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Ianina Ilitcheva: Drei Texte

Montags=Text

Ianina Ilitcheva
Drei Texte


ach, und außerdem...
posted on 24/03/2012

ich komme zurück in die wohnung und finde eine ameise auf dem esstisch. aus der einen
ameise werden schon bald drei, fünf, sieben, oje, wo kommen die denn alle her? ein blick
in den zucker: nein, der zucker ist unberührt, keine ameise. auf dem esstisch liegen zur
zeit allerhand dinge. notizzettel, zeitschriften, klebebänder, scheren, blisterpackungen
diverser pillen, fernbedienungen, glückskekse, ein maßband, eine festplatte, eine
packung saft, ein paar gläser, bodylotion... sogar eine konfektschachtel im format A3. ich
hatte jetzt echt kurz angst, den deckel der konfektschachtel zu lüften, weil mir da
möglicherweise ein ganzer schwall an ameisen entgegengeprasselt wäre und mich
halbert aufgegessen hätte, auf den verdacht hin, ich wäre auch eine praline... aber nein,
keine einzige ameise in der gesamten schachtel.

es ist mir ein rätsel. ameisen sind ja bekanntlich nicht doof, also frage ich mich nun: was
wollten die viecher auf meinem esstisch? vielleicht hätte ich sie fragen sollen und sie
nicht einfach nur töten. okay, wenn ich noch eine finde, nehme ich sie gefangen und
verhöre sie.
 
ach, und außerdem habe ich seit einiger zeit eine wunde auf der innenseite des
unterarms, die einfach nicht zuheilen will. es ist eine stelle, an der viel bewegung
stattfindet, wenn man den unterarm um die eigene achse dreht, oder das handgelenk
kreisen lässt. die wunde ist etwa so groß wie ein fünfschillingstück. ich beobachte sie,
weil die lage sehr günstig für beobachtungen ist, und weil ich gerne dinge an mir
beobachte, die sich merkwürdig verhalten. nun fängt diese wunde an, in mitten ihrer
fleischfläche eine wucherung zu bilden. das nennt sich übrigens ‚wildes feisch’ – ich
weiß, sehr ekelig, aber es kommt noch besser. ich habe nämlich die vermutung, dass
mein körper – der übrigens einen reichlich schrägen sinn für humor hat –,.... also mein
witziger körper versucht an dieser stelle eine zweite hand rauswachsen zu lassen. ich
habe nämlich so kleine hände und so kurze finger und mein körper ist manchmal sehr
ungeduldig und auch gierig, zum beispiel wenn es darum geht, essen zu fassen. die
zweite hand, gleich neben einer bestehenden hand, könnte mir einen gewaltigen vorteil
bringen, denn es wäre dann so etwas wie eine baggerschaufelzugreifkralle. ich könnte
womöglich sogar mit einer hand, also, mit zwei händen, aber an einem arm, also mit
einem arm, obwohl nein, das klingt komisch, aber was ich mir vorstelle: mit rechts
jemanden am kragen packen und ihn festhalten, während man die linke in sein gesicht
bohrt. ja gut, ist ja nur ein beispiel, jetzt.

so, nun habe ich aber den plan meines körpers durchschaut und der bekommt das
natürlich mit und es ist spannend, was als nächstes passiert.

vielleicht  wuchert er mir stattdessen ein paar fügel, hinten beim rücken, so etwa  aus den schulterblättern raus. da kann ich nämlich nicht hinsehen. ach,  das wäre wirklich schön.
da tue ich dann auch ganz überrascht, versprochen.



untitled 77
posted on 11/02/2014

can i please
something
i dont know
fuck
you
and your fellow lungs
and your eyes
fuck
someday
onions melt
and i love
i don‘t know
oceans fade
cities fade
mountains fade
you



music – diary (4)
posted on 11/06/2009

meine titten schrumpfen wirklich. meine schönen titten. es ist ein jammer. jahrelang
wurde mein körper von hormonen versorgt wie ein luchs im zoo mit halbtoten mäusen
gefüttert wird. nun ist der luchs freigelassen, aber das jagen hat er natürlich verlernt.
mein appetit lässt zu wünschen übrig, meine lust ist so gut wie nicht vorhanden. die
pauschalen selfmade-orgasmen erscheinen einem sinnlos. der hammer ist das alles
nicht. ich habe wirklich das gefühl, das system sei völlig heruntergefahren und ich
müsste es von grund auf neustarten. wieder jagen lernen. merkwürdige erfahrung, aber
ich habe immer noch die hoffnung, dass alles gut und besser wird. jagen lernen. der
verstand wurde blöderweise nicht neugestartet, der arbeitet noch wie früher und
scheinbar sogar klarer und unverfälschter. das macht die sache nicht einfacher, die
ansprüche sind hoch, der luchs will halt keine maden fressen. eine fette maus soll es
sein, bei deren anblick seine lefzen feucht werden, der blick starr auf die beute gerichtet,
der appetit erwacht und unbändig. blöd nur, dass in diesem wald um mich herum nur
pilze wachsen.


aus Ianina Ilitcheva: ich sehe die einsamkeit vor mir und sie ist leicht. Hg. von Rick Reuther
(hochroth München 2018). 44 Seiten. 8,00 Euro.
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