Jochen Jung: Das alte Spiel
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Timo Brandt
„Also werden wir dazwischen/ Nein und Ja
vernünftig mischen“
„Der Schatten der AmselIm ApfelbaumIst noch mehr Amsel alsDie Amsel selbst“
Man kann
eine lange Reise unternehmen in diesem ersten Gedichtband des bekannten und
verdienten österreichischen Verlegers und Schriftstellers Jochen Jung. Denn
hier ist allerhand zu finden, manches Erquickliche, manches Schöne,
Beeindruckendes, Unterwältigendes, Sporadisches. Ein weites Feld, könnte man
sagen.
Ein
interessanter formeller Aspekt ist die Reihenfolge der Gedichte, sie sind
nämlich alphabetisch nach Titelüberschriften sortiert. Man hat quasi ein
kleines Lebenswörterbuch vor sich, einen Stichwortatlas, der unter jedem
Schlagwort ein Gedicht verzeichnet. Einige zufällig gewählte Schlagworte:
Rilke, Krähen, Duo, Gute Laune, Mein Bleistift, Der Blick, Späte Liebe, Sie.
Manche
der Gedichte erfüllen, was die Titel versprechen, sind persönliche,
poetisierende, zurechtreimende Annäherungen an das vom Titel evozierte Thema;
manchmal sind die Titel aber auf Finten, und bei manchem Thema bringt der
Verlauf des Gedichts eine überraschende Wendung.
„Holz, alles Holz, es ist aus Holzund Eisen, Filz und Elfenbein.Oft schaut es, wenn man hinschaut, so alleingelassen und dann doch gelassen aus[…]Keine Musik, das wär das falsche Fasten.Es geht auch nicht: Wir sind der schwarze Kasten.Klaviere sind aus Fleisch und Blut.“
Was
ebenfalls früh auffällt: Der nicht selten überschwängliche, etwas zu gelenkige
Reim, der manchmal übers Knie gebrochen wird und dann jenen saumseligen, wie
hingeworfenen Ton bekommt, der meist den Eindruck aufkommen lässt, man lese
Gelegenheits- und Selbstvergewisserungsverse und keine Verdichtungen, keine
reflektierte Poetik.
Hinzu
kommt ein (zugebenermaßen sehr unbestechliches, geerdetes und redliches)
Pathos, das gern die einfachen Freuden des Lebens preist, in Naturgedichten
ausschwärmt und so manche Besingung mit unverdächtiger Leichtigkeit vollzieht
und damit den Gedichten die Sollbruchstellen nimmt, mit deren Hilfe sie sich
nicht nur als akkurat bemalte Flächen, sondern aufklappbare Wesenheiten
entpuppen könnten.
„Was für ein Glück wir all die Jahre hatten!Denn erst wenn sich die vielen Schattenvon all den kleinen Kieselsteinenauf unserm langen Weg vereinen,ist Abend. dann erst kommt die Nacht.So viel, mehr nicht, ist ausgemacht.“
Solch
kleine Reimerkundungen sind nicht gering zu schätzen, haben leider aber oft
etwas Possierliches und weniger Lyrisches. Bliebe der Band immer auf dieser
Ebene, wäre es ein Buch, das man als Leseerlebnis ohne Risiko bezeichnen
könnte; hier und da was Schönes, was Eingängiges, aber nichts Inspirierendes –
ein harmloses Vergnügen.
Jedoch,
Jochen Jungs Gedichte bleiben nicht in diesen Grenzen, auch wenn sie oft dahin zurückfallen.
Die Gedichte, die ohne größere Höhepunkte vorbeiziehen, sind durchsetzt von
Kleinodien, ausgefeilten und gelungenen Verdichtungen. Die Grenzübertretung
beginnt schon hier und da in der Komik, die mal etwas Gebräuchliches hat, aber
manchmal auch etwas Knifflig-Erfrischendes. Zum Beispiel, wenn es am Anfang des
Gedichts über einen Maulwurf heißt:
„Ich schlief. Doch erwar nachtaktiv.“
Auch
manche Reimstrukturen stimmen plötzlich, manchmal mitten im Gedicht, ihr
Themengeleit feiner ab, und es kommt zu wunderbaren Passagen, die fern an Heine
oder Goethe erinnern. Zum Beispiel jene Verse aus einem Friedhofsgedicht:
„Der Friedhof ist die Totenstadtmit Straßen und mit Plätzenund was man hier vergraben hat,gehörte zu den Schätzen.“
Eine
wirklich bestechende Kunst erreicht Jung aber vor allem bei zwei Themen: dem Alter
und dem Meer. Beide tauchen wieder und wieder auf, das erste könnte man sogar
als eine Art roten Faden bezeichnen.
„Die Jahre, die auch meine sind,weiß ich denn noch, wie ich als Kindwar, kann ich mich erinnern?Das Alter zeigt sich an der Hautund an den Zähnen, wenn man kaut,und noch viel mehr im Innern.“
Alter,
dem man nicht entkommen kann, das mit dem Tod verknotet scheint. Alter, das
Ruhe bringt, Zeit für das, was man noch tun will, aber auch mit zu viel Ruhe
droht, mit Erschlaffen und Unfähigkeit. Bei Jochen Jung ist die
Auseinandersetzung fast immer frontal, nicht abstrakt oder verklärt. Das
lyrische Ich weist sich als lebensfroh aus – und gleichzeitig spricht es von
seiner Angst, von seinem Wissen, dass alle Lebensfreude den Tod nicht abwehren
kann. Es versucht diese beiden Gegensätze zu vereinen, weil das vielleicht zur
Gelassenheit verhilft. Doch die Gelassenheit hält nicht, weil genau da, wo man
die beiden zusammenfasst, ein Riss bleibt, an dem sie wieder
auseinanderbrechen.
„Ich sehe, was ich nie gedacht habe.Ich will nicht sterben.“
So
begegnet dem lyrischen Ich Alter und Tod an jeder Ecke des vollgepackten und
von allerlei Anregungen durchkreuzten Lebens. Sowohl im heftigsten Reflex, der
nicht verstehen will, wieso bei all der Fülle je Leere kommen sollte, als auch
in gesetzten Momenten, wenn Tod und Alter auf schlichte Art und Weise präsent
sind.
„Mein Vater starbin dem monströsen WortKriegsgefangenschaft.Jahrzehnte später stand ichauf der Wiese, unter der er lag.“
Um zu
veranschaulichen, warum Jungs Gedichte über das Meer etwas besonders Schönes
haben, möchte ich aus einem Gedicht zitieren, das den Titel „la mer“ trägt; die
Faszination für das Element und seine Anziehungskraft, kommt in seinen
Gedichten auf wunderbare ungefilterte Art zum Ausdruck, aber feinsinnig, als
gelte es alle Lesenden für die Liebe zum Meer zu gewinnen.
„Mit weißen Locken steigt das Meer an Land,rutscht aus, zurück, ein zweites Mal,und immer wieder, bises eines Nachtsgelingt: Dann stehtdas Meer am Strand,tropfend, hält Ausschaunach den Kindern, die alle,was sie nicht wissen,ihre Kinder sind.“
Kabinettstücke,
Gebrauchslyrik. Derlei ist hier viel zu finden. Man muss sich das Erfreuliche herauspicken
aus dem restlichen Teig, der auch schmackhaft, aber letztlich nicht unbedingt
nahrhaft ist, wenn auch sättigend. Ich habe mich dann und wann bei sehr schönen
Gefühlsregungen erwischt, bei kleinen Nostalgien und Lusterinnerungen. Solche
Momente brachten etwas Befreiendes, das ich nicht missen will, aber es blieb
halt nichts davon; solche Reflexe werden einmal angetippt und schon sind sie
vorbei.
Da ist
es eben gut, dass manches etwas länger beschäftigen kann, vielleicht sogar
tiefer steigt. Wie jenes Gedicht aus dem Museum, wo das lyrische Ich vor Bildern
steht:
„Die Bilder schauenmich an, die Bilder und die auf den Bildernund die dahinter, diediese Bilder einst (und es istimmer einst) gemalt haben […]dieFormen, die Liebe und nicht zuletztdas Licht und seine Schatten.Einer davonsteht vor dem Bild“
Jochen Jung: Das alte Spiel. Gedichte. Innsbruck (HaymonVerlag) 2017. 168 Seiten. 19,90 Euro.