Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, Teil 2
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Immanuel Kant
Zum ewigen Frieden
Ein philosophischer Entwurf
Teil 2
Erster
Zusatz.
Von
der Garantie des ewigen Friedens
Das,
was diese Gewähr (Garantie) leistet, ist nichts Geringeres, als die
große Künstlerin Natur (natura daedala rerum), aus deren mechanischem
Laufe sichtbarlich Zweckmäßigkeit hervorleuchtet, durch die Zwietracht der
Menschen Eintracht selbst wider ihren Willen emporkommen zu lassen, und darum,
gleich als Nötigung einer ihren Wirkungsgesetzen nach uns unbekannten Ursache, Schicksal,
bei Erwägung aber ihrer Zweckmäßigkeit im Laufe der Welt, als tiefliegende Weisheit
einer höheren, auf den objektiven Endzweck des menschlichen Geschlechts
gerichteten, und diesen Weltlauf prädeterminierenden Ursache Vorsehung10 genannt wird, die wir zwar eigentlich nicht an
diesen Kunstanstalten der Natur erkennen, oder auch nur daraus auf sie schließen,
sondern (wie in aller Beziehung der Form der Dinge auf Zwecke überhaupt) nur hinzudenken
können und müssen, um uns von ihrer Möglichkeit, nach der Analogie menschlicher
Kunsthandlungen, einen Begriff zu machen, deren Verhältnis und Zusammenstimmung
aber zu dem Zwecke, den uns die Vernunft unmittelbar vorschreibt (dem
moralischen), sich vorzustellen eine Idee ist, die zwar in theoretischer Absicht
überschwenglich, in praktischer aber (z.B. in Ansehung des Pflichtbegriffs vom ewigen
Frieden, um jenen Mechanism der Natur dazu zu benutzen) dogmatisch und
ihrer Realität nach wohl gegründet ist. – Der Gebrauch des Worts Natur ist
auch, wenn es, wie hier, bloß um Theorie (nicht um Religion) zu tun ist, schicklicher
für die Schranken der menschlichen Vernunft (als die sich in Ansehung des
Verhältnisses der Wirkungen zu ihren Ursachen, innerhalb den Grenzen möglicher
Erfahrung halten muß), und bescheidener, als der Ausdruck einer für uns
erkennbaren Vorsehung, mit dem man sich vermessenerweise ikarische Flügel
ansetzt, um dem Geheimnis ihrer unergründlichen Absicht näher zu kommen. Ehe
wir nun diese Gewährleistung näher bestimmen, wird es nötig sein, vorher den
Zustand nachzusuchen, den die Natur für die auf ihrem großen Schauplatz handelnde
Personen veranstaltet hat, der ihre Friedenssicherung zuletzt notwendig macht;
– alsdann aber allererst die Art, wie sie diese leiste. Ihre provisorische
Veranstaltung besteht darin: daß sie 1) für die Menschen in allen Erdgegenden
gesorgt hat, daselbst leben zu können; – 2) sie durch Krieg allerwärts hin,
selbst in die unwirtbarste Gegenden, getrieben hat, um sie zu bevölkern; 3) –
durch eben denselben sie in mehr oder weniger gesetzliche Verhältnisse zu
treten genötigt hat. – Daß in den kalten Wüsten am Eismeer noch das Moos
wächst, welches das Renntier unter dem Schnee hervorscharrt, um selbst die
Nahrung, oder auch das Angespann des Ostjaken oder Samojeden zu sein; oder daß
die salzichten Sandwüsten doch noch dem Kamel, welches zu Bereisung derselben
gleichsam geschaffen zu sein scheint, um sie nicht unbenutzt zu lassen,
enthalten, ist schon bewundernswürdig. Noch deutlicher aber leuchtet der Zweck
hervor, wenn man gewahr wird, wie, außer den bepelzten Tieren am Ufer des
Eismeeres, noch Robben, Walrosse und Walfische an ihrem Fleische Nahrung, und
mit ihrem Tran Feurung für die dortigen Anwohner darreichen. Am meisten aber
erregt die Vorsorge der Natur durch das Treibholz Bewunderung, was sie (ohne
daß man recht weiß, wo es herkommt) diesen gewächslosen Gegenden zubringt, ohne
welches Material sie weder ihre Fahrzeuge und Waffen, noch ihre Hütten zum
Aufenthalt zurichten könnten; wo sie dann mit dem Kriege gegen die Tiere gnug zu
tun haben, um unter sich friedlich zu leben. – – Was sie aber dahin
getrieben hat, ist vermutlich nichts anders als der Krieg gewesen. Das erste
Kriegswerkzeug aber unter allen Tieren, die der Mensch, binnen der Zeit
der Erdbevölkerung, zu zähmen und häuslich zu machen gelernt hatte, ist das Pferd
(denn der Elefant gehört in die spätere Zeit, nämlich des Luxus schon
errichteter Staaten), so wie die Kunst, gewisse, für uns jetzt, ihrer
ursprünglichen Beschaffenheit nach, nicht mehr erkennbare Grasarten, Getreide
genannt, anzubauen, ingleichen die Vervielfältigung und Verfeinerung der Obstarten
durch Verpflanzung und Einpfropfung (vielleicht in Europa bloß zweier
Gattungen, der Holzäpfel und Holzbirnen), nur im Zustande schon errichteter
Staaten, wo gesichertes Grundeigentum statt fand, entstehen konnte, – nachdem
die Menschen vorher in gesetzloser Freiheit von dem Jagd-11, Fischer- und Hirtenleben bis zum Ackerleben
durchgedrungen waren, und nun Salz und Eisen erfunden ward,
vielleicht die ersteren weit und breit gesuchten Artikel eines Handelsverkehrs verschiedener
Völker wurden, wodurch sie zuerst in ein friedliches Verhältnis gegen
einander, und so, selbst mit Entfernteren, in Einverständnis, Gemeinschaft und
friedliches Verhältnis unter einander gebracht wurden. Indem die Natur nun
dafür gesorgt hat, daß Menschen allerwärts auf Erden leben könnten, so
hat sie zugleich auch despotisch gewollt, daß sie allerwärts leben sollten,
wenn gleich wider ihre Neigung, und selbst ohne daß dieses Sollen zugleich
einen Pflichtbegriff voraussetzte, der sie hiezu, vermittelst eines moralischen
Gesetzes, verbände, – sondern sie hat, zu diesem ihrem Zweck zu gelangen, den
Krieg gewählt. – Wir sehen nämlich Völker, die an der Einheit ihrer Sprache die
Einheit ihrer Abstammung kennbar machen, wie die Samojeden am Eismeer
einerseits, und ein Volk von ähnlicher Sprache, zweihundert Meilen davon
entfernt, im Altaischen Gebirge andererseits, wozwischen sich ein
anderes, nämlich mongalisches, berittenes und hiemit kriegerisches Volk gedrängt,
und so jenen Teil ihres Stammes, weit von diesem, in die unwirtbarsten
Eisgegenden, versprengt hat, wo sie gewiß nicht aus eigener Neigung sich hin verbreitet
hätten;12 – eben so
die Finnen in der nördlichsten Gegend von Europa, Lappen genannt,
von den jetzt eben so weit entferneten, aber der Sprache nach mit ihnen
verwandten Ungern, durch dazwischen eingedrungne gotische und
sarmatische Völker getrennt; und was kann wohl anders die Eskimos (vielleicht
uralte europäische Abenteurer, ein von allen Amerikanern ganz unterschiedenes
Geschlecht) in Norden, und die Pescheräs im Süden von Amerika, bis zum
Feuerlande hingetrieben haben, als der Krieg, dessen sich die Natur als Mittels
bedient, die Erde allerwärts zu bevölkern? Der Krieg aber selbst bedarf keines
besondern Bewegungsgrundes, sondern scheint auf die menschliche Natur gepfropft
zu sein, und sogar als etwas Edles, wozu der Mensch durch den Ehrtrieb, ohne
eigennützige Triebfedern, beseelt wird, zu gelten: so, daß Kriegesmut (von
amerikanischen Wilden sowohl, als den europäischen, in den Ritterzeiten) nicht
bloß, wenn Krieg ist (wie billig), sondern auch, daß Krieg sei, von
unmittelbarem großem Wert zu sein geurteilt wird, und er oft, bloß um jenen zu
zeigen, angefangen, mithin in dem Kriege an sich selbst eine innere Würde gesetzt
wird, sogar daß ihm auch wohl Philosophen, als einer gewissen Veredelung der
Menschheit, eine Lobrede halten, uneingedenk des Ausspruchs jenes Griechen:
»Der Krieg ist darin schlimm, daß er mehr böse Leute macht, als er deren
wegnimmt«. – So viel von dem, was die Natur für ihren eigenen Zweck, in
Ansehung der Menschengattung als einer Tierklasse, tut. Jetzt ist die Frage,
die das Wesentliche der Absicht auf den ewigen Frieden betrifft: »Was die Natur
in dieser Absicht, beziehungsweise auf den Zweck, den dem Menschen seine eigene
Vernunft zur Pflicht macht, mithin zu Begünstigung seiner moralischen Absicht
tue, und wie sie die Gewähr leiste, daß dasjenige, was der Mensch nach
Freiheitsgesetzen tun sollte, aber nicht tut, dieser Freiheit
unbeschadet auch durch einen Zwang der Natur, daß er es tun werde, gesichert
sei, und zwar nach allen drei Verhältnissen des öffentlichen Rechts, des Staats-,
Völker– und weltbürgerlichen Rechts«. – Wenn ich von der Natur sage:
sie will, daß dieses oder jenes geschehe, so heißt das nicht soviel,
als: sie legt uns eine Pflicht auf, eszu tun (denn das kann nur die zwangsfreie
praktische Vernunft), sondern sie tut es selbst, wir mögen wollen oder
nicht (fata volentem ducunt, nolentem trahunt).
1.
Wenn ein Volk auch nicht durch innere Mißhelligkeit genötigt würde, sich unter
den Zwang öffentlicher Gesetze zu begeben, so würde es doch der Krieg von außen
tun, indem, nach der vorher erwähnten Naturanstalt, ein jedes Volk ein anderes
es drängende Volk zum Nachbar vor sich findet, gegen das es sich innerlich zu
einem Staat bilden muß, um, als Macht, gegen diesen gerüstet zu
sein. Nun ist die republikanische Verfassung die einzige, welche dem
Recht der Menschen vollkommen angemessen, aber auch die schwerste zu stiften,
vielmehr noch zu erhalten ist, dermaßen, daß viele behaupten, es müsse ein
Staat von Engeln sein, weil Menschen mit ihren selbstsüchtigen Neigungen
einer Verfassung von so sublimer Form nicht fähig wären. Aber nun kommt die
Natur dem verehrten, aber zur Praxis ohnmächtigen allgemeinen, in der Vernunft
gegründeten Willen, und zwar gerade durch jene selbstsüchtige Neigungen, zu Hülfe,
so, daß es nur auf eine gute Organisation des Staats ankommt (die allerdings im
Vermögen der Menschen ist), jener ihre Kräfte so gegen einander zu richten, daß
eine die anderen in ihrer zerstörenden Wirkung aufhält, oder diese aufhebt: so
daß der Erfolg
für
die Vernunft so ausfällt, als wenn beide gar nicht da wären, und so der Mensch,
wenn gleich nicht ein moralisch-guter Mensch, dennoch ein guter Bürger zu sein
gezwungen wird. Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch
klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben),
auflösbar und lautet so: »Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt
allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber in Geheim
sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung
einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegen
streben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten
der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnungen hätten«.
Ein solches Problem muß auflöslich sein. Denn es ist nicht die moralische
Besserung der Menschen, sondern nur der Mechanism der Natur, von dem die
Aufgabe zu wissen verlangt, wie man ihn an Menschen benutzen könne, um den
Widerstreit ihrer unfriedlichen Gesinnungen in einem Volk so zu richten, daß
sie sich unter Zwangsgesetze zu begeben einander selbst nötigen, und so den
Friedenszustand, in welchem Gesetze Kraft haben, herbeiführen müssen. Man kann
dieses auch an den wirklich vorhandenen, noch sehr unvollkommen organisierten
Staaten sehen, daß sie sich doch im äußeren Verhalten dem, was die Rechtsidee vorschreibt,
schon sehr nähern, ob gleich das Innere der Moralität davon sicherlich nicht
die Ursache ist (wie denn auch nicht von dieser die gute Staatsverfassung, sondern
vielmehr, umgekehrt, von der letzteren allererst die gute moralische Bildung
eines Volks zu erwarten ist), mithin der Mechanism der Natur durch selbstsüchtige
Neigungen, die natürlicherweise einander auch äußerlich entgegen wirken, von
der Vernunft zu einem Mittel gebraucht werden kann, dieser ihrem eigenen Zweck,
der rechtlichen Vorschrift, Raum zu machen, und hiemit auch, soviel an dem
Staat selbst liegt, den inneren sowohl als äußeren Frieden zu befördern und zu
sichern. – Hier heißt es also: Die Natur will unwiderstehlich, daß das
Recht zuletzt die Obergewalt erhalte. Was man nun hier verabsäumt zu tun, das
macht sich zuletzt selbst, obzwar mit viel Ungemächlichkeit. – »Biegt man das
Rohr zu stark, so
bricht's; und wer zu viel will, der will nichts.« Bouterwek.
2.
Die Idee des Völkerrechts setzt die Absonderung vieler von einander
unabhängiger benachbarter Staaten voraus, und, obgleich ein solcher
Zustand an sich schon ein Zustand des Krieges ist (wenn nicht eine
föderative Vereinigung derselben dem Ausbruch der Feindseligkeiten
vorbeugt): so ist doch selbst dieser, nach der Vernunftidee, besser als
die Zusammenschmelzung derselben, durch eine die andere überwachsende,
und in eine Universalmonarchie übergehende Macht; weil die Gesetze
mit dem vergrößten Umfange der Regierung immer mehr an ihrem Nachdruck
einbüßen, und ein seelenloser Despotism, nachdem er die Keime des
Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfällt. Indessen ist
dieses das Verlangen jedes Staats (oder seines Oberhaupts), auf diese
Art sich in den dauernden Friedenszustand zu versetzen, daß er, wo
möglich, die ganze Welt beherrscht. Aber die Natur will es anders.
– Sie bedient sich zweier Mittel, um Völker von der Vermischung abzuhalten
und sie abzusondern, der Verschiedenheit der Sprachen und der Religionen13, die zwar den Hang zum
wechselseitigen Hasse, und Vorwand zum Kriege bei sich führt, aber doch,
bei anwachsender Kultur und der allmählichen Annäherung der Menschen zu
größerer Einstimmung in Prinzipien, zum Einverständnisse in einem
Frieden leitet, der nicht, wie jener Despotism (auf dem Kirchhofe der
Freiheit), durch Schwächung aller Kräfte, sondern durch ihr Gleichgewicht,
im lebhaftesten Wetteifer derselben, hervorgebracht und gesichert wird.
3.
So wie die Natur weislich die Völker trennt, welche der Wille jedes Staats, und
zwar selbst nach Gründen des Völkerrechts, gern unter sich durch List oder
Gewalt vereinigen möchte: so vereinigt sie auch andererseits Völker, die der
Begriff des Weltbürgerrechts gegen Gewalttätigkeit und Krieg nicht würde gesichert
haben, durch den wechselseitigen Eigennutz.
Es
ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann,
und der früher, oder später sich jedes Volks bemächtigt. Weil nämlich unter allen,
der Staatsmacht untergeordneten, Mächten (Mitteln) die Geldmacht wohl
die zuverlässigste sein möchte, so sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben
durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern,
und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch
Vermittelungen abzuwehren, gleich als ob sie deshalb im beständigen Bündnisse
ständen; denn große Vereinigungen zum Kriege können, der Natur der Sache nach, sich
nur höchst selten zutragen, und noch seltener glücken. – – Auf die Art
garantiert die Natur, durch den Mechanism in den menschlichen Neigungen selbst,
den ewigen Frieden; freilich mit einer Sicherheit, die nicht hinreichend ist,
die Zukunft desselben (theoretisch) zu weissagen, aber doch in
praktischer Absicht zulangt, und es zur Pflicht macht, zu diesem (nicht bloß
schimärischen) Zwecke hinzuarbeiten.
Zweiter
Zusatz.
Geheimer
Artikel zum ewigen Frieden
Ein
geheimer Artikel in Verhandlungen des öffentlichen Rechts ist objektiv, d.i.
seinem Inhalte nach betrachtet, ein Widerspruch; subjektiv aber, nach der Qualität
der Person beurteilt, die ihn diktiert, kann gar wohl darin ein Geheimnis statt
haben, daß sie es nämlich für ihre Würde bedenklich findet, sich öffentlich als
Urheberin desselben anzukündigen. Der einzige Artikel dieser Art ist in dem
Satze enthalten:
Die Maximen der Philosophen über die Bedingungen der Möglichkeit des öffentlichen Friedens sollen von den zum Kriege gerüsteten Staaten zu Rate gezogen werden.
Es
scheint aber für die gesetzgebende Autorität eines Staats, dem man
natürlicherweise die größte Weisheit beilegen muß, verkleinerlich zu sein, über
die Grundsätze seines Verhaltens gegen andere Staaten bei Untertanen (den
Philosophen) Belehrung zu suchen; gleichwohl aber sehr ratsam, es zu tun. Also wird
der Staat die letztere stillschweigend (also, indem er ein Geheimnis
daraus macht) dazu auffordern, welches soviel heißt, als: er wird sie
frei und öffentlich über die allgemeine Maximen der Kriegsführung und
Friedensstiftung reden lassen (denn das werden sie schon von selbst tun,
wenn man es ihnen nur nicht verbietet) und die Übereinkunft der Staaten unter
einander über diesen Punkt bedarf auch keiner besonderen Verabredung der
Staaten unter sich in dieser Absicht, sondern liegt schon in der Verpflichtung durch
allgemeine (moralische gesetzgebende) Menschenvernunft. – Es ist aber hiemit
nicht gemeint: daß der Staat den Grundsätzen des Philosophen vor den Aussprüchen
des Juristen (des Stellvertreters der Staatsmacht) den Vorzug einräumen müsse,
sondern nur, daß man ihn höre. Der letztere, der die Waage des
Rechts und, neben bei auch das Schwert der Gerechtigkeit sich zum Symbol
gemacht hat, bedient sich gemeiniglich des letzteren, nicht von etwa bloß alle
fremde Einflüsse von dem ersteren abzuhalten, sondern, wenn die eine Schale
nicht sinken will, das Schwert mit hinein zu legen (vae victis), wozu der
Jurist, der nicht zugleich (auch der Moralität nach) Philosoph ist, die größte
Versuchung hat, weil es seines Amts nur ist, vorhandene Gesetze anzuwenden,
nicht aber, ob diese selbst nicht einer Verbesserung bedürfen, zu untersuchen,
und rechnet diesen in der Tat niedrigeren Rang seiner Fakultät, darum weil er
mit Macht begleitet ist (wie es auch mit den beiden anderen der Fall ist), zu
den höheren. – Die philosophische steht unter dieser verbündeten Gewalt auf
einer sehr niedrigen Stufe. So heißt es z.B. von der Philosophie, sie sei die Magd
der Theologie (und eben so lautet es von den zwei anderen). – Man sieht
aber nicht recht, » ob sie ihrer gnädigen Frauen die Fackel vorträgt oder die
Schleppe nachträgt«.
Daß
Könige philosophieren, oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten,
aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der
Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche (sich selbst
nach Gleichheits-gesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht
schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist beiden zu
Beleuchtung ihres Geschäfts unentbehrlich und, weil diese Klasse ihrer Natur
nach der Rottierung und Klubbenverbündung unfähig ist, wegen der Nachrede einer
Propagande verdachtlos.
Fußnoten
10 Im Mechanism der Natur, wozu der Mensch (als Sinnenwesen)
mit gehört, zeigt sich eine ihrer Existenz schön zum Grunde liegende Form, die wir
uns nicht anders begreiflich machen können, als indem wir ihr den Zweck eines
sie vorher bestimmenden Welturhebers unterlegen, dessen Vorher-bestimmung wir
die (göttliche) Vorsehung überhaupt, und, sofern sie in den Anfang der
Welt gelegt wird, die gründende (providentia conditrix; semel iussit,
semper parent, Augustin.), im Laufe der Natur aber, diesen nach
allgemeinen Gesetzen der Zweckmäßigkeit zu erhalten, die waltende Vorsehung (providentia
gubernatrix), ferner zu besonderen, aber von dem Menschen nicht vorherzusehenden,
sondern nur aus dem Erfolg vermuteten Zwecken die leitende (providentia
directrix), endlich sogar in Ansehung einzelner Begebenheiten, als göttlicher
Zwecke, nicht mehr Vorsehung, sondern Fügung (directio extraordinaria) nennen,
welche aber (da sie in der Tat auf Wunder hinweiset, obgleich die Begebenheiten
nicht so genannt werden) als solche erkennen zu wollen törichte Vermessenheit
des Menschen ist; weil aus einer einzelnen Begebenheit auf ein besonderes
Prinzip der wirkenden Ursache (daß diese Begebenheit Zweck, und nicht bloß
naturmechanische Nebenfolge aus einem anderen uns ganz unbekannten Zwecke sei)
zu schließen ungereimt und voll Eigendünkel ist, so fromm und demütig auch die Sprache
hierüber lauten mag. – Eben so ist auch die Einteilung der Vorsehung (materialiter
betrachtet), wie sie auf Gegenstände in der Welt geht, in die allgemeine
und besondere, falsch und sich selbst widersprechend (daß sie z.B. zwar
eine Vorsorge zur Erhaltung der Gattungen der Geschöpfe sei, die Individuen aber
dem Zufall überlasse); denn sie wird eben in der Absicht allgemein genannt,
damit kein einziges Ding als davon ausgenommen gedacht werde. – Vermutlich hat
man hier die Einteilung der Vorsehung (formaliter betrachtet) nach der
Art der Ausführung ihrer Absicht gemeint: nämlich in ordentliche (z.B.
das jährliche Sterben und Wiederaufleben der Natur nach dem Wechsel der
Jahreszeiten) und außerordentliche (z.B. die Zuführung des Holzes an die
Eisküsten, das da nicht wachsen kann, durch die Meerströme, für die dortigen
Einwohner, die ohne das nicht leben konnten) wo, ob wir gleich die
physisch-mechanische Ursache dieser Erscheinungen uns gut erklären können (z.B.
durch die mit Holz bewachsene Ufer der Flüsse der temperierten Länder, in welche
jene Bäume hineinfallen, und etwa durch den Gulfstrom weiter verschleppt werden),
wir dennoch auch die teleologische nicht übersehen müssen, die auf die Vorsorge
einer über die Natur gebietenden Weisheit hinweiset. – Nur was den in den
Schulen gebräuchlichen Begriff eines göttlichen Beitritts, oder
Mitwirkung (concursus) zu einer Wirkung in der Sinnenwelt betrifft, so muß
dieser wegfallen. Denn das Ungleichartige paaren wollen (gryphes iungere equis)
und den, der selbst die vollständige Ursache der Weltveränderungen ist, seine
eigene prädeterminierende Vorsehung während dem Weltlaufe ergänzen zu
lassen (die also mangelhaft gewesen sein müßte), z.B. zu sagen, daß nächst
Gott der Arzt den Kranken zurecht gebracht habe, also als Beistand dabei
gewesen sei, ist erstlich an sich widersprechend. Denn causa solitaria
non iuvat. Gott ist der Urheber des Arztes samt allen seinen Heilmitteln, und
so muß ihm, wenn man ja bis zum höchsten, uns theoretisch unbegreiflichen
Urgrunde hinaufsteigen will, die Wirkung ganz zugeschrieben werden. Oder
man kann sie auch ganz dem Arzt zuschreiben, so fern wir diese
Begebenheit als nach der Ordnung der Natur erklärbar in der Kette der
Weltursachen verfolgen.
Zweitens bringt
eine solche Denkungsart auch um alle bestimmte Prinzipien der Beurteilung eines
Effekts. Aber in moralisch-praktischer Absicht (die also ganz aufs
Übersinnliche gerichtet ist), z.B. in dem Glauben, daß Gott den, Mangel unserer
eigenen Gerechtigkeit, wenn nur unsere Gesinnung echt war, auch durch uns
unbegreifliche Mittel ergänzen werde, wir also in der Bestrebung zum Guten
nichts nachlassen sollen, ist der Begriff des göttlichen Concursus ganz
schicklich und sogar notwendig; wobei es sich aber von selbst versteht, daß
niemand eine gute Handlung (als Begebenheit in der Welt) hieraus zu erklären
versuchen muß, welches ein vorgebliches theoretisches Erkenntnis des
Übersinnlichen, mithin ungereimt ist.
11 Unter allen Lebensweisen ist das Jagdleben ohne Zweifel
der gesitteten Verfassung am meisten zuwider; weil die Familien, die sich da
vereinzelnen müssen, einander bald fremd und sonach, in weitläuftigen Wäldern
zerstreut, auch bald feindselig werden, da eine jede zu Erwerbung ihrer
Nahrung und Kleidung viel Raum bedarf. – Das Noachische Blutverbot, 1. M.
IX, 4-6 (welches, öfters wiederholt, nachher gar den neuangenommenen Christen
aus dem Heidentum, ob zwar in anderer Rücksicht, von den Judenchristen zur
Bedingung gemacht wurde, Apost. Gesch. XV, 20. XXI, 25 – ) scheint uranfänglich
nichts anders, als das Verbot des Jägerlebens gewesen zu sein; weil in
diesem der Fall, das Fleisch roh zu essen, oft eintreten muß, mit dem letzteren
also das erstere zugleich verboten wird.
12 Man könnte fragen: Wenn die Natur gewollt hat, diese
Eisküsten sollten nicht unbewohnt bleiben, was wird aus ihren Bewohnern, wenn
sie ihnen dereinst (wie zu erwarten ist) kein Treibholz mehr zuführete? Denn es
ist zu glauben, daß, bei fortrückender Kultur, die Einsassen der temperierten
Erdstriche das Holz, was an den Ufern ihrer Ströme wächst, besser benutzen, es
nicht in die Ströme fallen, und so in die See wegschwemmen lassen werden. Ich
antworte: Die Anwohner des Obstroms, des Jenissei, des Lena u.s.w. werden
es ihnen durch Handel zuführen, und dafür die Produkte aus dem Tierreich, woran
das Meer an den Eisküsten so reich ist, einhandeln; wenn sie (die Natur) nur
allererst den Frieden unter ihnen erzwungen haben wird.
13 Verschiedenheit der Religionen:
ein wunderlicher Ausdruck! gerade, als ob man auch von verschiedenen Moralen
spräche. Es kann wohl verschiedene Glaubensarten historischer, nicht
in die Religion, sondern in die Geschichte der zu ihrer Beförderung
gebrauchten, ins Feld der Gelehrsamkeit einschlagender Mittel und eben so
verschiedene Religionsbücher (Zendavesta, Vedam, Koram u.s.w.) geben,
aber nur eine einzige, für alle Menschen und in allen Zeiten gültige Religion.
Jene
also können wohl nichts anders als nur das Vehikel der Religion, was zufällig
ist, und nach Verschiedenheit der Zeiten und Örter verschieden sein kann,
enthalten.