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Johannes Witek: Drei Gedichte

Montags=Text


Johannes Witek


Drei Gedichte



Pillow Talk



Das satte Paar, das nach dem Sex
(Schulter an nackter Schulter)
über den furchtbar einsamen Bekannten  redet,
der immer unangekündigt vor der Tür steht,
sich dauernd selbst einlädt,
sinnlos redet redet redet
immer nur will und nimmt und fordert
und – selbst wenn er es gut meint - nicht versteht,
warum seine bloße Anwesenheit
nicht Geschenk genug ist für alle:

„Vielleicht sollte er sich
eine Katze kaufen.“

Ah, es redet sich leicht so
Schulter an Schulter,
in der warmen Sicherheit gemeinsam
geteilter Haut,
satt und postkoital;
bei Gott,
ich weiß es selber
nur zu gut.

Keine Schuldigen,
jeder hat Recht,
nur Leben auf allen Seiten,
was es von einem ausspuckt
was es so selten so reich gibt
und so häufig so furchtbar nimmt
und was es so traurig übriglässt ...

Daher genießt es, solang es anhält,
meine Freunde unter der gemeinsamen Decke.

Die Zeit, wo euch eine Katze gegen
die Einsamkeit empfohlen wird
kommt früh genug.

Und dann ist da keine nackte Schulter mehr,
die sich an eure lehnt.

Oder, noch schlimmer: vielleicht doch.


___



Vom Nutzen der Lyrik am Straßenasphalt


In der fahlen Dämmerung
elektrischer Nussschalen
werden es zukünftige Gesichter sein,
die über dich urteilen
und zwar unbarmherzig,
angeödet und innerhalb von drei Sekunden:

Dein ganzes Leben,
all dein Warten, Hoffen,
Suchen, Kämpfen,
deine stillen Siege und deine
triumphalen Niederlagen,
den Mut den du aufgebracht hast
und die Feigheit,
die Lügen,
all die kleingeistige sinnlose
Rumscheißerei deiner Alltagstage,
das Menschliche an dir
-- all das wird abgeurteilt werden
kalt und sympathielos,
innerhalb von zwei Atemzügen:

Was du geschafft hast
alles
und was du nicht geschafft hast,
alles.

"Pfff, lächerlich. Der Nächste!"

Und vielleicht ist das ja der Weg:
Nicht robust zu werden
nicht so stark und sicher zu werden
wie möglich
(der menschliche Verstand spricht und
rettet sich in Routinen)
sondern durch Zufälle und Traumata zu wachsen
und das zu suchen
auch das
vielleicht sogar vor allem das.

Wenn das der Weg ist
dann habe ich ihn oft gesucht
alleine nachts im kargen Licht
meines Stadtzentrums
dort im fahlen Neon zwischen Erdnussschalen
habe ich die Wahrheit gesucht
und alles was ich gefunden habe war
ein Typ
der mir erst erzählt hat,
dass er als Siebzehnjähriger
von einer Zweiundvierzigjährigen
entjungfert worden ist
und mir danach eine knallen
wollte.

Und vielleicht IST das ja, worauf
es ankommt:

Nicht, dass du 120 KG beim Bankdrücken schaffst,
nicht dein Geld, dein Aussehen, dein Status,
dein Job, dein Titel,
die Zahlen und Namen und Fakten
deines Lebens

sondern die Menschen,
die dich auf nächtlichen Straßen
in den Beton klopfen wollen,
wie du ihnen begegnest
und was du daraus lernst.

Was immer es ist,
lern es besser schnell,
denn bald wirst du mir begegnen
und dann  
werde ich dir eine knallen wollen.


____



Vorbei und Repeat


Er wollte der nächste
Thomas Bernhard oder
Franz Innerhofer werden
halb irre und voll Energie
raus aus der stinkigen engen Provinz,
er hat geschrieben getrunken
sein Saxophon gespielt
im Garten eigenes Gemüse angebaut
Drogen genommen,
in Indien meditiert
und einmal da hat er Sex mit
vier Frauen gleichzeitig gehabt ...

Heute ist er Hauptschullehrer für
Deutsch und Religion in der kleinen
Stadt in den Bergen.

Gerade musste er einen Schüler melden
weil der in der Whatsapp-Gruppe gedroht hat,
eine Waffe mit in den Unterricht
zu bringen.

Der Direktor trinkt,
die Kollegen sind grau und verbittert
der Frust überall.

Seine fünfzehnjährige Tochter
hält ihn für den langweiligsten
alten Scheißer der Welt:
was für eine Verschwendung,
wie sinnlos,
er läuft rum und kauft Gartenzubehör
und Geburtstagsbillets und gibt
ungebetene Ratschläge für Scheiß den er
selber nie hingekriegt hat
zum Kotzen
schon jetzt alles vorbei,
alles so gebückt
nirgends ein Funken Leben
im Vergleich zu Snapchat
ich werde nie so enden vorher
bring ich mich um!

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