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Jayne-Ann Igel: Zonen

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Jayne-Ann Igel

Zonen



Als ich Pynchons Roman Die Enden der Parabel zu lesen begann, mußte ich unvermittelt an Zonen denken, statt an Räume, in denen sich das Geschehen entwickelt. Mit dem Begriff der Zone bin ich groß geworden, wir lebten in einem Staatsgebilde, das von Vielen einfach nur Zone genannt wurde, auch von Leuten, die selbst in ihr lebten, im besten Sächsisch, und noch in den sechziger Jahren sollten in ihr großflächig Flugblätter niedergehen, die mit dem Kürzel SBZ versehen waren. Es gab Sperr- und Sonderzonen, und der Westen bezeichnete seine Grenzregionen als Zonenrandgebiet. Der Begriff Zone imaginierte unwirtliche Gebiete, Gefährdungen besonderer Art ...
    Mir war vorher nicht bewußt, wie sehr Tarkowskis Stalker, Aitmatows Ein Tag zieht den Jahrhundertweg und Pynchons Parabel in Beziehung miteinander stehen, ohne behaupten zu wollen, Tarkowski oder Aitmatow hätten die Parabel gekannt oder sich von ihr inspirieren lassen. Doch mag man wohl kaum von Zufall sprechen - in den drei Werken spielen Räume eine Rolle, die auch als Zonen bezeichnet werden könnten, was mit dem Erfahrungshorizont des 20. Jahrhundert zusammenhängt.
    In Aitmatows Roman und Tarkowskis Film geht es jeweils um eine Wirklichkeit, die befremdlich, kaum einzuschätzen ist, um Gebiete, die kontrolliert werden, kontrolliert, weil alles in ihnen außer Kontrolle geraten ist. Es geht um Geschehnisse und Entwicklungen, für die Vergleichbares nicht existiert, weshalb sich die Agierenden in die Gefilde vorantasten müssen, in jene, die unwirtlich geworden. Was passiert da draußen? Was passiert mit uns? Sie suchen nach Antworten, versuchen sich mit dieser Wirklichkeit ins Verhältnis zu setzen, müssen erfahren, daß nichts mehr stimmt ...

Pynchons Räume erinnern mich wie die von Stalker an Aitmatows fernen Planeten Waldesbrust, auf dem sich Abgesandte der Erde wiederfinden. Dort scheint alles unter Kontrolle, selbst das Klima wird reguliert, und doch geht im Innern dieses Planeten etwas vonstatten, das für dessen Bewohner unerklärlich und unbeeinflußbar, dem sie weitgehend ohnmächtig gegenüberstehen. Dieses Phänomen nennen sie Inneres Ausdorren, und es macht Region um Region des Planeten unbewohnbar, läßt es zur Wüste werden.
    Phänomene, die uns nicht unvertraut, uns Kindern des 20. und 21. Jahrhundert - noch nie waren Menschen z.B. mit solch einer Vielzahl von Wettererscheinungen konfrontiert, die letztlich auf menschliches Agieren zurückzuführen sind, Überschwemmungen, Tornados, Dürreperioden ... Ganz abgesehen von den Zonen, die Ausdruck von Menschenhand organisierter und reproduzierter Unwirtlichkeit sind ...


(Jayne-Ann Igel: Der Text wurde zuerst als ein Teil des Projekts Wir lesen gemeinsam Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel". auf freitag.de veröffentlicht.)

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