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Franz Dobler: Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will

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Stefan Hölscher

Franz Dobler: Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will. Gedichte 1991 – 2020. Fotografien: Juliane Liebert. Fürth (starfruit publications) 2020. 288 Seiten. 25,00 Euro.

Schamlos bescheiden – krass opulent


Wer will das nicht: immer nur kriegen, was man haben will. Der Titel des Bandes der gesammelten Gedichte von Franz Dobler aus den Jahren 1991 – 2020 macht einiges über das Buch, die darin versammelten Gedichte und ihren Autor sofort deutlich: Hier geht es um ungeschminkten Klartext; hier gibt es ein sich (über-)deutlich artikulierendes „Ich“; hier gibt es je nach Betrachtungsweise ziemlich hohe oder selbstverständliche Ansprüche und eine gute Portion Witz und Selbstironie. Franz Dobler, dem größeren Publikum wohl eher als Krimiautor, Journalist und DJ bekannt, schreibt Gedichte, mit denen die Wahrscheinlichkeit in den heiligen Gral des „Jahrbuchs der Lyrik“ aufgenommen zu werden, nicht eben bei 100 von 100 möglichen liegt. Diese Gedichte sind geradezu schamlos direkt, geradeaus komponiert, poetisch unkomplex und obendrein auch noch wie selbstverständlich gewürzt mit einer dicken Prise Hetero-Macho-Flair. Und sie sind so gar nicht: fein-viel-dimensional verwoben, reich an sprachlich-historisch-kultureller Dekonstruktion, implizit rezitierender Anspielung, konstruktivistischer Neu-Vernetzung und, um eine zentrale Metapher aus dem jüngst erschienenen poesietheoretischen Essay von Christian Metz, aufzugreifen: „beugend / diffraktär“ - womit gemeint wäre: „Aus dieser Überlagerung verschiedener Wellen, mit unterschiedlichen Amplituden, kommt es bei der Beugung zu Unschärfeeffekten dort, wo die Wellen aufeinander treffen. In diesem Pattern von Interferenzen tritt fortgesetzt das Unterschiedliche gleichzeitig auf, statt sich zu einem Dritten zu vereinen.“ (C. Metz, „Beugung“, S. 13, Verlagshaus Berlin).

Bei Dobler geht es um Schärfe-, statt um „Unschärfeeffekte“, um Geradeaussprechen statt um „unterschiedliche Amplitu-den“; und wenn es um „vereinen“ geht, dann ist damit definitiv etwas anderes als bei Metz gemeint. Der immerhin drei Jahrzehnte Lyrikproduktion von Dobler umfassende und mit rauh-urbanen Fotoshots von Juliane Liebert atmosphä-risch dicht illustrierte Sammelband enthält neben 35 neuen Gedichten alle früheren aus den Bänden „Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa-Luxemburg-T-Shirt“ (2009) und „Jesse James und andere Westerngedichte“ (1991). Sieht man dabei von dem in der deutschen Gegenwartslyrik nicht gerade hoch gehandelten Westernbezug in den Gedichten von 1991 ab, so sind die Settings, in denen Doblers Gedichte, wie man hier durchaus sagen kann, ‚spielen‘, immer wieder ähnliche: Bars, Clubs, Kinos, Theater, Straßen, Züge …, zumeist ausgeprägt urbane Bezugspunkte. Punkte, an denen das lyrische Ich, das sich ganz überwiegend in größerer Nähe zum Ich des Autors zu befinden scheint, immer wieder alltäglich-unalltägliche Begegnungen hat, so wie etwa hier:

Sie stand an einem Streukasten
und ich ging schneller vorbei
und wagte nicht hinzusehn
weil sie so gut aussah
weil ihr Gesicht so hart war
weil ihr Rock so kurz war
und ihr Bein so schön
wie es da stand
zwischen zwei Krücken.
Deswegen und trotzdem
hatte sie einen schlechten Platz
                  
Oder hier:

Ich zahlte und ging
und war traurig gestimmt
weil es früher am Vatertag besser war
als alle schnell so besoffen waren
dass keiner mehr wusste
wo ist hinten, was ist vorn.
Reiß das scheiß Haus ab
sagte ich im Rausgehen
aber mach’s mit einer Ladung Dynamit
sonst heißt es noch
du bist schwul.
                  
Teilhaben lässt uns das lyrische Ich, das insgesamt hoch präsent in den Gedichten Doblers ist, dabei auch immer wieder an seinen Reflexionen, Wünschen und Befürchtungen, die ebenso persönlich-psychologische wie gesellschaftliche, ästhetische und politische Aspekte umfassen:

Eine Kunst machen
hart wie Clint Eastwood
Mann, das ist auch mein Traum.
Aber ich käme mir bescheuert vor
wenn ich wüsste, dass meine
ganz harten Killer-Songs
immer nur von Kindern
gehört werden, und ich kann es
nicht leiden, wenn ich mir
vollkommen bescheuert vorkomme
wenn du weißt, was ich meine.
                     
Hier blühen sie auf, die Gedichte Doblers: in den immer auch etwas schnoddrig-frechen, dezidiert direkten, betont lustbewussten und zugleich auch augenzwinkernd ironisch daherkommenden Schilderungen von Episoden, Impressionen und handfesten Reflexionen. Das ist dann zwar nicht die ideale Kost für Sprachzerlegungssubtilitäts- und Divergenzampltudeninterferenz-Anbeter *innen, aber doch sind es Gedichte, denen nichts fehlt, die in sich stimmig und die schnurstracks straight und unorthodox schräg zugleich sind. Gedichte, die der eigenen, durch kein akademisches Literaturinstitut hochkultivierten Kursdefinition folgen:

Ich brauche eure Zustimmung nicht.
Habe ich nie.
Werde nicht damit anfangen.
    
Diese Zeilen sind durchaus Programm. Und bei Dobler heißt das: programmatische Direktheit und Unverblümtheit. Dass ein solches Programm auch zu Produkten führen kann, über deren Notwendigkeit man sich streiten könnte, dürfte keine Überraschung sein. Neben vielen frech-frisch-fetzigen Gedichten enthält der Band auch solche, die man vielleicht nicht unbedingt gebraucht hätte:

MEIN ERSTES SELFIE

Mein Haar ist
schwarz.

Mein Herz
blutrot.

Und übermorgen
bin ich blau.
                  
Oder:

ABRECHNUNG

Der AfD-Bezirksverband in Oberbayern
hat mehr Mitglieder
als die AfD in ganz Thüringen
während in Niederbayern
die bayerische AfD am stärksten ist.

Wie viele CSU-Mitglieder
stehen am rechten Rand
um unser Dorf wieder
schöner zu machen?
                      
Oder:

SOLDATENLIED

Ich stehe einsam auf Posten
und denk nur an dich
und mein Pfosten steht einsam
und denkt nur an sich.

So stehn wir einsam und treu
auf unserem Posten
nur unsere Pfosten
die verrosten
                    
Während man solche leicht rostige „Pfosten“-Lyrik ja auch schnell überblättern kann, finden sich in dem Band aber immer wieder auch Texte, die, obwohl sie ähnlich einfach erscheinen, auch beim zweiten und dritten Lesen nichts von ihrer klaren Strahlkraft verlieren:

KAFKA UND ICH

Auch ich kenne
den berühmten Satz von Kafka:
Im Kino gewesen. Geweint.

Bei mir war es neulich
ein bisschen anders:
Im Theater gewesen. Eingeschlafen.

Es war nur ein Sekundenschlaf
und ich dachte: Zum Heulen
dass ich nirgendwo richtig schlafen kann.
                        
Ich möchte nicht immer nur Gedichte, wie sie Dobler schreibt, lesen. Ich bin froh, dass es auch Gedichte wie etwa die von Monika Rinck, Jan Wagner, Yevgeniy Breyger und vielen anderen, die offenkundig hochgradig mehrdimensional schreiben, gibt. Aber Gedichte, die wie Doblers Texte, sofort ‚reingehen‘ können, haben nicht nur ihre Berechtigung. Sie haben auch ihren eigenen lyrischen Charme, der sich nicht zuletzt aus dem heraus ergibt, was Dobler seinem Buch als nicht ganz unbescheidenes Motto voranstellt: „Unser Anspruch ist bescheiden“ (Jean Améry). Das Ergebnis krass opulent.


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