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Georg Lukácz: Kritik als Kunst

Diskurs/Kommentare > Diskurse > Lyrikkritik

Georg Lukácz

Kritik als Kunst
(Aus: Über Wesen und Form des Essays, 1910)


"Ja, wenn Kritik eine Wissenschaft wäre", schreibt Kerr. "Aber das Imponderabile ist zu stark. Sie ist im schönsten Fall eine Kunst." Und wenn sie eine Wissenschaft wäre - es ist gar nicht so unwahrscheinlich, daß sie eine wird - was könnte dies an unserem Problem ändern? Hier ist nicht von einem Ersatz die Rede, sondern von etwas prinzipiell Neuem, von etwas, das durch ein gänzliches oder annäherndes Erreichen wissenschaftlicher Ziele nicht berührt wird. In der Wissenschaft wirken auf uns die Inhalte, in der Kunst die Formen; die Wissenschaft bietet uns Tatsachen und ihre Zusammenhänge, die Kunst aber Seelen und Schicksale. Hier scheiden sich die Wege; hier gibt es keinen Ersatz und keine Übergänge. Wenn auch in den primitiven, noch nicht differenzierten Epochen Wissenschaft und Kunst (und Religion und Ethik und Politik) ungetrennt und in Einem sind, sobald die Wissenschaft losgelöst und selbständig geworden ist, hat alles Vorbereitende seinen Wert verloren. Erst wenn etwas alle seine Inhalte in Form aufgelöst hat und so reine Kunst geworden ist, kann es nicht mehr überflüssig werden; dann aber ist seine einstige Wissenschaftlichkeit ganz vergessen und ohne Bedeutung.



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