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Joachim Frank: Die Welt nach Duchamps (eine Vorführung)

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Joachim Frank
Die Welt nach Duchamps (eine Vorführung)
übersetzt von Günter Plessow (und Joachim Frank)


The World after Duchamps (a Performance)

The bachelor, having
stripped bare the bride,
protects himself from revenge.

His garment is firm and tight;
it fits around him
like a tent. His senses
are keen: he has
the duty to survive.

The island is completely covered
by a map of itself.
In the center,
the map is affixed
to the mighty volcano,
with the crater spared out.

For those standing on the top
the clarity of the geography
is overwhelming.
The edges of the map hang over
into the salty water.
The island has sunk
by a significant margin.

Automobiles
are forbidden on the island.
Their tires cause irreparable damage
to the fine fabric
onto which the streets are drawn
with their filigree boardwalks,
jittery trees, and
hesitant weeds.

The man carries a black cloth,
slapped over his shoulder;
in one hand a pair of scissors,
in the other a hammer;
a bunch of nails
between his lips.

Arrived on the stage, he cuts a hole
into the black cloth, slips
the cloth over his head,
starts nailing,
pinning the seam of his coat
to the floor.

Attempting to explain
his performance, he opens
his mouth.. The remaining nails
fall onto the black cloth,
slip down; hit the floor
with a tingling sound.

In another version, he walks in
naked; carries scissors,
hammer and nails
in a tool organizer box
from Sears & Roebuck.

This time he will not open his mouth
‘cause he can’t waste time
before he is clad,
protected from the island cold,
from the ubiquitous stares
of the audience.

Attempting to get up
from his crouched position
he notices he has cut
his coat too short: he has failed
to leave room
for the fabric to stretch.

Visibly too exhausted
to pull out the nails, to start
all over, he remains
in his crouched position.

He has left a flap open
in his tent-garment
for the bride to slip in,
just in case
she’ll change her mind.

What else? Just a detail:
the flap of his wide garment
is open
toward the east.

(1986)

Aus http://franxfiction.com/The%20World%20After%20Duchamp/
2016
Die Welt nach Duchamps (eine Vorführung)

Der Bräutigam, nun er
die Braut nackt gestrippt hat,
schützt sich vor Revanche.

Sein Gewand ist straff und knapp;
es umgibt ihn
wie ein Zelt. Seine Sinne
sind hellwach: er hat
die Pflicht zu überleben.

Die Insel ist ganz bedeckt
durch eine Karte von ihr.
In der Mitte
ist die Karte geheftet
an den mächtigen Vulkan
mit dem ausgesparten Krater.

Für jene, die an der Spitze stehen,
ist die Deutlichkeit der Darstellung
überwältigend.
Die Kanten der Karte hängen über
ins salzige Wasser.
Die Insel hat sich
ein wenig, aber merklich gesenkt.

Autos
sind verboten auf der Insel.
Ihre Reifen verursachen irreparablen Schaden
für den feinen Stoff
auf den die Straßen gezeichnet sind
mit dem Filigran ihrer Bohlenwege,
zitternden Bäumen und
hartnäckigem Unkraut.

Der Mann trägt ein schwarzes Tuch
über die Schulter geschlagen;
in einer Hand eine Schere,
in der andern einen Hammer;
einen Pack Nägel
zwischen den Lippen

Auf der Bühne angelangt, schneidet er ein Loch
in das schwarze Tuch, streift
das Tuch über den Kopf
und beginnt zu nageln,
die Naht seines Mantels
auf den Boden zu stiften.

Im Bemühen zu erklären
was er vorführe, öffnet er
den Mund.  Die verbliebenen Nägel
fallen auf das schwarze Tuch,
rutschen herunter; klimpern
auf den Boden.

In einer anderen Version tritt er
nackt auf; trägt Schere,
Hammer und Nägel
in einer Werkzeugkiste
von Sears & Roebuck.

Diesmal wird er den Mund nicht öffnen,
kann er doch keine Zeit verschwenden,
ehe er bekleidet ist,
geschützt vor der Insel-Kälte,
vor dem allgegenwärtigen Starren
des Publikums.

Im Begriff, aufzustehen
aus seiner Kauerstellung,
merkt er, daß er seinen Mantel
zu kurz geschnitten hat: er hat versäumt,
dem Stoff Platz zu lassen,
sich zu strecken.

Sichtlich zu erschöpft,
die Nägel herauszuziehen, um
ganz von vorn zu beginnen, verharrt er
in seiner Kauerstellung.

Er hat eine Lasche offen gelassen
in seinem Zeltgewand
für die Braut, um hineinzuschlüpfen,
falls
sie sich besinnt.

Was sonst?  Nur ein Detail:
die Lasche seines weiten Gewands
steht offen
nach Osten.

Joachim Frank, geboren 1940, ist ein in den USA lebender, deutsch-amerikanischer Naturwissenschaftler (Nobelpreis für Chemie 2017), Schriftsteller, Lyriker und Fotograf. Seine Kurzgeschichten und Gedichte erschienen bisher auf verschiedenen Internetplatt-formen, z.B. The New Poet, Offcourse, Raving Dove u.v.a.
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