Klára Hůrková: Gehege mit Magnolien
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Hartwig Mauritz
Klára Hůrková:
Gehege mit Magnolien. Gedichte. Mit bildnerischen Arbeiten der Autorin.
Lud-wigsburg (Pop Verlag) 2023. 92 Seiten. Softcover. 18,50 Euro.
Bilder, die ich nie malen werde, hämmern mit ihren Fragezeichen an
meine Schläfen [Zum Gedichtband von Klára
Hůrková „Gehege mit Magnolien“]
Die Dichterin, Malerin,
Philosophin und Lehrerin Klára Hůrková ist in der
tschechischen, deutschen und englischen Sprache zu Hause. Ebenfalls ist sie international
vernetzt und hat drei deutsch-tschechische Anthologien herausgebracht. Die
weitgereiste Autorin wuchs in Prag auf, bevor sie 1989 nach Belgien emigrierte
und schließlich nach Aachen kam. Diesen sehr weiten Horizont besitzen auch Ihre
Gedichte, die sie in ihrem neuen Band „Gehege mit Magnolien“ vorgelegt hat, der
in diesem Jahr im POP-Verlag Ludwigsburg erschien. Der Band ist in fünf Kapitel
unterteilt und enthält eine Vielzahl beeindruckender Gemälde der Autorin und
Malerin, der ihn allein dadurch schon zu einem optischen Erlebnis werden lässt.
In ihren Gedichten wirft Klára
Hůrková die großen existenziellen und philosophischen Fragen in Zeiten
internationaler Krisen auf, die in Szenen des Alltags einbrechen. So werden wir
auf S.17 Zeugen eines Treffens zweier Geschwister im digitalen Raum „An meinem
Geburtstag habe ich/ mit meiner Schwester in Brünn Wein getrunken/ Lachen
geteilt von Laptop zu Laptop“. Die Zeit der Pandemie wird als großer einsamer
Raum beschrieben. Auf S. 21 heißt es „wie das Tier in einem Zoo/ der lange
keine Besucher/ empfangen hat/ habe ich mich an die Leere/ um das eigene Gehege
gewöhnt“, und „Der Rote Regen“, der Saharastaub auf die Stadt fallen lässt,
spült nicht nur rote Schlieren auf die Fensterscheiben, sondern auch die Bilder
des Ukrainekrieges in einen „Nachrichtenalbtraum“.
Im zweiten Kapitel „Die Liebe
zuerst“ werden wir zunächst nach Italien geführt. In „Closing Time, Venice“
heißt es „Schwarz schimmert der Schimmel/ an den Häuserfassaden/ die Trauer
tragen/ Der vom Aussterben bedrohte Löwe/ trocknet seine Flügel/ auf der Säule/
wiegt sich in Sicherheit“. Bei der Rückkehr von der Reise ist es die Wohnung,
die dem lyrischen Ich als Subjekt gegenübertritt „In der Wohnung hat sich/
unsere Abwesenheit angestaut/ und begrüßt uns als Fremde“ (S 38). Im Dürer-Gedicht
auf Seite 39 wird eine Liebesgeschichte angedeutet „Er wurde ihr Herr/ indem er
Linien zog/ vom Auge zum Herz/ vom Herz zur Hand“. Auf Seite 42 entfaltet sich
am Jahresende mit dem Verbrennen der Steuerunterlagen „die vernichtende Kraft/
jeder Metamorphose“.
Das dritte Kapitel
„Gespenstergeschichten“ befasst sich mit den Übergängen von Schlaf, Traum und
Wachsein. „Vergeblich/ wartet der Traum in der Ecke, ist Meer, Wurm, Drache,
kann nicht mehr erwachen“ (S.47). Es ist immer wieder der Gott der Träume, der das
lyrische Subjekt nicht schlafen lässt (S.55) „Morpheus fegt den leeren Flur/ Du
irrst alleine durchs Haus/ suchst einen Platz zum Schlafen“ und in einem „antiken
Traum“ die Nähe von Tod und Schlaf heraufbeschwört S.58 „Morpheus/ mit
Mohnpflanzen in der Hand/ führte mich an meinen Grabstein.“
Ihre Liebe zum Meer entfaltet die
Autorin in den Gedichten des Kapitels „Die Nordsee“. Und es scheint als läge in
„Nach der Atempause“ auf S.73 der Schlüssel zu ihren Gedichten „Bilder, die ich
nie malen werde/ hämmern mit ihren Fragezeichen/ an meine Schläfen“, als würden
die phantastischen Gemälde der Dichterin durch Ihre Texte weitergemalt werden. Die
Nordsee stellt ein beliebtes Reiseziel dar, ein Ort der Meditation. Das Meer
ist auch ein Ort für den Neuanfang. „Es gibt den Dingen Raum/ neu zu entstehen.“
S.66. Die See erzeugt neue Sicht-weisen und damit sehr eigene Metaphern. „Im
Norden/ gebiert die Sonne Schiffe“ und „weht Strandkörbe/ und Möwen aus dem
Schlaf“ S.67. Die Ebbe erhält bei Klára Hůrková einen erotischen Unterton „Doch
es ist wieder die Ebbe/ dieser Zustand der Leere/ es ist das Land/ das sich wie
unser Körper/ hilflos und nackt fühlt/ nachdem ein mächtiges Element/ mit ihm
die Nacht verbracht hat“.
In den Gedichten des letzten Kapitels „Liebe zuletzt“ endet die Liebe,
und Eros wird von Thanatos abgelöst. „Du zeigtest mir das Meer/ hast zugesehen,
wie ich gedeihe/ und spürtest zum ersten Mal/ die andere Wärme bis ins Mark“
S.77/78. „Im Tretboot“, wo die Alltagssorgen in der Sommerhitze unter dem
Sonnenhut kochen“, rennt eine Spinne über das Gedicht und hebt es auf eine
Metaebene, auf der das Gelesene zu einer Illusion wird, zu einem Gedicht im
Gedicht. Das „Herzklopfen“ wird anatomisch seziert und die Zerbrechlichkeit des
Organs hervorgehoben. Damit wird die romantische Vorstellung des Herzens
konterkariert. Die Gedichte des letzten Kapitels umfassen die Spanne von Liebe
und Tod. Davon erzählt uns das „Requiem“ auf S.84. Das lyrische Subjekt steht
am offenen Sarg „Ich trinke Wein/ rauche Zigaretten/ mit seinen Kindern/ in
denen er weiter -/vielleicht -// Led Zeppelin/ spielen Stairway to Heaven// ich
stehe abseits/ kinderlos/ und frei/ in Tränen“.
Der Autorin gelingt es
in beeindruckender Weise, das persönliche, das biografische dem Leser
erfahrbar zu machen und es mit dem Weltgeschehen zu verbinden. Damit erreicht
sie eine Unmittelbarkeit in ihren Texten, die den Leser dieses Buches berührt.
Der rote RegenDer Sand von der Sahara fiel vor ein paar Tagenmit dem Regen auf unsere StädteRote Schlieren bleiben auf den FensterscheibenUnd wir lasen über die Bombendie in Charkiw und Kiew fielenund konnten nichts tun alsmanche Namen jetzt mit „i“ zu schreibenGelder Spenden und Posts kommentiereninsgesamt hilflos und unwissendwährend die Sonne nicht aufhören wolltejeden Tag neue Blüten hervorzulockenKrokusse, Narzissen, Zierkirschen, MagnolienWir nahmen dann Urlaub von diesemNachrichtenalbtraumzogen uns zurück in die westlichste Eckeunseres immer kleiner werdenden Paradieses