Jane Wels: Schwankende Lupinen
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Kristian Kühn
Jane Wels: Schwankende Lupinen. Dortmund
(edition offenes feld) 2024. 80 Seiten. 19,00 Euro.
„BIS DER BUSSARD KOMMT“
Beginnt mit:
„Ich falleaus mir herausin eine Spektralwolke." (S. 7)
Sprich, in ein spektrales Spurennetz, das abhängig
ist von der jeweiligen Wellenlänge am Himmel. Ein ätherisch verwunschener Blick
auf die Welt und ihre Dinge beginnt damit. Der Augenblick von Angesicht zu
Angesicht immer im Traum und am Abgrund. Einerseits sichtbar, aber nicht
wirklich da. Wenn auch ein Zeugnis.
„Wahrheiten stürzen aus der Deckung,knirschen im hellen Hauswächst blinder Schnee.Nur die zaudernden Träumermähen ihre Worte,hüten Gräser,denen ich trauen mag.“ (S. 13)
Dies ist eins der meist kurzen ca. 70 Gedichte
des Debüts von Jane Wels, die bis dato als Sozialtherapeutin arbeitete und in
Zeitschriften und Online-Plattformen zu lesen war. Wie Wellenlänge, Farbe und Bewusstsein
miteinander verbunden sind, so bei Wels auch ihre Gedichte als Zusammenspiel feinstofflicher
Fäden, ein Musizieren zwischen Tasten und Cembalo oder Blasebalg und Orgel. Das
Bewegen aus sich selbst heraus, ein Entstehen wie von selbst formt bei Wels,
vielleicht sage ich, onomatopoetische Wolken oder Spuren als Gedichte, leicht
und flüchtig auch, eine davon widmet sie Eric Satie:
„Stille lehnt sich in den Korridor,Schritte schlucken Zederngrün.In deiner Hände Tasten bäumt sich„choses vue, à droite et à gauche, sans lunette“. (S. 20)
Dieses rechts und links Sehen ohne Brille
zwingt zum Ertasten, zur Aufnahme von Vermischungen aus Klang, Farbe, Gefühl:
„Worte legen sich auf fremde Zungen,knirschen Sandzwischen die Zähne der Löwenmäulchen.Ich ist ein Quadrataus Farbe und Form.“ (S. 21)

Manchmal versetzt sich Wels in andere Personen oder Dinge (Wir umsegeln Risse,/reden birkisch,/wiegen uns/in die Lichtungen des Tages,/weben Antworten, 59): Doch ist es letztlich immer diese leise feine Stimme, die sich selbst spricht – erklärt ihrem Selbst dieses heitere Spiel der Gegenstände um sich herum, wie Leerzentren, die trotzdem ihrer Bahn nachkreisen – wie schon gleich anfangs angedeutet, eine schwindende Spektralbewegung, Menschen nehmen anfangs kaum Kontur an, später etwas öfter, doch eigentlich gar nicht, denn es sind allesamt Spiegelbilder, Zeichen. Alles schwingt in einer zarten Melodie, ich würde sagen, wie Pflanzen empfinden, in Farbtönen, Gefühlsakkorden, sie denken nicht, sie wissen bzw. lauschen im Chor. Als seien sie blind und sehen doch ohne Augen:
Es geht dabei um eine Orientierung, um die Sichtbarmachung des zu Ertastenden, weil es sich um so viele Formationen handelt, um zwar Harmonie, aber in Bewegung, in Überlagerung, in Wandlung, vielleicht bei Wels wie das Spiel einer Wasserorgel, phantastisch zu empfinden, dieses innere Sehen. (S. 34)
„Das Herz steht stillvor seinem Spiegelbild.“ (32)
Und es ist schwer, und kreisrund und schwarz und seitenverkehrt und:
„Da ist immer ein Du zwischen den Atemzügen.Gesichter wispern ein Aquarell.“ (S. 60)
Ich denke aber, das alles sind gespiegelte Dus, panta eiso, wie es bei Plotin heißt, das alles hinein zu mir – die im Kaleidoskop zum Singen gebrachte Vielzahl an Ichs. Man könnte analog dazu äußern: diese Gedichte sind Beschreibungen, die sich selbst belichten, der Fotosynthese ähnlich. Einem chemischen Prozess, mit dem Pflanzen mit Hilfe von Sonnenlicht ihre eigene Nahrung erstellen, so auch die Dichtenden.
Doch gibt es auch das Bittere, das Giftige der Lupinen bei Wels, etwa die Liebe als fleischfressende Pflanze:
„Die Venus locktso nektarsüß,bis ihre Beute zappeltund sie die Fangblätter verschließt.“ (S. 45)
Nun ist Wels nicht episch, so dass man an Odysseus, am Mast angebunden, nicht Sorge um sein eigenes Lebensschiff zu haben braucht, doch – trotz aller Verklärung – fängt auch sie „Widerborstigkeiten“ ein, etwa wenn die Schwarzdrossel plötzlich zu singen anfängt, im „Reviergehabe“ (S. 48), doch es gibt für kein Wesen auf keiner Warte Sicherheit im „verstreuten Licht“, schließlich werden alle eingefangen („BIS DER`BUSSARD KOMMT“).
Schließlich macht Wels Andeutungen über das Tanzen der Blätter, die Wellen, das Kreisen von Wind, Licht und Impulsen, hin zu einem „Schweben und Beben“, das an die alten Mythen vom Labyrinth, vom Austanzen der Mysterien, vom Kranichtanz erinnert, und natürlich an die Hingabe im Vergehen. (S. 49)
„Für die Dauer eines Lidschlagsbin ich ein Tremolo.“ (S. 53)
Diese Verzauberung der Welten, dieses Musikalische eines Wasserlichtspiels, bei Wels erinnert mich an E.T.A. Hoffmanns doppelte Welt in vielen seiner Werke, zum Beispiel an die Serpentina, die Schlangenfrau, die im Gebüsch oder in der Wasserspiegelung als verführerischer Sog auftaucht und in die Tiefe ziehen will, aber im Realen eine hübsche Bürgerstochter ist. Aber auch an Gustav Meyrinks Angst vorm unabsichtlichen Tausch der Schuhe beim Nachhause-Gehen, nämlich das umgestellte Schicksal übertragen zu bekommen, ohne es zu merken, gesteuert zu werden von dem Abdruck, der in dem Tragwerk steckt. Bei Wels klingt das so:
„Wenn ich jetzt stehenbleibe,sind wir eins.Die grünen Schuhe laufen davon.“ (S. 61)
Die Harmonie der Sphären, aber auch ihre Vertauschung als unhörbare Musik, unhörbare Dissonanz, hörbar nur im Symbol. Die große barocke Weltschöpfungsorgel, auf der gespielt wird. Im Kosmischen ganz wie im Kleinsten. Das Finden des Eigentons, die eigene Klangfarbe als Träger des Seelischen, diese Musik im Traum erleben. Ein weites Feld, in das Wels fein und zart hineinhaucht und bisweilen pustet. Als würde eine Äolsharfe akkordisch einsetzen, die ihre geweckten Empfindungen mehr in eine Märchenwelt als in die Wirklichkeit zieht. Wie von weit. Eine Meditation über Lupinen, ein Lupinenfeld, darin versinken, dieses starre Glotzen, wie es Coleridge nennen würde, in die Lupinen hinein, als seien ihre Dolden Kolben, farbenfrohe luftige – nur die Form, beim Vermischen der Sinne.
Denn sie sind nicht allein, bilden ein Feld, ein sanftes inneres Feld, offen in der Bewegung. Nicht umsonst ist dieses Buch verlegt bei der edition offenes feld, das Jürgen Brôcan seit Jahren erfolgreich betreut. All das nach innen: natürlich, die schwankenden Lupinen sind wir.