Elke Erb: Vivat, crescat, floreat
Zu Jahresbeginn
von Elke Erb
Vivat, crescat, floreat
1
Die Taube fuhr auf einem Pferdefuhrwerk.
2
Die Heiligen Drei jedoch, Könige, gingen nach Bethlehem, wo sie zu tun hatten, hinter sich die Reiche, vor sich den Stern. Angekommen, lenkten sie ihre Schritte zu einem Stall, zu Eselin und Kuh hin, weil bei ihnen in der Krippe ein Kindlein namens Neujahr lag. Was aber hatten sie in Bethlehem zu tun? Sie hatten dort Geschenke zu übergeben. Gold, Weihrauch, Myrrhe. Einer war schwarz. Während sie sich ihrer Aufgabe entledigten, gab es einen kleinen Skandal. Eine alte Frau, trotz der Kälte, die herrschte, halb entblößt, trat zwischen Angel und Tür, das Altjahr. Unbescheiden, verkommen und obendrein offensichtlich betrunken, zeterte sie, sie habe auch mal so angefangen, in der Krippe da, mit Geschenken versehen. Melchior tat das einzig Richtige, nahm sie, murmelnd "aber ja, aber ja“, beim Arm und warf sie kurzerhand ins Dunkel hinaus. Doch daraufhin gingen sie auch, Könige, jeder in seins wie du ins Büro.
3
Die Taube fuhr auf einem Pferdefuhrwerk. Auf die Speichen sprang Schlamm. Sie hielt vor dem Thüringer Hof, und die Dienerschaft stürzte hervor. Sie stieg aus, und der einäugige Hofhund hob schon die Pfote, zu heimlichem Lachen bereit. Die Taube aber schritt hinein, ohne auch nur jemanden eines Blickes zu würdigen, denn von der weiten, weiten Fahrt war sie viel zu erschossen.
(1969)