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Harsdörffer: Poetischer Trichter, die I. Stund

Poeterey



Die I. Stund.


Von der Poeterey ins gemein /
und derselben InhaltErfindung.



DIe Zeit ist edel und so schätzbar / daß auch aller Reichthum dieser Welt für nichts dargegen zu halten: wollen deßwegen bedacht seyn / den Leser nicht ein unnöthiges Wort aufzudringen / sondern alles kurtz / und deutlich außfündig machen / und zwar in den ersten vier Viertelstunden behandeln:


I. Der Poeterey Ursprung.
II. Der Inhalt / von welchem der Poet zu handeln pfleget.
III. Von dem Zweck der Poetischen Gedichte.
IV. Die Dichtkunst.


Von der Poeterey Ursprung ist bey dem Kunstrichter Scaliger und andern Scribenten viel zu lesen. Kurtz davon zu reden / so sind die Poeten von alters zugleich Naturkündiger / Sittenlehrer und Säitenspieler / oder Musici gewesen. Mit Fortsetzung der Freyenkünste / haben sich etlich auf dieses absonderlich / jene auf ein andres begeben: doch ist die Poeterey bey dem waaren und falschen Gottesdienst iederzeit verblieben / und auch von allen barbarischen Völkern hochgehalten worden.*
2. Aus Betrachtung der Natur / und Erforschung der Weltgeschöpfe / entstehet des höchsten Lobgesang: Aus Betrachtung des Menschen Lebens und Wandels entstehet die Sitten- oder Tugendlehre; und die Beschreibung einer Begebenheit / sie seye gleich rühmlich / daher die Lobgedichte gewisser Personen entspringen / oder scheltbar / daher Stichel- und Strafverse in Gebrauch kommen.
3. Die Hirten- und Schäferlieder sollen die ältesten Gedichte seyn / weil diese bey ihren Herden mehr müssig als andere / und von dem stetsvorwesenden Welt- und Feldbau unverhindert gesungen worden. Etliche vermeinen / die ältsten Gedichte seyen von den Wintzern zur Weinerndzeit gedichtet worden; und deuten dahin den Spruch des Propheten Jerem. c. 48 / 33. Weil aber die Heyden vieler Sachen Ursachen nicht erkundigen mögen / haben sie solche ihren Göttern zugeschrieben / und denselbigen für die Früchte der Erden / der Bäume / des Rebens / und dergleichen Dankopfer gebracht / darbey aber ihr Gebet / und Lobgesang in gebundner Rede verrichtet; allermassen ihnen auch gleichergestalt von den Oraculis, oder Götzen stimmen geweissaget worden.**
4. Wir Christen / die wir den allmachtigen Gott / nicht nur aus seinen Wercken / sondern auch aus seinem Wort erkennen / sollen uns der Heyden Fabelwerk enthalten: die sich auch nicht gescheuet / ihren Göttern solche Laster anzudichten / mit welchen die Dichter selbsten schändlichst beflecket gewesen. Doch kan man mit Bescheidenheit derer Fabel wol gebrauchen / in welchen natürliche Händel / oder sondere Lehren verborgen sind.



II.


5. Der Poet handelt von allen und ieden Sachen / die ihm vorkommen / wie der Mahler alles / was er sihet / bildet; ja auch / was er nie gesehen / als in seinen sinnreichen Gedanken: Deswegen wird er auch ein Poet / oder Dichter genennet / daß er nemlich aus dem / was nichts ist / etwas machet; oder das / wz bereit ist / wie es seyn könte / kunstzierlich gestaltet / darvon hernach ein mehrers folgen wird. Der Philosophus tragt seine tiefsinnige Gedanken mit schlechten und einfältigen Worten vor / und ist zu frieden / daß man ihn verstehet / der Redner führet hohe und prächtige Wort / und begnüget sich / wann er den Zuhörer beredet. Der Poet aber muß nit nur verstanden werden / und einem etwas einschwätzen / sondern mehr leisten.
6. Wann ich einen Brief schreiben will / muß ich erstlich wissen / was desselben Inhalt seyn sol / und bedencken den Anfang / das Mittel / dz End / und / wie ich besagten Inhalt aufeinander ordnen möge / daß iedes an seinem Ort sich wolgesetzet füge: Also muß auch der Inhalt / oder die Erfindung deß Gedichts erstlich untersucht / und in den Gedancken verfasset werden / bevor solcher in gebundner Rede zu Papier fliesse. Daher jener recht gesagt: Mein Gedicht ist fertig / biß auf die Wort.
7. Der Inhalt nun eines Gedichts ist frölich / traurig / oder begreifft Mittelsachen / als da sind Sinnbilder von allerley Händeln / die in deß Menschen Leben vorkommen. Hierbey ist zu bemercken / daß der Poet keine Kunst oder Wissenschaft / mit allen Vmständen / behandelt (er wolle dann seine Grentzen überschreiten) sondern aus allen nur so viel entlehnet / als er zu seinem Vorhaben vonnöhten hat. Warum? Die Wissenschaften sind sehr schwer / und werden durch die gebundne Rede noch viel unvernemlicher. Zu dem so ist die Eigenschaft der Poeterey / daß man liebliche / und leichte Händel wehlen sol. Hierauß ist zu schliessen / daß der den Namen eines Poëten / mit Fug / nicht haben möge / welcher nicht in den Wissenschafften und freyen Künsten wol erfahren sey: daher auch solche kunstsinnige Gedichte dem gemeinen Mann nicht gefallen können / weil sie ihm zu hoch / und er nicht loben kan / was er nicht versteht. Die andere Art der Gedichte / welche die Tugenden und Laster behandelt / sind leichter / und werden solche in den Trauer- und Freudenspielen / gleichsam durch ein lebendiges Gemähl gebildet / indem die erdichten Personen nicht nur gehöret / sondern auch gesehen werden. Weil aber solche vorzustellen den Meistern gebühret / wollen wir / davon zu reden auf andre Gelegenheit versparen.
8. Das dritte ist die Beschreibung einer Geschichte / welcher der Poët den glücklichen oder unglücklichen Ausgang nicht verändern kan / aber wol die Vmstände / die Reden / welche dieser oder jener geführet / und kan er bey ieder Begebenheit die natürlichen Farben / ich will sagen die poëtischen Wörter / zierlich und wolschicklich anbringen. Diese Besehreibung ist ob besagtem Beysatz ein Gedicht zu nennen / und geziemet solche dem Poëten / und keinem Geschichtschreiber / der die Saehe bloß / wie sie ergangen / der Warheit gemeß erzehlet. Solcher gestalt kan man auch in den Gedichten die Laster beschreiben / und zuzeiten solche poetische Stücklein anbringen / daß der sich selber schuldig weiß / darob erröhten / und doch darzu lachen muß: dann der Poet erzehlet alles mit bunten und glatten Worten / und machet das Schöne schöner / dz Abscheuliche abscheulicher / als es an ihm selbsten ist; Welche aber dieses nicht leisten können / (darunter sich auch der Verfasser dieses Werkleins verstanden haben wil /) sind Liebhaber der Poeterey od' Versmacher / aber noch lang nicht Poeten / zu nennen.


III.


9. Des Poeten Absehen ist gerichtet / auf den Nutzen / und auf die Belustigung zugleich. Der Nutz sol andre und auch ihn selbst betreffen / und niemals wider Gott / noch durch Aergerniß wider den Nechsten gerichtet seyn. Was Ehr und Ruhm kan man doch aus unehrlichen und schändlichen Gedichten haben? Solche Unfläter /wie sie Herr Lutherus nennet / wollen sich mit Koht weiß waschen / und verstellen den Satan / in einen Engel deß Liechts. Ihnen solte stets in den Ohren gellen / der Fluch unsers Seligmachers: Verflucht sey / der da Aergerniß giebet / und daß wir auch von einem ieden unnützen Wort müssen Rechenschaft geben. Solcher Mißbrauch auch der Poeterey ist fast groß / und wird von frommen Hertzen billich darüber geeifert: Es kan aber der Fehler der Person / nicht d' Kunst zugemessen werden / noch der Mißbrauch den rechten Gebrauch aufheben.


die Zugabe deß VI. Theils der Gesprächspiele.


10. Der Poet handelt zu Zeit von der keuschen Lieb I als einer Tugend / von unkeuscher Liebe / als einem viehischen Laster / nicht zu dem Ende / daß er dardurch iemand / mit buhlerischen Grillen / ärgern wolle / sondern daß solche von unziemlichen Begierden I unterscheidet werden solle. Wir Menschen können die Neigung zum Bösen nicht von uns werffen; aber selbe wol im Zaum halten / und beherrschen. Man kan wol bey Frölichkeiten ein erfreuliches Schertzwort hören lassen; aber nicht mit groben Schandbossen / und Narrendeutungen / die den Christen nicht geziemen / aufgezogen kommen: jenes ist höflich und zulässig / dieses unhöflich / verwerflich / und bey groben Gesellen / aber nicht bey ehrlichen und tugendliebenden Personen gebräuchlich.
11. Ein löblicher Poet schreibet allezeit solche Gedichte I die zu Gottes Ehre zielen / grosse Herren / und gelehrte Leute belustigen / die Vnverständigen unterweisen / der Verständigen Nachsinnen üben / die Einfältigen lehren / die Betrübten trösten / und der frölichen Freude vermehren.
12. Ob nun wol der Vers / und das Reimwort / zuzeiten / von dem erstlichgefasten Inhalt / darvon zuvor Meldung geschehen / abfiihret / daß sich die gantze Erfindung unter den Händen ändert; so lässet sich doch der Poët von dem abgesetzten Vorsatz nicht wendig machen / daß er wegen eines artigen Schimpfs / er sey / so sinnreich er wolle / Gottes Huld / oder einen guten Freund verlieren sollte.
13. Etliche vermeinen / sie habens wol getroffen / wann sie unziemliche Gedancken verblümen / und Rähtselweis vortragen: sich nachmals mit einer doppelten Auslegung derselben beschönen wollen. Aber weit gefehlet: Man sol nicht nur das Böse / sondern auch den Schein deß Bösen / und die Gelegenheit Böses zu gedencken I vermeiden. Zwar ist nichts so gut gemeint / daß von Bösen nicht böß könte gedeutet werden: Man sihet aber bald / ob die Schuld deß Dichters / oder dem Ausleger deß Gedichts beyzumessen. Kurtz davon zu reden: Es sol der Poët den Inhalt seines Gedichts auf den Nutzen und die Lehre richten: die Ausführung aber mit schönen Worten / und Gedancken leisten / daß der Leser dardurch belustiget / und ihme gleichsam das Hertz abgewonnen werde. Zu solchem Ende sol er sich aller unflätigen Sachen und Wörter enthalten / weil wir von Natur die Augen / und Ohren von solchen vnziemlichen / oder ja mißfälligen Händeln abwenden.


IV.


14. Nun fragt sichs / wo der Inhalt deß Gedichts herzunemen? Dann wie der Töpfer erstlich muß den Don haben / ohne welchen er nichts bilden oder drehen kan / so muß der Poët wissen / was er schreiben wil / bevor er die Feder ansetzet. Hier ist nun zu unterscheiden der Vorsatz ein Trauergedicht / ein Lobgesang oder dergleichen zu machen / und die Erfindung / welcher Gestalt der Inhalt desselben sich aufeinander binden sol. Dieses Letzte wird durch die D i c h t k u n s t angewiesen / von welcher kürtzlich folgendes zu wissen.
15. Die Erfindung wird entweder hergeführet v o n  d e m  W o r t / oder v o n  d e m  D i n g e  selbsten / darvon man handelt / oder von den  V m s t ä n d e n  desselben / oder von gehörigen  G l e i c h n i s s e n.
I. Das W o r t  giebet eine Erfindung entweder in seinem rechten angebornen  La u t / und bekanter Deutung / oder mit versetzten  Buchstaben / wann solche eine gantze Meinung schliessen / oder eine halbe / welche mit dem Gemähl in einem Sinnbild / oder Lehrgedicht ausfündig gemachet werden kan. Hieher gehören die  W o r t g r i f l e i n / wann man einen Buchstaben darvon / oder darzusetzet: wie auch die Zahlreimen / Jahrverse / Namverse / wann die ersten /mittlere / oder letzte Buchstaben / oder auch Wörter einen Namen / oder Meinung schliessen. Wiewol diese letzere Art / samt den  B i l d e r r e i m e n / W i d e r h a l l / und Wi e d e r k e h r n eigentlich zu der Reim- und nicht zu der Dichtkunst gehören, Hier ist zu beobachten / daß in dergleichen Erfindungen nichts gezwungens seyn sol / sonst heist es / mit genöhtigten Hunden jagen.
16. Zum zweyten / flüsset die  E r f i n d u n g  des Gedichts aus der  S a c h e  A n f a n g / M i t t e 1  u n d  E n d e. Dieses ist bey allen Gedichten wol zu betrachten / wie der Poet anfange / fortfahre / was für Ordnung er in der Erzehlung gebrauche / wie er bisweilen ein wenig ausschweife / und etwas anders füglich miteinflechte / wie er wieder auf sein Vorhaben komme / und alles kunstschlüssig binde und ende. Gleichsfals muß der Poet in Vorstellung der Personen ihre Gemütsmeinung meisterlich zu beherrschen wissen / als Liebe / Haß / Hofnung / Furcht / Zorn / und Mitleiden: ieder Person / nach ihrem Alter / Geschlecht / Stand /gewöhnliche Sitten zuschreiben / gehörige Reden andichten / und sich gleichsam selbst verstellen in den / welchen er vorzustellen gewehlet hat. Hierbey muß er allezeit lehrreiche Sprüche / schickliche Gleichnissen / gemeine Sprichwörter / und alles an sein gehöriges Ort zu stellen wissen.
17. Drittens / werden die Erfindungen hergenommen von den  U m s t ä n d e n   d e r   Z e i t / und des Orts / welche ihm der Inhalt seines Gedichts an die Hand giebt: Also führet er ein die Tugenden und Laster / Sprachen und Künste / Jahr-Monat- und Tageszeiten / die Frölichkeit / die Traurigkeit / Flüsse / Länder / Berge / Felsen / und hierunter gehört das Gemähl / welches durch solche Beschreibung gleichsam beseelet wird.
18. Viertens / ist die Gleichniß die allertiefste Quelle etwas schönes / unnd zur Sache dienliches zu erfinden / als bey welcher mehrmals das Besagte alles kan angebracht werden / hierunter gehören die Sinnbilder / deren Grund ein Gemähl ist.
19. Wir wollen hier ein kurtzes Exempel setzen. Du solst ein Gedicht schreiben von dem Glauben / davon sehr viel zu melden / dieses Orts aber sol er betrachtet werden / als der waare seligmachende Glaube / ohne welche der Mensch keine Gottgefällige Wercke thun kan. Kommet nun ein Versstimpfer darüber / so möchte er vielleicht besagten Inhalt also verfassen:


Gott wil ein reines Hertz / das ihm allein vertraut /
und nicht auf Menschen Hülf‘ / und eigne Kräfte baut:
Ja gute Wercke sind bey Gott nicht angesehen /
wann sie von uns ohn Lieb- und Glaubensliecht geschehen.


Diese und noch viel dergleichen Reimen können / mit Fug / kein Gedicht genennet werden / weil keine sinnreiche Erfindung angebracht und alle diese Reimwörter kein Gedicht machen: Vielleicht aber solt obgemeldeter Inhalt füglicher durch eine Gleichniß ausgebildet werden: wann wir unsren Glauben mit einer wolklingenden Laute vereinbahren / folgender Gestalt.


D I e  L a u t e  r e d e t.

1ch konte vor der Zeit das Sorgenwaschen stillen
die Furcht / die blasse Furcht mit meinem Ton verhüllen,
Die Winde hörten mich / der Bäche Lispelgang /
verzögert' auenwarts / ob meinem süssen Klang.
Nun ist mein Freudenlied / in neues Leid gewendet /
Ich bin ein Ieeres Holtz / beraubet und geschändet /
geschändet und beraubt durch eine Frevelhand /
die mir bey düstrer Nacht mein holdes Säitenband
zerschnitten und zerstückt. Komm doch / mich zu verbrennen /
komm / komm / bring deine Flamm / weil ich bin tod zu nennen /
nachdem mein Sternendach / mein Dach von Helffenbein /
(Zu helffen mancher Pein erbaut) gerissen ein.
Mein Zweck / ist ohne Zweck/ mein Steg ist gantz verödet;
1ch bin ein eitles Nichts verstummet / und entblödet.
Zuvor hat meinen Ton der Himmel selbst begehrt /
nun bin ich nimmernicht so hoher Milde werht.


20. Hier ist zu beobachten / daß die Laute mit allen Vmstanden poetisch beschrieben / und darbey der Buchstabwechsel L i e d  unnd  L e i d / die Wortgleichheit H e l f f e n b e i n / und zu  h e l f f e n  d'  P e i n / samt dem zweydeutigen Wort  Z w e c k  etc. miteingebracht. Ohne dergleichen poetische Ausrede / *** ist das Gedicht saft- und kraftloß. Nun folget das zweyte Stuck / wie sich dieses alles zu dem Glauben schicket: und zwar in siebensyllbigen kurtzlang / Jambischen / oder Anacreontischen Reimzeilen.


Der Glaub befreyt von Sorgen /
die in den Menschen Hertzen
verhüllet und verborgen /
und doch mit Seuftzen / Schmertzen /
mit Threnen / Angst und Flehen
sich kläglich lassen sehen.
Der Satan kan den Glauben /
(daß wir im Jammer sterben /
und Höllenbrand verderben / )
aus blöden Sinnen rauben.
Der Glaub ist Geist und Leben /
in dem wir sind und schweben.
Wann wir nicht Glauben haben /
muß unser Thun und Lassen /
gleich faulen Opfergaben
der Himmelsschöpfer hassen.


21. Die erste Stunde ist nun vorbey / und haben wir kürtzlich gehöret / und vermutlich gelernet I. Von der Poeterey Ursprung. II. Zweck. III. Inhalt. IV. und wie zu solchem zu gelangen.




*   Specim. Philolog. Germ. Disquisit. IX.

** Hierinnen hat der böse Feind / als Gottes Aff / der Hebreer Gebrauch bey den Opfern nachahmen wollen.

*** Elocutio poëtica.

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