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Ingeborg Bachmann: Heut nacht hab ich geträumt

Poetik / Philosophie > Glossen

Ingeborg Bachmann

Aus: Der Fall Franza
(2. Kapitel / Aus den Entwürfen)



[ ... ] Heut nacht hab ich geträumt, ich bin in einer Gaskammer, ganz allein, alle Türen sind verschlossen, kein Fenster, und Jordan befestigt die Schläuche und läßt das Gas einströmen und, wie kann ich sowas träumen, wie kann ich nur, gleich möchte man um Verzeihung bitten, er wäre unfähig es zu tun, keiner würde es mehr verabscheuen, aber nun träum ich es doch und drücke es so aus, was tausendmal komplizierter ist. Spätschäden. Ich bin ein einziger Spätschaden, keine Erinnerungsplatte, die ich auflege, die nicht mit einem schrecklichen Nadelgekratze losginge, kein Sommertag, auf den nicht ein Giftsprühregen niederginge, keine Nacht, von der ich nicht zwanghaft denke, er hat sich seine Notiz gemacht, keine Vergeßlichkeit, die nicht in Fehlleistung und Bedeutungswahn begraben worden wäre. Ich war doch nicht krank, ich bin doch nicht als Patient zu ihm gekommen, das hätte ihn gerechtfertigt. Ich bin zu ihm gegangen, habe mich ihm anvertraut, was könnte die Ehe sonst sein als Anvertrauen, es in jemands Hände legen, was man ist, wie wenigs auch sei.

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