Direkt zum Seiteninhalt

Edith Sitwell: Der Regen fällt und fällt

Gedichte > Zeitzünder


Edith Sitwell

Still Falls the Rain (1940)


übersetzt von Günter Plessow




Der Regen fällt und fällt––
finster wie die Menschenwelt, schwarz wie unser Entsagen---
blind wie die neunzehn hundert und vierzig Nägel
ins Kreuz geschlagen.

Der Regen fällt und fällt,
es hallt, als sei der Puls des Herzens zum Hammerschlag geworden
in Potter’s Field, es hallt, als schritten gottlose Horden

über das Grab:
Der Regen fällt und fällt

aufs Feld des Blutes, wo wir kleine Hoffnungen hegen und das Menschenhirn
seine Gier nährt, Gewürm mit der Kainsstirn.

Der Regen fällt und fällt
auf die Füße des darbenden Mannes am Kreuz.
Christus, täglich, nächtlich dort angenagelt, neige dich zu uns––
leide mit Dives und Lazarus:
unter dem Regen sind Waidwund und Gold wie eins.

Der Regen fällt und fällt––
es fällt und fällt das Blut des Darbenden Mannes, aus seiner Seite brichts:
er trägt in seinem Herzen alle Wunden,––die des erloschenen Lichts,
des letzten Funkens, der funkelt
im Selbstmörderherz, die Wunden derer, die nicht begreifen, verfinstert,
die Wunden des geköderten––verletzten––
blind winselnden Bären, dessen hilfloses Fell
sie gerben… die Hasentränen des Gehetzten.

Der Regen fällt und fällt––
Da––Oh, hüpf ich hinauf zu meinem Gott: ‘der mich niederzieht’––
sehe, seh, wo Christi Blut strömt am Firmament:
es fließt von der Stirn, unsre Nägel drängten sich

tief ins bedürfende, tief ins dürstende Herz,
das die Feuer der Welt hält––geschwärzt von Schmerz
wie Cäsars Lorbeerkrone.

Da tönt die Stimme des Einen, der gleich dem Menschenherz
einst Kind war, das unter Tieren gelegen––
"Ich liebe und liebe, vergieße mein schuldlos Licht, mein Blut, für dich."



Günter Plessow, 18.09.2017


Aufnahme John Gielgud »

Zum Original »

Zurück zum Seiteninhalt