Gabrielle Alioth: The Poet's Coat / Der Mantel der Dichterin
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Timo Brandt
Gabrielle Alioth: The Poet’s Coat / Der Mantel der
Dichterin. Gedichte. Englisch / Deutsch. Übersetzt von Fred Kurer. Frauenfeld (Waldgut
Verlag) 2019. 112 Seiten. 22,00 Euro.
Lebensszenerien
“Schon immer mochte ich die Idee,etwas zum Abschluss zu bringen,Tage, Bücher, meine Existenz,wann immer mir Verwirrung drohte.Ich mag die Einsamkeit leerer Blätter,die Verschwiegenheit der Registerund das weiße Lichtkurz vor der Dämmerung.Man hat mir beigebracht, Zeit zu verantworten,meine Träume auszugleichen, undich habe gelernt, Erinnerungenabzulegen in gerade nummerierten Kartons.“
So heißt es am
Anfang des zweiten Gedichts mit dem Titel „Die Buchhaltertochter“ im ersten
Abschnitt des Bandes „The Poet’s coat/Der Mantel der Dichterin“. Autorin ist
die gebürtige Schweizerin Gabrielle Alioth, die 1955 geboren wurde und 1984
nach Irland auswanderte. Während sie weiterhin vieles andere (Prosa, Kinder-
und Reisebücher) auf Deutsch schrieb, entstanden ihre Gedichte auch vor dem
Hintergrund der Liebe zur englischen Sprache und der poetischen Kultur in
Irland.
Insgesamt hat
der Band drei Abschnitte, betitelt mit „The past“, „This place“ und „The
woman“. Der erste enthält vor allem autobiographische Gedichte (wie etwa das
oben zitierte), in denen sich Alioth u.a. auch mit ihrer kranken Mutter und dem
Verlust eines Kindes durch Totgeburt auseinandersetzt. Ein zentrales Motiv, das
sich auch über den ganzen Band erstreckt, ist die Unausweichlichkeit und stete
Konfrontation mit der Vergangenheit, deren Sog sich auch in der Gegenwart
maßgeblich manifestieren kann.
„Im Schutz jedes Hauses sehnt sich ein Bootnach Fahrten auf See,während die Fischer in heißen Stadtnächten träumenvon silbernen Strömenknapp unter der Oberfläche.“
Im zweiten Teil
geht es dann, wie im Titel schon vorweggenommen, um Orte – Lebensorte, Inseln,
Häfen, aber auch Reiseorte. Alioth setzt, wie auch teilweise schon im ersten
Teil, auf sehr einfache Atmosphären, Schilderungen, die sie mit Wehmut auflädt,
ihnen dann und wann auch den Anschein eines (persönlichen) Mythos gibt. Ein
wichtiges Bild/Motiv ist der Fluss, der für den Zeitstrom und die Macht der
Veränderung, gleichsam aber auch für reiche Gründe und Schönheit steht.
„Diese Straßen, gezeichnet von Morgenfrüheund die Häuser mit abgeschlossenen Zimmern.Die kalten Nachmittage hinter Kirchen,als ich glaubte, dich zu lieben.Das rötliche Glühen im Dunkelüber unsichtbaren Dächern,die Züge, die um Mitternacht losfahren unddie Fundamente zum Beben bringen.“
Der dritte Teil schildert im Großen und Ganzen die Abnabelung von einer Person, mit der das lyrische Ich in einem Liebesverhältnis stand – in manchen Gedichten erscheint sie wie ein Ehepartner, dann wieder wie eine flüchtige, vielleicht sogar nur angebahnte, aber nie vollzogene Liaison.

Die Gedichte sind keine überragend-dichten Gebilde, aber vor allem im englischen Original mit einem schlichten Feinsinn inszeniert, der etwas Sympathisches hat. Über die Übersetzungen habe ich mich ein ums andere Mal etwas geärgert. So heißt es bspw. in einem Gedicht, wo es um Kastanien geht, die das lyrische Ich einsammelt und aus denen es etwas baut:
„to build a world
with horses, birds – knights
a happy ever after.
eine Welt bauen
mit
Pferden, Vögeln – Rittern
und Glück
zuhauf.”
“A happy ever
after” ist ja die übliche Wendung am Ende von Märchen, das hätte der Übersetzer
Fred Kurer schon als Referenz erkennen und entsprechend umsetzen können. Meist
sind es nur derart kleine Ungereimtheiten oder vielmehr: verpasste
Gelegenheiten, Ungenauigkeiten, wie auch bei einem Gedicht, in dem es um
Mondstrahlen geht, die auf dem Wasser glänzen und
„That bend the
bars
Of the
cage of memorydie Stangen
biegen
am
Gefängnis Erinnerung“
Ein “cage” ist
zwar wohl immer ein Gefängnis, aber Gefängnis und Käfig sind trotzdem nicht das
Gleiche, gerade was die Assoziationen (singende Vögel, eingesperrte Raubtiere,
freie Sicht bei gleichzeitiger Gefangenschaft, unrechtmäßige Einsperrung,
gezähmte Wildheit, etc.) angeht.
Bei manchen
Passagen finde ich die Übersetzungen generell fragwürdig/zu eigenwillig, wie
etwa in diesem Abschnitt.
“I only had to meet you once
To know you all my life.
You use the
words of my past
As if you owned
them,
And in your
touch is a warmth
I resist
recalling
Einmal nur dich treffen
und ich kannte
dich seit je.
Noch brauchst
du meine Sprache von früher,
als würdest du sie besitzen,
und alles in
mir wehrt sich,
an die Wärme deiner Berührung zu
denken.”
Vielleicht sind
diese Übersetzungen aber auch mit der Autorin abgesprochen. Ich finde, sie
nehmen den Gedichten hier und da doch recht viel Spielraum, was nicht so sein
müsste.