Katharina Körting: vorerst untersagt
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Katharina Körting
Wie geht es mir: vorerst untersagt
VORERST abgesagt, VORÜBERGEHEND geschlossen. Nichts geht
mehr. Alles steht unter Vorbehalt. Jedes Treffen, jede Reise, jede Gemeinsamkeit.
Aus Angst vor Quarantäne – Horror! – begebe ich mich außerhalb der Arbeitszeit
in Quarantäne. Vermeide unnötige
soziale Kontakte. Hänge vorm’m Rechner. Hänge durch. Arbeite an Texten, die im
Moment belanglos erscheinen. Meine Arbeit ist nicht systemrelevant. Ich bin nicht systemrelevant. Bin nur ein Risiko. Jede Begegnung vollzieht sich
unter Infektionsverdacht, Berührungen sind untersagt, wer hustet, wird schief
angeschaut. Es wird immer kleiner, das Leben.
Es fühlt sich an wie eine Bombe, die nicht fällt, weil sie
es nicht nötig hat: implodiert im Geheimen, in jedem Handschlag, in jedem Raum.
Ein Gewitter, das nicht kommt, weil es schon da ist. Droht und drückt und
verweigert den Ausbruch, weil es längst losgebrochen ist, unsichtbar, unhörbar,
unkontrollierbar. Blitzt in den Köpfen, reißt an den Seelen. Pladdert auf mich
ein.
Auch Liebe ist verboten. Liebe ist ohnehin das Schlimmste, das
passieren kann, aber jetzt kann sie nicht mal mehr passieren! Niemandem darf
ich nahekommen. Stattdessen untersage ich mir solche Gedanken als „egoistisch“:
Liebe! Berührung! In Zeiten von Corona gibt es wichtigere Dinge als nutzlose,
egoistische Gedanken an unerlaubte Berührungen – mentale Hamsterkäufe, die vom
Wesentlichen ablenken: ES GILT, LEBEN ZU RETTEN. Nicht die Liebe. Die ist
ohnehin verloren.
Klopapier habe ich genug (ist eine Marotte von mir, auch
ohne Corona: Ich werde nervös, wenn nicht mindestens eine nicht geöffnete
Acht-Stück-Packung in der Kammer liegt). Bei Bohnen und Reis und Nudeln bin ich
fatalistisch: Was weg ist, ist weg. So weit kann ich nicht voraus denken. Es
wird irgendwie weiter gehen. Wasser wäre das Wichtigste, im Notfall (den ich
mir, satt im satten Land, ja gar nicht richtig vorstellen kann). Zum Glück
wohne ich, (sicher im sicheren Land, dem die scheinbar gesicherte Sicherheit
wegbröckelt), in der Nähe eines Sees. Das wäre nicht hygienisch, aber gut gegen
Verdursten. Wenn kein Strom mehr da wäre – auch solche Gedanken kommen – tja,
dann kann ich das Wasser nicht mehr abkochen. Dann muss ich da durch. Irgendwie
durchkommen. Überleben, im Notfall. Hauptsache, den Kindern geht es gut.
Archaische Impulse sind das, Vor-Vor-Vorfahren haben sie in meinen Genen
hinterlassen: was Not tut.
Ich kaufe nicht mehr als sonst, aber plötzlich fehlt mir all
das, was normal war, sogar das, was ich auch mal geschwänzt habe: die
Chorprobe, der Gottesdienst, ein argloses Gespräch in der Kneipe. Die Pilates-Gruppe.
Überhaupt: Menschen! Die zwiespältige Umarmung zur Begrüßung von zwiespältigen
Freunden. Das Konzert, die Lesung, wo ich mich behaglich in der Gruppe
vereinzeln kann. Überall hingehen können,
auch wenn ich es gar nicht tue. Einfach nur so im Café sitzen UND NICHTS BÖSES
DENKEN. Oder etwas anderes Böses. Oder etwas Liebes. Einfach nur da sein
dürfen, und nicht eine potenzielle Gefahr. Das Gefühl, dass Freude ansteckend
ist – und nicht das Virus.
Es hat einen so schönen Namen, das kleine Corona. Zwingt die
Krone der Schöpfung in die Knie, jedenfalls vorübergehend. Kein anderes
Lebewesen würde so einen Aufriss machen wie wir. (Ja, ich sehe das alles ein –
ich will auch nicht entscheiden müssen, wem ich die Sauerstoffmaske gebe und
wem nicht! Oder gar die Person sein, über die so entschieden wird.) Tja, so
geht es mir. Ich leide, ohne krank zu sein, habe mich angesteckt, ohne
infiziert zu sein. Und frage flehentlich, ohne zu wissen, wen (denn die
EXPERTEN geben ja lauthals zu, dass sie es auch nicht wissen): Wie lange dauert
das „Vorübergehend“, das „Vorerst“ vor ABGESAGT, GESCHLOSSEN, VERSCHOBEN?