konkret beredt - ein Abend für und mit Eugen Gomringer
»mein thema sei im wandel das
was bleibt«
Ein Abend für und mit Eugen Gomringer zu seinem 90. Geburtstag
Gratulation durch Michael Lentz und Annette Gilbert
Der Andrang war groß, als Eugen Gomringer, Begründer der Konkreten Poesie, am Donnerstag, den 22.1., im Lyrik Kabinett seinen Geburtstag feierte. Das Datum war überdies treffender gewählt, als vielen klar war. Denn laut der Ankündigung des Geburtstags des Dichters in der NZZ vom 20. Januar ist es wahrscheinlich, dass, entgegen der Einträge in Lexika, das Geburtsdatum Gomringers tatsächlich der 22. Januar gewesen ist.¹ Es war also umso erfreulicher, dass der Dichter seinen Geburtstag im Lyrik Kabinett feierte.
In seiner Einführung hob Holger Pils den Begriff der Konstellation im Werk Eugen Gomringers hervor. Seit dem 1955 publizierten Essay »vom vers zur konstellation«, der als Manifest der Konkreten Poesie gilt, erscheint dieser Begriff als zentral. Der »Vater der konkreten Poesie«, wie er genannt wird, beschritt in Theorie und Praxis zwischen Bild und Text einen neuen Weg und trug so zu einer Erweiterung des Literaturbegriffs innerhalb der Modernen Poesie bei. Schon seine erste Publikation »konstellationen«, die 1953 in Bern erschien, formuliert durch die gestalteten Ideogramme den Anspruch einer neuen Dichtung, die zwischen Bildender Kunst und Lyrik vermittelt.
Pils verwies zudem auf die interaktiv gestaltete Homepage Gomringers (www.agomringerz.de), die eine konsequente Weiterführung seines Konzepts Konkreter Poesie darstellt und durch die Neuen Medien weitere Möglichkeiten der Verwirklichung seines Literaturbegriffs bereitzuhalten scheint. Besonders das interaktive Moment des digitalen Zeitalters scheint der Pionierarbeit Gomringers entgegenzukommen.
Vor der eigentlichen Dichterlesung war für die Gratulanten des Abends, Michael Lentz und Annette Gilbert, Zeit, in gestalteten Vorträgen über Werk und Autor zu Wort zu kommen.
Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Michael Lentz wählte für seinen Vortrag das wohl berühmteste Gedicht Gomringers: schweigen. Während des gesamten Vortrags konnte man sich der Metaebene nicht entziehen, dass hier viel zu etwas gesagt wird, was im Grunde sprachlich nicht auszudrücken ist, nämlich das Nicht-Sagen.
schweigen schweigen schweigen
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schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
schweigen schweigen schweigen
Das Ideogramm, das die, so Lentz, wohl berühmteste Lücke der modernen Lyrik enthält, wurde zum Zentrum seiner Betrachtung über die Ausdrucksmöglichkeiten dessen, was nicht einfach gesagt, sondern scheinbar gestaltet werden muss, um es anzuzeigen.
Das Schweigen, das so nicht nur zum Begriff, sondern zur Handlung werde; ein Sprechakt, der gerade kein Sprechakt ist, werde durch die »Einvierung« des Begriffs bzw. des Verbs schweigen zur Gestalt, die gerade als Ellipse in Erscheinung tritt. Das Ideogramm erhält dadurch architektonischen Charakter, weswegen es auch legitim scheint, in diesem Zusammenhang von einer Einvierung zu sprechen.
Ein Ideogramm stellt, unter Verweis auf die Wortherkunft aus dem Griechischen, in der Wissenschaftssprache einen Begriff, nicht eine Lautung dar. So wird in einem Ideogramm vor allem eine Idee repräsentiert. Das Schweigen als Begriff abzubilden, erscheint hier als Idee von Darstellbarkeit mithilfe der Lücke in der Buchstabenfolge schweigen.
Die Frage, die das Gedicht aufwirft und damit gleichzeitig eine Antwort anzuzeigen scheint, ist: Welche Lautform hat das Schweigen? Genau diese Frage wirft die Lücke auf, darstellbar als bewusstes Auslassen.
Durch die Abwesenheit des Sprechakts materialisiere sich das Schweigen innerhalb der Einvierung; denn das Benannte könne nicht am selben Ort sein wie die Benennung – das Sichtbare und das Unsichtbare bildeten im Ideogramm eine paradoxe Einheit.
Andererseits werde das Bildzeichen gleichzeitig zum Begriffszeichen. Durch das wiederholte Nennen des Begriffs Schweigen und die gleichzeitige Auslassung in der Mitte des Ideogramms vollziehe sich ein Chiasmus, eine Kreuzung. So entstehe die Beziehung zwischen Begriff und Performanz durch ein gegenseitiges Verweisen aufeinander. Es zeigen sich so Begriff und Erfahrung, Text und Bild, detractio (Wegfall) und repetitio (Wiederholung) gegenseitig an und machen das sichtbar, was nicht ausgedrückt werden kann.
Die gleichzeitige An- und Abwesenheit des Schweigens erscheint hier zeitlos, das Wort wiederhole sich aber in der Zeit. Die wörtliche, und man möchte sagen, figurbildende Wiederholung, bewirke dabei, laut Lentz, ein »meditatives Starren« innerhalb der Rezeption, das jedoch stumm bleiben muss. Das Gedicht bleibt stumm, weil es sich, noch weiter gehend, um Schrift handelt, die durch die Gestaltung zu einem Werk der Bildenden Kunst werde, nicht zu einem Sprechakt.
Seine Rede vom Schweigen schloss Lentz konsequent mit dem Verweis auf das sakrale Silentium und einer Referenz auf Wittgenstein: »Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.«²
So könne sich das Schweigen und somit auch das Geheimnis des Unaussprechlichen nicht "konkret beredt" zeigen, wie es der Titel der Veranstaltung angekündigt hatte, sondern nur im Vollzug des Unaussprechlichen zum Bild werden, zu einem »unabschließbaren Prozess des gegenseitigen Verweisens.«³
Während Michel Lentz ein konkretes Werk Gomringers zum Zentrum seines Grußworts gemacht hatte, sprach Annette Gilbert, Literaturwissenschaftlerin an der FU Berlin, über die Wirkung und Bedeutung des Dichters innerhalb der Modernen Poesie. Dabei hob sie das Modell des konzeptuellen Schreibens Gomringers besonders hervor. Durch die Hinzugewinnung der Neuen Medien, die die Möglichkeiten der Vernetzung (Hypertext) und der Interaktivität entscheidend erweitert haben, könne Eugen Gomringer nicht nur als Vater der konkreten Poesie, sondern auch als Pionier bezeichnet werden.
Unter dem Eindruck der Recherche für die Herausgabe einer als Hommage konzipierten Gedichtsammlung,⁴ die anlässlich seines 90. Geburtstags erschien, betonte sie die jahrzentelange Zusammenarbeit Gomringers mit Bildenden Künstlern. Im Unterschied zu Gedichten, die sich auf Werke der Bildenden Künste früherer Epochen beziehen, breche Gomringer mit dem Konzept der Mimesis und suche den Bezug zur abstrakten Malerei, was ihm die Möglichkeit gibt, mit den Künstlern direkt zusammenzuarbeiten. So wird der Begriff der Konstellation für beide Künstler direkt erfahrbar, da sie in direktem Austausch miteinander zu stehen vermögen. Seine Gedichte seien so keine Gedichte über Gemälde, keine Nachbildung eines Bildes, sondern vielmehr Übersetzungen des Simultanen ins Analoge, wodurch die Konkrete Poesie durch Eugen Gomringers Werk fassbar und erfahrbar wird.
Gomringer selbst zeigte sich sehr zufrieden mit den Ausführungen seiner Gratulanten und ließ während seiner Lesung manche Erklärung und Anekdote zur Entstehung der Gedichte, die er las, einfließen.
Er sprach über aktuelle Projekte mit Kirchengemeinden in Franken, wo er mittlerweile wohnt, aber auch von einem aktuellen Street Art Projekt in Mexico City. Beides zugleich Kooperationen mit Bildenden Künstlern. Er betonte dabei, dass seine Arbeiten niemals Reduktionen gewesen seien, obgleich sie sehr konzentriert und weniger ausgeschmückt scheinen, sondern Kreationen, an denen der Leser anknüpfen könne, um eigene Gedanken sprießen zu lassen.
Angefangen hatte alles an der Universität Bern, wo Gomringer gemeinsam mit Bauhaus-Grafikern 1953 seinen ersten Band >Konstellationen< herausgab.
Inspiriert hätten ihn außer Stefan George und Hofmannsthal vor allem der Zen-Buddhismus, das japanische Haiku mit seiner strengen Form und die Schriften von Meister Eckardt und die Lebensweise und Architektur der Zisterzienser.
In seinem Spätwerk zum Sonett zurückfindend, zieht Eugen Gomringer in dem Essay "von der konstellation zum sonett – das reversible experiment" den Bogen bis hin zu dem Ideogramm "schweigen" zurück. Die vierzehnmalige Wiederholung des Wortes sei dabei damals nicht als Verweis auf das Sonett intendiert gewesen.⁵
Der 2009 bei der edition signathur erschienene zweisprachige Band "der sonette gezeiten / the sonnets's tides", umfasst 30 Sonette, die im Sommer 2008 entstanden sind. Eines trägt den Titel "Kirchgasse 4", und wie er es selbst an diesem Abend formulierte, scheint es einerseits angereichert mit einem Leben voll Erinnerung, andererseits aber auch in einer mythischen Weise stillzustehen.
»kirchgasse 4
mein thema sei im wandel das was bleibt
das dauernde in einer wechselwelt
der stein der name der im netz sich hält
wie broch vergil aus manuta beschreibt
das eilend fliessende das euch gefällt
kaum sichten lässt was wen da stetig treibt
sich transformiert und wiederum entleibt
wie anders strebt was nicht dem strom verfällt
mein thema sei was ins konkrete mündet
was hinbewegt zu wort und bild und bau
und gleich natur das nützliche begründet
gewonnen wird das einzelne der schau
was sich als messpunkt allemal verbündet
was sich versammelt kirchgass 4 rehau«
der sonette gezeiten, S. 33
An dieser Stelle wird wieder schweigen erfahrbar, jenes Mystische, das die Lücke in dem frühen Ideogramm anzeigt.
So endete der Abend, wie er begann, mit dem vierzehnmal wiederholten Wort, das man nicht nennen kann, ohne das, was es bezeichnet, zu brechen, mit dem Verweis auf die strenge Form des Sonetts und mit einer Kreisbewegung, die am Ende zu ihrem Anfang zurückfindet. »mein thema sei im wandel das was bleibt«. Und so wurde dieser besondere Abend mit langem Applaus beschlossen.
Katharina Kohm
¹ Eugen Gomringer wird 90, NZZ, 20.1.2015
² Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, 6.522.
³ Die Rede ist vom Schweigen, Michael Lentz beim online-Portal des Fischer-Verlags.
⁴ »nichts für schnell-betrachter und bücher-blätterer«. Eugen Gomringers Gemeinschaftsarbeiten mit bildenden Künstlern, Hrsg: Annette Gilbert, Kerber 2015.
⁵ "als beispiel stehe das wortbild schweigen, das vierzehnmal den rahmen des in diesem fall nicht wiederzugebenden begriffs bildet, wobei durch die zahl vierzehn sich eine verkettung mit der zahl der verse des sonetts zu ergeben scheint, die aber nicht beabsichtigt war [... ]" in: der sonette gezeiten / the sonett's tides, Gomringer, edition signathur 2009, S.55