommenund uns wieder verlassen.Wie sehr selbstbewusste Gäste.“
Auf manche Publikationen freue mich besonders. Nicht (nur),
weil sie neue spannende Impulse oder Auseinandersetzungen versprechen, sondern
viel mehr: vertrautes Behagen, vertraute Schönheit; eine schlichte, von
Enttäuschungen freie Freude. Es sind meist Werke von Autor*innen, bei denen ich
früh wusste, dass ihr Schreiben mich ein ganzes Leben lang begleiten wird.
Mit diesen Gefühlen sah ich auch dem (leider letzten)
Gedichtband des Schweden Lars Gustafsson entgegen, denn ich schätze das Werk
des 2016 verstorbenen Dichters, Essayisten und Romanciers sehr. Ich mag das
Unaufgeregte, die Gelassenheit, die fast schon wie Sorglosigkeit anmutet, die
in diesen Büchern beheimatet ist, und sich doch jedes Mal behutsam zu kleinen
Erkenntnissen, Sehnsuchtsmomenten und atmosphärischen und philosophischen Verdichtungen
umstülpt.
„Dieser Tag besteht aus lauter kleinen EreignissenDer Blecheimer klappert ohne Wasser[…]Die Farbe des Fensterrahmens ist stärker abgeblättertals neulichWie friedlich sprechen nicht die Korbstühleauf der Veranda miteinanderWenn alle sie verlassen haben“
Sehr oft arbeitet Gustafsson in seiner Lyrik mit Geflechten aus An- und Abwesenheit, mit leichten Unschärfen, Leerstellen und offenen Fragen, offenem Gelände. Zwischen seinen Zeilen, zwischen den Gegenständen des Gedichts, scheint viel Platz zu sein, viel Raum zum Mitdenken, Nachdenken, Nachspüren. Ein Raum, in dem das Echo der Dinge nachklingt oder überhaupt erst zum Ruf, zum vernehmbaren Gedanken, wird.
Einiges haben seine Gedichte, so scheint es mir zumindest, mit den Gedichten von Adam Zagajewski gemein. Ähnlich wie Gustafsson, bewegt sich Zagajewski immer wieder zwischen Erinnerungswelten und philosophischen Exkursen, Augenblicksfacetten und nachdenklichen Abschweifungen.
Bei Gustafsson jedoch, sind diese Exkurse oft mit leiser Süffisanz inszeniert, einem feinen Schalk.
„Gott befindet sich alsowenn man den Theologen früherer Zeit glaubtin einem Zustand ewiger Seligkeitund kann daher von menschlichem Leidnicht berührt werden.Das ist ja schade. Sonsthätte er ja etwas lernen können.Nicht zuletzt über seine eigenen Tätigkeit.“
Geist und Welt, beide sind in den Gedichten von Gustafsson
oft zu Gast, betreiben freundliche Konversation über die Ingredienzien des jeweils anderen, aufgebaut
wie eine liebevolle Kulisse. Als ginge es um nichts, ergibt ein Wort das andere
und doch findet mit einem Mal ein Anverwandeln statt, aus dem Inventar des
Gedichts werden Ideen, werden Gestalten, wird lebendiger Bezug.
„Mehr Uhren, je weiter der Tag fortschreitet.Hier geschieht jetzt alles sehr schnell:Die Vögel erstarren in den Bäumen.Die alten Schrotmeißel, die unter Spinnwebendecken schliefen,erwachen, schärfer jetzt,und sehnen sich danachin geschwärzte Eiche zu schneiden.[…]Jetzt erstarren die Vögel in den Bäumenund werden zu ihren eigenen Schatten.“
Und so nähern sich viele Gedichte von Gustafsson dem
Gewöhnlichen mit der ihm eigenen Sorgfalt und Gesetztheit an, arbeiten aber
doch das bare Wunder darin, dahinter heraus. Oft wirkt die Einfachheit, mit der
die Sprache dieses Heranholen betreibt, das Wesen der Dinge einholt, nicht
einmal wie eine nüchtern-signifikante Einfachheit, sondern wie die Einfachheit,
die den Schwenk auf einen schönen Umweg auszeichnet, den man aus einer Laune
heraus oder aus dem Wunsch nach noch ein bisschen mehr Ruhe einschlägt.
Es ist natürlich auch ein Band der Abschiede, des Rückzugs,
in dem nicht selten Wehmut, Wiederkehr und Alter eine Rolle spielen. Gustafsson
lässt auch in diesem Themenfeld sanfte Ironie und schlichte Bildsprache
dominieren, mitunter mit mehr Moll, dann wieder mit einem schnellen
Dur-Einschub.
Letzte Weisheiten, letzte Rätsel, letzte Späße, letzte
Skizzen erwarten die Lesenden in diesem Band. Es sind keine lyrischen
Meisterwerke und es ließe sich durchaus die Frage stellen, ob einige Poeme
nicht schlicht Prosa mit Versumbrüchen sind. Aber die Wirkung dieser Gebilde,
was immer sie auch sein mögen, ist fast immer lyrisch, regt Assoziationen an
und stößt mit einfachsten Wendungen tief in die Geheimnisse des Offenliegenden
vor.
„Ein lebhaftes Schneegestöberfällt wie ein ironischer Kommentarauf die Gräber vergangener Philosophenin einer praktisch fortlaufendandauernden Winterdämmerung.“
Lars Gustafsson: Etüden für eine alte Schreibmaschine. Übersetzt
von Verena Reichel. München (Carl Hanser Verlag) 2019. 80 Seiten. 18,00 Euro.