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Hans Thill: in riso / der dürre Vogel Bin / kälter als / Dunlop

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Jan Kuhlbrodt

Hans Thills Dunlop



Was macht er wieder, dieser Hans Thill, mag man fragen nach der Lektüre der ersten Seiten des roughbooks Nr. 35. Es ist ja schwierig, die Produktion dieses wandelbaren Dichters ohne Irritationen zu verfolgen. Allein es ist mir ein Bedürfnis mitzugehen, über die Dörfer* zu wandern, um auf einen seiner Gedichtbandtitel Bezug zu nehmen.

Im neuen Band aber wandern wir mit dem Dichter gewissermaßen zwischen Ackerfurchen und streuen Verse wie Samen. Samen verschiedenster Pflanzen in verschiedensten Epochen kultiviert, manche so alt, dass sie in ihrer Kultur eher wie Wildwuchs wirken. Die Tradition als Saatgut.


Nehmen wir Paul Fleming, diesem Schöpfer eines protestantischen Kirchenlieds, dem ich als Kind schon und vor allem in der Jugend begegnet bin. „In allen meinen Taten“ hieß der Song. Oft, aber zumindest in meinem Fall, zumeist ohne es zu wissen, dass es von Fleming ist.

Thill nimmt das Gedicht Grabschrifft eines jungen Bähren/ der gehetzet worden war und zerreibt es zwischen seinen Fingern, dass die Verse wie Körner zwischen die Furchen fallen. (Ich bin geneigt, die Furchen mit den Windungen im Thillschen Hirn zu vergleichen.) Und aus den Körnern, die die Verse sind, treiben eigenständige Gedichte. Die Saat jedoch bleibt jeweils als erster Vers vorhanden:


So treibt aus Flemings viertem Vers das folgende Gedicht:

Ward in der Stadt
verkauft; daselbsten
mich zu üben /

Die Stadt bezahlt den üblen Trainer
mit Zoten. Der Studien-
rath hat Blut an den Händen
und trüben Atem, weil er saufft,
zu sanft zu sich zu allen
andern hart wird er
von Strass zu Strass
getrieben


Und wie aus alten Samen heute, wenn sie aufgehen, heutige Pflanzen treiben, mit einem Restbestand antiker Information, vermischen sich in den Gedichten Thills die Zeiten, in der Mischung aber, und das ist das Faszinierende, sind sie ganz heutig. Als blickte man von vorn auf eine Zeitschiene, und aus der Geschichte würde ein Bild, in dem der Ablauf verschwindet.

Aber was Thill mit den Zeitebenen anstellt, das macht er auch mit Sprachen. Fremd- also nicht deutschsprachigen Gedichten bricht er ebenfalls Verse aus, und spürt der Doppeldeutigkeit von Sinn- und Klang nach, und von der Sinnverwandlung im anders sprachgeschulten Ohr. Aus der Überschrift eines Gedichtes von Pablo Neruda wächst somit dieser Text.

Los hombres
Das Land, humane elf Meilen
im Meer verkeilt. Es herrscht
Kommerz, eine Art Guano-
Kapitalismus mit dem Profil
bärtiger Vögel im Wappen.


Das Ganze könnte man als eine Spin-off-Technologie bezeichnen, die in anderen Bereichen bereits eingeführt ist, zum Beispiel als eine Abteilungsausgliederung aus einer Unternehmung oder eine Unternehmensgründung aus einer Institution heraus in der Wirtschaft, oder eine Serie, die aus Momenten einer anderen Serie oder eines Films erwächst. Ableger eben.

Das Ganze jedenfalls macht riesig Spaß.



Hans Thill: in riso / der dürre Vogel Bin / kälter als / Dunlop. Hrsg. von Urs Engeler. Berlin, Heidelberg, Edenkoben, Santiago de Chile, Schupfart (roughbook 035) 2016. 102 Seiten. 9,00 Euro.

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