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Jean Krier: Eingriff, sternklar

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Armin Steigenberger

Mais quel bonheur
¹


Das nimmt mir keiner: so vollgestopft der Kopf
mit schwarzer Welt. Ein Herz, das leer u bebt
u nicht zu messen. Ein Meer, enorm, das frisch
u frei, u über Fels u Ewigkeit hinaus. Vater u
Mutter, die feiern trunken in meinem Traum. Hab
sie eingeholt jetzt, bin so alt u vergangen wie sie. (…)


So beginnt Jean Kriers Eröffnungsgedicht Vieles aber ist / zu behalten in dem kürzlich erschienenen Nachlassband Eingriff, sternklar. Jean Krier starb am 12. Januar 2013 in der Universitätsklinik Freiburg in Breisgau. Michael Braun hat die hinterlassenen Gedichte für den Band behutsam redigiert und herausgegeben.

Versuche ich, Jean Kriers Gedichte zu beschreiben, stoße ich schnell an eine Grenze. Sie haben eine sehr dunkle Farbe, vermutlich schwarz, manche aber leuchten. Wo seine Herzens Lust Spiele
² tatsächlich Spiele waren, auch Lustspiele, auch Herzenslust, ist zwischendurch etwas passiert. Obwohl die Texte des jüngsten Bandes, was Pathos angeht, nicht wirklich zugelegt haben, ist doch fast durchgängig ein ernsterer (ernsthafterer, bedachtsamerer) Ton spürbar. Positiv (also im Sinne von lebensbejahend) sind auch die neuen Gedichte unbedingt, doch der untergründig-humorvolle Ton vieler Dichtungen in Herzens Lust Spiele kam mir vor 4 Jahren unbekümmerter, spöttischer, aristophanischer vor. Es gibt verschiedene Grundierungen in Kriers Texten. Sie sind durch die collagierte Bauart komplex und vielschichtig und schöpfen aus überbordendem poetischem Repertoire.

„Jean Krier erfindet die Sprache der Lyrik neu.“, schreibt die Frankfurter Rundschau. Die Neue Zürcher schreibt: „Das Alte Testament klingt an und die Apokalypse des Johannes, Dichter des Barock, Hölderlin, Gottfried Benn, Georg Büchner oder Ashbery, William Carlos Williams, Beckett, Proust. Und sosehr diese Gedichte vom Bewusstsein der Vergänglichkeit, dem Ausgesetztsein handeln, vermeiden sie doch souverän (auch trotzig, auch heiter) jedes Pathos durch Lakonie oder eine kleine ironische Geste.“


Die Herzens Lust Spiele von 2010 begannen mit einem Paukenschlag. Ich lebe noch – sonst wäre nicht Welt, u muss / noch hinaus zu den Toten, sie zu wecken u wenden, / die im Viehwaggon da, dass sie mal andersrum / u ab in die Fabrik oder gleich in den Ofen u / leichtbeschwingt durch den Schornstein (…). So begann das Gedicht Une incroyable façon de nous faire mourir³  und endete mit dem Schlussvers Wie gut u leicht haben ohne die Welt die Toten doch reden. In diesen Versen ist alles enthalten, was Jean Kriers Texte ausmacht: Ironie, teils sogar beißender Spott bei einem so heiklen Tabuthema – noch verschärft durch den abrupten, elliptischen Duktus.

Der atemlose Tenor wird teils durch wohlplatzierte französische (und gelegentlich auch lateinische) Titel oder Textpassagen mit dem Anflug kühner Bonmots zusätzlich pointiert. Eingewirkte anderssprachliche Passagen im Text funktionieren wie „Binnen“pointen, sehr lässig im Umgang mit ihren brisanten Inhalten, irritieren und verfremden kurzzeitig.

Eingriff, sternklar
kreist insgesamt deutlicher um Themen der Vergänglichkeit. Vor der Folie der neutestamentlichen Anspielungen, die alle möglichen Deutungen zulassen, entwickeln die Gedichte immer wieder eine auffallende Ausgelassenheit (vor allem gegenüber religiösen Themen), gepaart mit souveränem Augenzwinkern, sie wirken gefasster, konziser und ein bisschen lakonischer.


Que voulez-vous, c’est l’homme

Unter schönem Stern u nicht genug in Brand
u Dornen stark. Muscheln u Tuscheln aber
an der Klippe zurück. Friedvoll im Querfeldein
die Totmaus, der Mause Tod u auf dem Markt
bisschen Sprech Deutsch: viel Stein u gutes Brot. (…)


Krier schreibt es einfach hin, nimmt kein Blatt vor den Mund, redet manchmal ungeniert „Tacheles“; manchmal scheint es, als sei er der erste, der ein Wort genau so in den Mund nimmt, keck und jugendlich-trotzig, mit einem wohltuenden Schuss Sarkasmus. Und gleichzeitig ist auch eine freundliche Hingebung ans eigene Schicksal spürbar. Krier findet in Eingriff, sternklar noch kühnere Bilder für Vergänglichkeit. Dabei ist sein Ton nie unterkühlt; immerzu geht etwas Warmes und Sympathisches von den Gedichten aus.

Krier hat ein Faible für Collagiertes und durchmischt mit spürbarer Freude all den „Sprachschutt“, der ihm in den Medien und sonstwo begegnet; oft lässt er eine Sentenz oder einen Halbslogan aus der Werbung stehen, scheinbar zufällig aus einer anderen (Fach-)Sprache hereingeschneit. Er kontrastiert Flapsiges gerne mit (persifliertem) Bibelton und erzeugt auf diese Art teils recht scharfe Blasphemien, die sich gegen alles wenden; auch gegen solche, die glauben, das Maximum an Hass auf alles Religiöse auszuleben. Trotz Anprangerns sozialer und politischer Zustände in manch schwarzgalligen Texten wie Steinreich gibt es in dem, was aus Jean Kriers Gedichten aufscheint, ein leichtes, beschwingtes Vergebenkönnen. So: /lässt sich’s denken an Gott u die Welt – als ob / das was ändern würde an diesem Pfuhl. Kannst ruhig / schon mal die ersten Steine werfen da am Rand /der Moräne (…).

Man weiß bei der Lektüre durchweg: dieser Autor hat den baldigen Tod vor Augen. Schon beim 2010er Band war das Buchcover in Schwarzweiß gestaltet. Eingriff, sternklar hat eine ähnliche Aufmachung. Genauer betrachtet ist das Hintergrundbild exakt das gleiche. Jetzt erst erfuhr ich, dass es das Sonogramm seines kranken Herzens ist. Auch dieses Gran Bitterkeit im Humor ist eine spezielle Zutat Kriers. Blättere ich die „alten“ Herzens Lust Spiele durch, sind auch hier schon viele Anspielungen auf das Herz zu lesen (abgesehen davon, dass es ein gewissermaßen klassischer poetischer Gegenstand ist), allein ein Titel wie Vorhofspiele setzt hier schon ein Signal. Es gibt dort auch schon ein ganzes Kapitel Vom Herzen (wo man vielleicht Von Herzen erwartet hätte?). Die Gedichte werden im vorliegenden Band zunehmend authentische Fläche dieser Erfahrungen. Manchmal, wie in Nachtlied, möchte das lyrische Ich alles, nur keinen Frieden finden. Ja, so halt mir das alles doch bitte nicht vom Hals. Lass es / nicht zu, dass Friede mir gegeben unter meinem Nachtlid. / Erzähl mir den ganzen Tag, erzähl die abgefallenen Blumen, / die Bäume, das Meer, so enorm, dass keiner es trinkt, erzähl / u den Sturm. (…) Es sind die Bewegungen der Verse, die in ihren abrupten Wendungen sich davonwinden, um Auslassungen kreisen, die auch Fluchtbewegungen darstellen als würden sie davongehen wollen: Das alles zähl auf / u vergiss nicht, immer wieder zu sagen, dass alles hingeht. (…) Es ist die Ambivalenz, die nahe Endlichkeit des eigenen Lebens sehen und doch nicht sehen zu wollen: letzte Worte, die bleiben stecken im Hals – allez, on verra.


Jean Kriers neuer und letzter Gedichtband Eingriff, sternklar wurde nicht mehr von ihm selbst fertiggestellt. Michael Braun hat die Gedichte sorgfältig gesichtet und arrangiert. Der Herausgeber gibt in einem Nachwort und einer editorischen Notiz bezeichnende Informationen zu Leben und Schreiben des Dichters.

„Als er dann an seinen letzten Oden arbeitete, hatte er zwei schwere Herz- und Leber-Operationen hinter sich und wusste um die Begrenzung seines Lebens. Es sind überwältigend schöne Gedichte, in denen der Ton Hölderlins nachhallt und mit ihm die Bewegung der alkäischen Odenstrophe, vermischt mit den Melancholien eines Bewusstseins, das die Nähe des Todes spürt.“ (Michael Braun). Krier beschäftigt sich in seinen letzten Wochen noch einmal ausgiebig mit der Strophenform der Ode, großenteils im Kapitel Varianten enthalten. Besonders interessant ist seine Ode an die Freude,
weil der Autor in die Strophenform französische Textteile einbringt und kommt durch seine moderne Auffassung zu erstaunlichen Resultaten. Die Hinwendung ans Versmaß ist erstaunlich und gelingt durchweg:


Der Himmel auf u singen in Freuden, in
Gezwitscher Gärten singen:
mon doux printemps,
bonjour mon coeur, bon jour ma douce
vie.
Besoffen ein Frühling, Katzen (…)


Ebenfalls hervorzuheben ist die Ode Ah, quel bonheur – Ode alkäisch. Ihre letzte Strophe lautet


(...)
bestanden u auch nicht. Nur die Schwalben fix.
Die nackte Birne hängt von der Decke. Bald
das letzte Mal. Mais quel bonheur. Und
anima mea, Geflatterfalter.


Die Leichtigkeit darin ist enorm. Man beachte: das Und ist im Gegensatz zu Kriers sonstiger Eigenheit, ein lapidares „u“ zu setzen, ausgeschrieben. Das findet sich innerhalb im Kapitel Varianten noch einige Male.


¹  Aber welches Glück
² Jean Kriers vorheriger Gedichtband von 2010, erschienen ebenfalls im Poetenladen
³ Eine erstaunliche Art, uns zu töten
Was wollen Sie, das ist der Mensch
Gehen Sie, man wird sehen
in Anspielung an Schillers Gedicht An die Freude und Beethovens 9. Sinfonie Ode an die Freude
mein süßer Frühling, hallo mein Herz, guten Tag mein süßes Leben


Jean Krier: Eingriff, sternklar. Gedichte aus dem Nachlass. Hrsg. von Michael Braun. Leipzig (Poetenladen) 2014. 88 Seiten. 17,80 Euro.

Jean Krier wurde 1949 in Luxemburg geboren, studierte Germanistik und Anglistik in Freiburg (Breisgau). Er lebte und arbeitete in Luxemburg, veröffentlichte in vielen Literaturzeitschriften wie Sinn und Form, ndl, manuskripte, Akzente u. a. Jean Krier veröffentlichte mehrere viel beachtete Gedichtbände. 2010 erschien im poetenladen Verlag sein Gedichtband Herzens Lust Spiele. Für diesen Gedichtband sowie für sein lyrisches Gesamtwerk erhielt er 2011 den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Im selben Jahr wurde ihm der wichtigste Luxemburgische Preis zugesprochen, der Prix Servais.

Der Herausgeber Michael Braun wurde 1958 in Hauenstein (Pfalz) geboren und lebt als Literaturkritiker in Heidelberg.

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