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Felix Philipp Ingold: Das Gegenteil von allem; und von noch viel mehr

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Jan Kuhlbrodt

„Ein paar Strophen hingehustet“


So beginnt der letzte Text im jüngst bei Moloko Print erschienenen Buch von Felix Philipp Ingold. Ein schmales Bändchen mit Gedichten und Fotografien, sehr schön gestaltet im Übrigen von Kai Pohl. Und ich bin mir nicht sicher, ob es sich bei den Texten um eine Anzahl titelloser Einzelgedichte oder um ein einziges Langgedicht handelt. Man kann, denke ich, und ich hab es getan, beim Lesen beide Haltungen einnehmen, und beide Haltungen ergeben einen Sinn.

Der Text auf Seite 18 z.B. hebt mit folgenden Versen an:

Schwer zu glauben,
was man weiß, gesehen hat,
mit eigenen Augen

Auch hier offenbart oder versteckt sich eine Doppeldeutigkeit, die ein Grundmuster des Ganzen ausmacht. Es ist letztlich eine philosophische und oder theologische Frage. Kann man an das, was man weiß, noch glauben, wäre das erste, oder in zweiter Variante, kann ich dem, was ich weiß, glauben? Kurz: schließt Wissen Gauben aus? Und: Ist dem was man zu wissen glaubt, nicht grundsätzlich zu misstrauen?

Auf Seite 13 wird Blaise Pascal angeführt, der letztlich fest in seinem Glauben war, wenngleich nicht unerschütterlich schlechthin. Sein Zweifel verschiebt sich:

Andererseits kann das was fehlt kein Fehler sein.

Zum Beispiel das Leuchten
erloschener Gestirne. Das Leuchten
das Pascal 1654
am 23. November mit gesenktem
Kopf und Blick nach oben
wahrgenommen hat?

Für mich sind Pascals Gedanken immer so etwas wie eine Trostlektüre, vielleicht, weil ich um die körperliche Verfassung dieses Denkers weiß und gerade deshalb seine Texte als tröstlich empfinde. Und letztlich, weil sich hier auch ein gelebtes Paradoxon zeigt. Auch in den Fotografien im Buch ist es erkennbar. Scheinbar Hinfälliges, Unbedeutendes erweist sich im Gegenteil als geometrisch zwingend. Das Buch heißt im Übrigen:
    DAS GEGENTEIL VON ALLEM / UND VON NOCH VIEL MEHR


Felix Philipp Ingold: Das Gegenteil von allem; und von noch viel mehr. Gedichte und Bilder. Gestaltung Kai Pohl. Schönebeck (Moloko Print) 2018. 52 Seiten. 15,00 Euro.
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