Direkt zum Seiteninhalt

Es ist spät auf Erden

KIOSK/Veranstaltungen > Veranstaltungen



Die wilde Weisheit der Mysterien



Am 14. Mai wurde im Lyrik Kabinett das Werk eines „Erzpoeten der Moderne“ vorgestellt – das des Schweden Gunnar Ekelöf. Es war ein magischer Abend, eine Werkvorstellung, die das Publikum packte, obwohl der Dichter nicht präsent war, da schon 1968 verstorben.


Ekelöf ist nicht leicht zu fassen, immer wieder wundert man sich, warum gerade er der Erzpoet der Moderne sein soll. Es gab ja schon diverse Versuche, in den Sechzigern etwa, zum Beispiel von Enzensberger, ihn in Deutschland publik zu machen, und doch blieb er ein Geheimtipp und wird er wohl immer bleiben. Kann dies an seiner Sprachgewalt liegen, an seinen klaren Worten, die ergreifen und doch wieder loslassen? Als habe man geträumt, von sich geträumt und sich - statt aufzuwachen - dann vergessen? Wieder vergessen. Deshalb ist es schwer, über ihn zu schreiben. Deshalb hat auch dieser Bericht über den Abend so lange gebraucht.

Und doch wurde Ekelöf (was für ein Aufgebot!) von Nico Bleutge, von Michael Braun, von Norbert Lange so vorgestellt, dass man eine Zeitlang seine Konturen spürte, weil er nüchtern und ruhig heraufbeschworen wurde, trotz aller Größe ohne Pathos, fast bescheiden.

Was verbindet Bleutge, Braun & Lange mit Ekelöf, war die erste Frage des Abends. Dass er ein „intellektueller Wertebeförderer“ ist, so die Referenten, jeder natürlich auf eigene Weise ein „innerer Leser Ekelöfs“, ein „Nachspürer der magischen Phänomene“. Wie die drei dazu kamen? Das erzählten sie später. Zunächst führten sie in die Werkphasen Ekelöfs ein, indem sie insgesamt 15 Textpassagen und Gedichte vortrugen und von ihren Gedanken dazu berichteten.

Am Anfang standen Texte, in denen Ekelöf sich selbst vorstellt:
Geboren wurde ich in Stockholm, Schweden, im September 1907 im Zeichen der Jungfrau, an einem Sonntag und mit Glückshaube, womit ich nicht prahlen will, inzwischen wäre es mir lieber, es wäre mit Kaiserschnitt geschehen.
(Der ketzerische Orpheus, S. 9. unter "Selbstzeugnisse", geschrieben Mitte der sechziger Jahre für das Autorenlexikon „Midcentury Authors“)

Schreiben ist ein Schleichweg entweder zum Tod oder aber zum Leben. Ich schreibe, um mit dem Schreiben aufzuhören, und um mit dem Schreiben aufhören zu können, muß ich anfangen zu schreiben. Ich möchte sterben und anfangen zu leben. Etwas so Unvollkommenes wie mein gegenwärtiges Leben kann ich mir kaum vorstellen, genau das aber setzt unbewußt ein Vorgefühl von etwas Besserem voraus. Ich spüre, daß ich schlafe, daß ich träume. Ein Alp drückt mich. Ich will aufwachen.
(Der ketzerische Orpheus, S. 94 unter "Selbstzeugnisse".)

Michael Braun


Michael Braun fragte: Warum begann dieser Archipoet der Moderne, der Lyriker wie Tranströmer und Enzensberger beeinflusste, mit dem Schreiben? Aus Mangel an Beschäftigung! Er studierte in Paris Komposition. In „Der Weg eines Außenseiters“ spricht er bereits von seinem Mangel und dem Überfluss, der Hochzeit der beiden, die nach dem altgriechischen Mythos im Gastmahl Platons zur Geburt des Eros führt, für Ekelöf in Form der Musik: „Die Musik war es, die mir das Meiste und Beste gab. (…) Später kletterte ich mit der beginnenden Tollkühnheit der Flegeljahre auf das Dach, um die Sonne untergehen zu sehen. (…) Die Sonnenuntergangsklettereien hingen mit musikalischen Ausschweifungen zusammen. Ich erging mich in endlosen Reihen von unzusammenhängenden, oft sehr dissonanten Akkorden, denen ich einem nach dem anderen nachlauschte.“ Über die Musik Hindustans kam er dann zum tantrischen Buddhismus. „Indien verlockte mich, Schweden zum ersten Mal „für immer“ zu verlassen.

1926 erwarb er in London eine Ausgabe von Spinozas Ethik, darin die Propositio XXV, die in ihm aufging: „Negiere alles, und die Ethik wird gleich logisch bleiben“. Er stellte (Ansprüche der) Poetologie in Frage, und sobald er das Gefühl hatte, etwas davon verfestigte sich in ihm, ließ er es fallen. 1932 erschien sein erster Gedichtband: „Spät auf Erden“:
Spät auf Erden ist ein Selbstmordbuch. Es steht ganz unter dem Einfluß von Stravinskijs düster einsamen, unverhüllt sinnlichen Sacre du printemps, das ich ganze Nächte spielte, wobei ich ins Grammophon Taschentücher und Unterhosen gestopft hatte.

im fenster schlafen die blumen die lampe starrt licht
gedankenlos starrt das fenster ins dunkel dort draußen
seelenlos zeigen die gemälde ihre vertrauten sujets
und an den wänden halten die fliegen inne und denken


In "Spät auf Erden". Und in "Der ketzerische Orpheus", S. 98 (Kommentare zu spät auf erden) schreibt er dazu: „es ist eine ähnliche situation, wie sie strindberg in einsam erlebt, als er während eines spaziergangs zufällig in ein zimmer hineinschaut, wo ein paar menschen sitzen oder stehen.

Die „wilde Weisheit“ der Mysterien – der schon Strindberg folgte – verfestigt sich in ihm – seine schroffe Absage an den Wohlfahrtsstaat Schweden, sein Leben im Wohnwagen, sein Studium der byzantinischen Kunst, dann aber plötzlich ein „Erweckungserlebnis“ aus „Feuer und Nichts“ beim Betrachten einer Madonna. Fazit, in den letzten drei Gedichtbänden diverse lyrische Anrufungen dieser Madonna mit erotischen Konnotationen.

Norbert Lange


Norbert Langes Ansatz ist ein Gedicht von 1945, „An die Volksheimischen“, worin Ekelöf in scharfer Form die reformistische, heuchlerisch harmonisierende Politik der Regierungen Schwedens in den dreißiger und vierziger Jahren kritisiert. Er erwähnt die zynische Selbstdarstellung darin, teils als Kommunist, teils als eine Art adliger Anarchist, und dass Ekelöf immer in einer einfachen klaren Sprache geschrieben hat – eingelagert in einen Echoraum mit philosophischen Ideen. Von diesen vor allem zwei: Was hat es auf sich mit dem „Ich“ (in Gedichten hinterfragt, besteht es wahrscheinlich nur aus Schwingungen & Strömungen), und die „Sprache in der Sprache“, deren magischer Inhalt, quasi als Ursprache, in der Konvention sich verbirgt. Ekelöf verlangt von Gedichten, dass sie einen „Zwischensinn, einen Duft geben, der nicht in den Worten liegt.“ Dies ein Teil des Berufsgeheimnisses, das Gedicht als Mörtel – sein Verhältnis zwischen Wort & Aussparung, das Gedicht als radioaktive Strahlung (in Essays u.a. in: Aus der Werkstatt eines Lyrikers), weil das Spannungsverhältnis zwischen den Worten „die Leere beben“ lässt.

Nun zu den Urbegegnungen der Referenten mit Ekelöf: Michael Braun nennt das Tischglöckchen aus Bronze in Madonnenform, das der Erzpoet beim Vortragen als Gedichtöffner gebrauchte, um mit den erzeugten Schwingungen wie ein tibetischer Priester die Worte in feinstoffliche Welten zu leiten. Und das Gedicht „An Posthumus“:


Wenn man es soweit gebracht hat wie ich in der Sinnlosigkeit
wird jedes Wort erneut interessant:
Fundstücke im Erdreich
die man mit archäologischem Spaten wendet:
Das kleine Wörtchen du
vielleicht eine Glasperle
die hing einst an jemandes Hals
Das große Wort ich
vielleicht ein Feuersteinscherben
mit dem schabte jemand zahnlos sein zähes
Fleisch


(Aus „Unfoug“, 1955)


Nico Bleutge


Nico Bleutges Urbegegnung: der Vogel in den Gedichten Ekelöfs als Bild für das Andere, das Numinose, das Auge des Vogels (wie Athena „mit den Augen der Eule“ in der Odyssee) als inneres Auge – das Weibliche dieses Auges.

Norbert Langes Urbegegnung: Die Frage, was will er, „dieser letzte hermetische Dichter der alten Schule“. Dazu Ekelöfs Aufsatz: „Der Weg eines Außenseiters“ darin die gestellte Aufgabe, sich selber ähnlich, ein Mensch zu werden. Und das Eingeständnis der Einsamkeit, des Scheiterns.

Könnte ich Hohes beschreiben
wählte ich Blau
und zwei Staubkörner Gold:
Einen Stern überm Kopf
einen Stern an den Füßen
und unter den Sohlen ein Spiegelbild
das ausläuft in einem Stern
Könnte ich Weites beschreiben
wählte ich eine Umarmung
weil ich Sinne besitze
falsche und primitive
die nicht die Wirklichkeit begreifen die Ist –
Keinen Stern gibt es dort
wo du dein Haupt hast
Keinen Mittelpunkt gibt es
wo deine Füße stehn
Doch einen Fingerbreit deiner Anmut
hab ich verspürt.


(Diwan über den Fürsten von Emgión, 15)


Den Höhepunkt einleitend, wurde eine Tonbandaufnahme Ekelöfs eingespielt, seine sachlich feste Stimme, schwedisch natürlich, das Gedicht „Abgeschieden“ lesend, („Ich schreibe dir aus einem abgeschiedenen Land“), in dem es um die Nachfolge geht, nicht nur um ein hinter sich Lassen.

Die Spitze des Abends wurde von den Gedichten der Selbstschau (Autopsie) Ekelöfs gebildet, die er Hypnagogen nannte, Halluzinationen des Erlebnisses der Verschmelzung (in seinen letzten drei Bänden). Nico Bleutge erwähnte, um nicht nur dem Tod dabei zuzusprechen oder einem Ersterben der Sinne („Gehört im Jahr '63 im Traum, am 15. des Herbstmonds bei Nacht: „Du liegst schlafend in einem Sarkophag ohne Boden“ - / Halb von diesen Worten geweckt, weder schlafend noch völlig wach /erscheint mir der Marmorsarg deutlicher vor meinem Blick /“ – aus „Führer in die Unterwelt“, 10) die Poetik der Erinnerung, Ekelöfs Gedächtnismetaphern:

Unter den Toten lebt eine Ahnung von Schönheit
In ihren toten Leben hält sich ein Traum von Schönheit
Wer nicht sah, oder spürte, wie grauenvoll
dies böse Leben ist in das wir geboren wurden –
der träumt auch nicht Träume von Schönheit
der sah nicht den Mondschein über dem Fluß
als eine Vision, einen Traum von Schönheit
Der verspürte nicht Sehnsucht, zum Mond hinabzutauchen
vom Tod zu träumen, Traumgesichte zu haben von Schönheit
Gesundheit Leben Glück Leidenschaft, und einer Liebe
die Schönheit ist
In dieser Grausamkeit unseres Lebens
ist Liebe ein Traum von Schönheit.


(Führer in die Unterwelt, 12)


Abgesehen von der Liebe (nicht nur zur Großen Mutter als Madonna, einem weiblichen Kosmos des geboren Werdens oder Sterbens, mit dem er sich geistig zu verschmelzen sucht), sind diese Hypnagogen des Eintauchens keine mystische Sinnsuche, eher das Gegenteil:
Die Nichtgebärende, Sohnlose, ist daher nicht steril, nicht negativ. Sie ist die zutiefst Wirkende, die Göttin des geheimsten Triebes, der zum reinen Liebestod führt, zu einem Aufgehen ins Nichts.“ (Selbstschau, 1947, in: Der ketzerische Orpheus).

Die Hypnagoge

Im Wald du weißt es steht die wund erwirkende Madonna
Man stößt mit dem Fuß an den Sockel, irregegangen zwischen den Bäumen
Sie gleicht deiner kleinen bronzenen Glocke, von der Form
eines kleinen Mädchens, mit aufgestelltem Kragen
Unüberschaubar und dunkel ist sie, aus schwärzlichem Silber
Kriechst unter den Rockschoß du, erblickst du das Innere
wie des Atreus Schatzhaus gewölbt, diese gewaltige Glocke
und wo kein Klöppel schwingt oben hängt jetzt das Nichts:
Fragst nach dem Sohn du, wisse, viele gibt es, X, Y, Z
Vielleicht findest du eine Tür in den Falten des Untergewands
und ertastest den Weg dir, seltsame Stiegen empor
die in ungewissen Windungen gehn, wie am Turm von Pisa
Schon das Gehn erzeugt Schwindel. Ungleich der Anstieg
Aspiral die Gravitation, und das Gleichgewicht das
angeboren dir schien, tritt außer Kraft, daß du strauchelst
Oberhalb des Gewölbes die Taille, du siehst es am Gürtel
von innen, am farbigen Schimmer, gelb, violett und blutrot
Bestückt mit Tafelsteinen, Rosensteinen, Granaten
Aquamarinen, Chrysolithen, Amethysten
Jeder Stein eine Kammer, dreiwinklig nach innen,
mit Diwanen zu beiden Seiten, die Hypotenuse das Fenster
oder rechteckig, mit drei Diwanen und einem Tisch in der Mitte
Man kann von Gemach zu Gemach gehn oder sich ausruhen lange
je nach Stimmung und Farbe. Alle Gemächer kann man durchschreiten
Nie kehrt man zurück, verändert hat sich der Blick
Höher stieg ich hinauf – konnte das Herz nicht sehn
schimmern aber den Brustschmuck gleich einer Fensterrose
auf ihrer Brust. Höher stieg ich hinauf das eine, einzige Mal:
In ihr Haupt. Dort war es leer. Das Schweben schwerelos.

(Führer in die Unterwelt, 8)


Ekelöfs Mystik basiert auf einer Poetik der Negation, die die Polarität der Schöpfung bzw. der Physis durch Liebe und Poesie überwinden will – ohne Gottsuche, am ehesten buddhistisch zu nennen vielleicht. Das – nicht die zu erwartende reale Gegenwart des Göttlichen in der Madonna wie bei Fundamentalisten und Christen der Ostkirche – macht sein Werk zu einer Symbiose der Moderne. Es kann also nur die Sprachgewalt sein, und die Begabung, eine versteckte Dinglichkeit der Sprache so zu arrangieren, dass in ihr Physisches mitklingt, eine reale Präsenz des Gesagten, was ihn zum Erzpoeten der Moderne macht und so unterschiedliche Referenten wie Nico Bleutge, Michael Braun und Norbert Lange verbindet. Darin liegt Ekelöfs Größe, sie ist schwer in Worte zu fassen.


KK



Siebenbändige Werkausgabe bei Kleinheinrich Verlag, Münster.
Kongenial übersetzt von Klaus-Jürgen Liedtke.

Anders Olsen: Ekelöfs Nein. Der poetische Kosmos Gunnar Ekelöfs. Münster (Kleinheinrich) 2013. 359 Seiten. 25,00 Euro.


Zurück zum Seiteninhalt