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Folge 1

Montags=Text > Prosa



Martina Hefter

Zu „Der schaudernde Fächer“ von Ann Cotten


Anmerkung: etwas über Texte oder Bücher zu schreiben, die ich gern mag, finde ich sehr schwer. Ich fürchte mich davor, zu voreilig etwas zu sagen, was den jeweiligen Text/das Buch vielleicht am Ende doch in ein falsches Licht rückt. Leichter fällt es mir, wenn ich das Unterfangen als tägliche Praxis handhabe, die auch eine noch etwas wacklige Übung sein darf. Ich schrieb jeden Morgen ca. zehn Minuten, es war erst mal nur das, was mir zum Buch durch den Kopf ging, und wurde noch etwas in Ordnung gebracht.

In einem anderen Buch - „Helm aus Phlox“ - stand etwas von Walen, wie sie wohl unten im Meer aneinander vorbeigleiten, ohne einander anzustoßen, so dass das Ganze nicht nur ein sinnvolles, sondern auch schönes Miteinander ergibt. Die Frage war, ob man das übertragen könne auf eine Gedichte/Texte schreibende Person und auf die Art, wie sie beim Schreiben mit dem Text umgeht. Ähnlich ist es, wenn man draußen vor dem Leipziger Hauptbahnhof über die Ampel zu den Straßenbahnhaltestellen muss, inmitten eines ziemlich großen Pulks. Manche haben es eilig, weil sie die Straßenbahn noch erwischen wollen, manche haben   schwer manövrierbare Rollkoffer dabei, manche träumen nur rum, einige gehen redend zu zweit oder zu dritt usw. Wenn alle in ihren jeweiligen Situationen ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit auf alles aufwenden, auf

– eigene Bewegungsart und -position
– eigenes Tempo
– eigenes Gepäck
– Tempo, Bewegungsart, Position und Gepäck der anderen,
– Stand der Anzeigentafeln, ein- und ausfahrende Straßenbahnen
– sonstiges (Wetter, Autoverkehr, eigene Stimmung...),

also, wenn alle, die über die Ampel gehen, diese Punkte derart im Blick haben, dass es sie weder übermäßig beansprucht, noch dass es zu mau ist und somit Unaufmerksamkeit wird, die den ganzen Ablauf in punktuelles Stocken bringt, dann kann man von allem Möglichen sprechen, von Schönheit, Umsicht, von Gelingen, Glück, dem normalen Alltag und dass er auch ganz ok ist.

Mit fiel das ein, als ich über die Namen nachdachte, die im Buch vorkommen. Namen finden: Geht man zu eifrig vor, wirkt alles schnell überladen, zu ausgesucht oder ausgesucht-realistisch, (Vinzent, Brad, Paulina), oder so bodenständig, dass es auch schon wieder überladen ist (Kalle, Kralle, Horst). Oder man zeigt so eine merkwürdige, viel zu kultivierte Rebellion („M.“, „er“, „sie“). Hier heißen die Leute zum Beispiel Prätz, der junge Fritz, Krassa, Chieko, Laura, Nobitori, Samsung, Fun Son. Eine Mischung aus Japan, Normalität, Spitznamen, Science Fiction, Spaß und Ernst. Ich habe nie das Gefühl, der Name sei quasi von allein so gekommen, weil die dazugehörige Person eben so ist. Mir wird nicht das Gefühl aufgezwängt, die Namen wären aus einer (mutwillig herbeigeführten) Authentizität heraus entstanden. Aber ich habe auch nie den Eindruck, dass es sich um besonders ausgesuchte Namen handelt. Es ist so ein Punkt, wo Notwendigkeit, Pragmatismus, auch Logik, zusammenfallen mit Spielerei, Partysucht und Erfinder-geist.

Und was ist jetzt meine Aufgabe im, mein Anteil am Getümmel, das sich über den Ampelübergang wälzt, wenn ich schon bei dem Bild bleibe? Wenn ich sage, dass ein Text erst durch Reaktion auf ihn wirklich da ist, muss ich als Leserin mit ins Spiel. Also: Ann Cotten, ich, und alle anderen angenommenen Leser/innen sind der Pulk, der sich über die Ampel wälzt. Heißt dann, dass ich eben auch irgendwie mitmachen muss bei dem Buch, mitdenken, Obacht geben, Rücksicht nehmen und mich trotzdem durchdrängeln.

Ach nee, das Bild gefällt mir schon nicht mehr, es ist irgendwie – zu bildlich eben. Dadurch wird es schon gleich wieder kitschig.

Na gut. Trotzdem, so wie mit den Namen ging es mir mit dem ganzen Buch. Eine Zusammenfassung der Inhalte mag ich nicht geben. Es kommen Berlin vor und Japan, das Dorf Jeremtsche in den Karpaten, eine Busfahrt durch die Wüste. Manche Erzählungen sind auch Essays. Und am Ende steht oft ein Gedicht, oder auch manchmal mittendrin eines, wie eine Art Vignette.

Ich gehe immer voll mit und halte immer Abstand. Ich bin mittendrin und vergnüge mich. Ich gebe acht. Es ist spannend. Aber nicht derart, dass ich meine, ich schaue bei etwas zu, das mich bloß aus Gier oder Nervenkitzel interessieren könnte, so wie man eine Schiffsschaukel auf dem Jahrmarkt kurz vor dem Überschlag sieht, und die Leute darin, und sich vorstellen muss, was in ihnen jetzt vorgeht. Ich bin aufmerksam, aber verliere nicht den Überblick. Ich versenke mich, aber nicht so tief, dass ich alles andere vergesse. Ich merke, dieses Buch ist auch ein Gegenstand meines täglichen Lebens.

Jede Erzählung ist anders, das Buch ist – ja, ich finde, das ist ein gutes, wichtiges Merkmal – abwechslungsreich. Es gibt einen Dialog, es gibt einen Briefwechsel und innerhalb des Briefwechsels wird eine Geschichte erzählt. Es gibt ein kurzes, na ja, Selbstgespräch, wo ich nur Fetzen von irgendeinem Thema zu fassen bekomme. Ein Essay über Schönheit, einer über das gute Schreiben. Es gibt eine Erzählung, die während eines japanischen Fests spielt, ein Hobelfest, und während ich sie las, fiel mir aus irgendeinem Grund der Begriff „Japanische Meistererzählung“ ein, den es bestimmt gar nicht gibt, und der allgemein wegen der Meisterschaft eventuell auch zu diskutieren wäre. Aber ich fand ihn recht passend.


Aber wieso nicht mal Meisterschaft? Wieso nicht lernen, sich darum kümmern, irgendetwas, eine Sache, ein Ding, eine Angelegenheit, ein Tun sorgfältig, umsichtig, eben: schön herzustellen bzw. anzugehen, und das gute und schöne Angehen und Herstellen zu lernen anfangen? Ist die Frage dann, wie man für sich selber definiert, was „sorgfältig“, „umsichtig“, „schön“ heißen soll. Dazu könnte man im Buch den Text über Schönheitstheorien lesen.

„Konzentration“ gilt hier auch. Ich habe das Gefühl, hier war jemand ganz bei der Sache. Nicht vollkommen selbstvergessen, aber so, dass man sich nicht stören oder drausbringen ließ – was nicht heißt, dass es keine Zweifel gegeben haben mag, Unsicherheit über das, was man tut. Die Konzentration färbte beim Lesen auf mich ab. Und ich trug sie mit zum Tanzen und auch mit in die Küche, ja, ich bilde mir ein, besser zu kochen seither, bunte Paprikastreifen und Kräuter auf eine abgedrehte und zugleich durchdachte Weise in den Topf zu werfen, und es mich auch wirklich zu trauen. jedenfalls schmeckt es allen sehr gut.



Ann Cotten: Der schaudernde Fächer. Berlin (Suhrkamp) 2013. 251 Seiten. 21,95 Euro.

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